25.04.2024

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Folge 42-22 vom 21. Oktober 2022 / Literaturherbst 2022 / „ … ins Herz der Menschen getroffen“ / Im Gespräch mit Wilhelm v. Boddien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-22 vom 21. Oktober 2022

Literaturherbst 2022
„ … ins Herz der Menschen getroffen“
Im Gespräch mit Wilhelm v. Boddien
René Nehring

Seit dem Sommer 2020 strahlt das wiederaufgebaute Berliner Schloss inmitten der deutschen Hauptstadt. Von den ersten Ideen bis zur Umsetzung als Humboldt-Forum war es ein weiter Weg. Treibende Kraft hinter dem Projekt war der Hamburger Kaufmann Wilhelm v. Boddien. Im Februar wurde er 80 Jahre alt und hat nun ein Buch vorgelegt, in dem er auf sein „Abenteuer Berliner Schloss“ zurückblickt. Die Preußische Allgemeine Zeitung sprach mit ihm an einem sonnigen Herbsttag im Schlüterhof des Schlosses über die Leidenschaften eines Träumers, die Attacken seiner Gegner und einen kleinen Wunsch zur Gestaltung der Schlossumgebung.

Herr v. Boddien, was erwartet die Leser, wenn sie Ihr Buch in die Hand nehmen?

Es ist eine Erzählung, ein Bericht über Begegnungen, die ich überwiegend in den vergangenen dreißig Jahren hatte: Begegnungen mit Freunden, mit Unterstützern, mit Politikern – und mit Gegnern. Es sind also keine „Memoiren“ im klassischen Sinne, sondern vielmehr Schilderungen von Zuständen und Umständen, von Gesprächen und Maßnahmen, die letztlich zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humboldt-Forum geführt haben. 

Sie sind in Stargard, in Hinterpommern, geboren, stammen jedoch väterlicherseits aus Mecklenburg und mütterlicherseits aus der Hamburger Juristen- und Bürgermeisterfamilie Sieveking. Was hat Sie bewogen, sich für den zentralen Bau der preußischen Monarchie einzusetzen?

Meine Begeisterung für das Berliner Schloss begann bereits in meinen Schülertagen. 1961 kam ich als Abiturient mit 19 Jahren wegen des Mauerbaus nach Berlin. Dabei wollte ich auch einen Abstecher in den Osten der Stadt machen und fuhr mit der S-Bahn zur Friedrichstraße. Am Ende der Straße Unter den Linden wunderte ich mich plötzlich über einen riesigen, zugigen und öden Platz. Da erfuhr ich, dass an diesem Ort einst das Schloss gestanden hatte. Der Anblick der Öde des alten Zentrums und das Bewusstsein, dass sich dort einmal die Residenz der preußischen Könige befand, hat mich betroffen gemacht und zugleich ein Feuer in mir entfacht. 

Das Schloss war dann 28 Jahre lang ein Hobby für mich. Ich befasste mich mit allen Facetten seiner Geschichte und wusste doch, dass es keine Chance für eine Wiederherstellung gab, solange die DDR existierte. Allerdings habe ich in dieser Zeit wichtige Leute kennengelernt wie zum Beispiel den Kunsthistoriker Otto von Simson, die mich in dem Glauben gestärkt haben, wenn es zu einer Wiedervereinigung käme, sei das zu schaffen.

Ein wichtiger Meilenstein war der Aufbau der sogenannten Schlossattrappe 1993. Doch was ist in der Zeit davor passiert, vom Mauerfall 1989 bis zu jenem Ereignis? 

Ich stützte mich schon zum Zeitpunkt der Deutschen Einheit bereits auf einen Freundeskreis von Bürgern, die sich für die Idee des Wiederaufbaus begeisterten. Dazu gehörten unter anderem Bernd Schultz vom Auktionshaus Villa Grisebach, der Verleger Wolf Jobst Siedler und der „FAZ“-Herausgeber Joachim Fest. Dieser Kreis versuchte zu Beginn der 90er Jahre, unsere Idee in die Öffentlichkeit zu tragen. Eine Aktion war, dass wir uns auf den damaligen Marx-Engels-Platz stellten, um den Passanten Bilder vom historischen Schloss zu zeigen. Dazu luden wir auch Journalisten verschiedener Zeitungen ein. Diese zeigten uns jedoch einen Vogel, weil kaum jemand das Abstraktionsvermögen hatte, sich in dieser Einöde den auf einem Pressefoto von 20 mal 30 Zentimetern dargestellten Bau von fast 200 Metern Länge, 120 Metern Breite und einer Höhe von 74 Metern bis zur Kuppelspitze vorzustellen. 

Gleichzeitig brachten die damalige Bundesregierung und der Berliner Senat einen Masterplan-Wettbewerb über die Neugestaltung der Spreeinsel auf den Weg. 1000 Architekten aus aller Welt nahmen daran teil. Es war der Wettbewerb, der die Grundstrukturen der Insel für die Zukunft definieren sollte, ohne architektonische Festlegungen. Doch wir wussten, dass wenn es uns nicht gelingen würde, in diesen Wettbewerb mit Fakten einzudringen, das Schloss nicht zu schaffen wäre. Denn ein solcher Plan hat später Gesetzescharakter, jedes nachfolgende Bauprojekt richtet sich an dessen Bestimmungen aus. 

Doch zu Recht stellte Bernd Schultz fest, dass uns mit unserem bisherigen Auftreten niemand ernst nahm, und er sagte: „Wer nicht hören will, muss sehen.“ Auf meine verdutzte Frage, was er damit meinte, sagte er: „Wir stellen das Schloss einfach hin.“ Und als ich ihn auslachte, sagte er: „Wir stellen es als Kulisse hin.“ Das war die Geburtsidee dessen, was wir 1993 machten. Diese Simulation stand dann vom Juni ’93 an fast anderthalb Jahre auf den Fundamenten des gesprengten Schlosses. Im Mai 1994 wurde der Spreeinsel-Wettbewerb entschieden. Und zu unserem Glück enthielten die Siegerentwürfe den Originalgrundriss des Schlosses. Das war ein erster Erfolg, aber noch lange keine Garantie dafür, dass auf diesem Grundriss tatsächlich auch das Schloss wiedererstehen würde.

War die Schlosssimulation entscheidend für die Überzeugung der Öffentlichkeit?

Absolut. Am vorletzten Tag unserer Attrappen-Installation, im September 1994, besuchte Richard von Weizsäcker mit seiner Gemahlin unsere Ausstellung. Da sagte sie zu mir: „Herr v. Boddien, Sie sind ein Filou.“ Und auf meine Frage, wie sie dies als Dame wohl meinte, sagte sie: „Sie stellen uns dies Ding hier hin. Und zwar so lange, bis wir uns daran gewöhnt haben. Nun wirkt es so, als ob hier nie etwas Anderes gewesen wäre. Und jetzt nehmen Sie es weg und das alte Loch ist wieder da. Wir werden Entzugserscheinungen haben.“ Von diesem Moment an wusste ich: Wenn wir dranbleiben, schaffen wir das. Aber wir durften eben niemals nachlassen. 

Sie sehen daran aber auch, dass wir überhaupt keinen festen Plan hatten, sondern mehr oder weniger immer improvisierten. Wir betraten absolutes Neuland und waren nur ein kleiner Kreis von sechs, sieben Leuten, der sich anmaßte, den wichtigsten Platz in der Mitte der Hauptstadt der neuen Bundesrepublik Deutschland mit eigenen Ideen zu bebauen. 

Sie haben in all den Jahren immer wieder mit ideologischen Angriffen gegen das Schloss, aber auch mit Verleumdungen gegen Sie persönlich zu tun gehabt. Wie sehr hat Sie das getroffen? Und wie sind Sie damit umgegangen? 

Wenn Sie sich anmaßen, den zentralen Ort der Republik gestalten zu wollen, müssen Sie von Beginn an mit Widerständen rechnen. Alles andere wäre naiv. 

Ein wichtiger Grundsatz war, dass wir unsere Kritiker stets freundlich behandelten oder sie einfach ignorierten. Uns war klar, dass wenn wir uns auf deren Niveau begeben hätten, eine Schlammschlacht entstanden wäre, die uns und unserem Projekt geschadet hätte, nicht den Gegnern. Wer etwas verhindern will, braucht keine konstruktiven Argumente, wer etwas schaffen will, sehr wohl. Letztlich wurden die Schlossgegner zu unseren besten Spendensammlern, denn jedes Mal, wenn sie wieder loslegten, um den Verein anzugreifen, stieg das Spendenaufkommen gewaltig. 

Viel wichtiger als die Abwehr der Kritiker war jedoch das positive Überzeugen der Öffentlichkeit. Da wir wussten, dass am Ende der Bundestag über den Wiederaufbau zu entscheiden hatte, sind wir gleich über die Bundestagsspitze gegangen, weil wir dort wohlwollende Schlossfreunde gefunden hatten und schnell auf ein positives Echo stießen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, zum Beispiel, war einer der wichtigsten Helfer. Und Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte 1999 nach dem Regierungsumzug in seinem provisorischen Amtssitz im Staatsratsgebäude der DDR gegenüber der „Zeit“ mit Blick auf den Palast der Republik, ihm sei ein Schloss lieber als der „Palast“. Denn das Schloss wäre etwas für die Seele der Menschen. 

Solche Befürwortung war natürlich sehr hilfreich, denn wir mussten auch die Bevölkerung überzeugen. Viele Leute sagten anfangs: Ein Schloss? Was soll der Quatsch? Wir brauchen Kitas, wir brauchen Straßen, wir brauchen Wohnungen und, und, und.

Was gab den Ausschlag dafür, dass das Schloss am Ende der Debatten tatsächlich gebaut wurde? 

Ausschlaggebend war ironischerweise die Moderne, die sich bei ihren Entwürfen nie um die Zustimmung der Bevölkerung bemühte, sondern, wie wenn der Papst ex cathedra Grundsätze zum Katholizismus verkündet, sich erhaben über jede Kritik fühlt, sie als nicht sachverständig abtut. Da ist die Moderne geradezu schmerzfrei, regt sich aber auf, wenn mal etwas ohne ihre Weihen durchgesetzt wird. Als der Bundestag über die Zukunft des Schlossplatzes entschied, war der Wiederaufbau des Potsdamer Platzes bereits voll in Gange. Und sein bauliches Ergebnis war im Ganzen ziemlich banal, obwohl dort weltweit bedeutende sogenannte Stararchitekten mitgewirkt hatten. 

Als der Bundestag 2002 entschied, die originale Schlossfassade zu errichten und einen Wettbewerb mit moderner Architektur gar nicht erst zuzulassen, zischte Peter Conradi, der damalige Präsident der Bundesarchitektenkammer, es sei eine Unverschämtheit, dass die Moderne hier nicht die Chance bekommen hätte, mit genialen Gegenentwürfen zu zeigen, dass sie besser sei als das Schloss. Ich habe darauf mit dem Verweis auf den Potsdamer Platz entgegnet, dass die dort schon bis 2002 verbaute Fläche das Vierzigfache der Grundfläche des Schlosses betrage und die modernen Architekten demnach offensichtlich vierzigmal die Chance vergeben hatten, etwas Großes zu bauen.  Auf einen groben Klotz gehört eben manchmal auch ein grober Keil.

Ich glaube, entscheidend in der ganzen Debatte war, dass die Diskussion von uns emotional geführt wurde – und von den Gegnern verstandesorientiert. Wir hatten ganz einfach mit der Attrappe und den späteren ersten Fassadenmodellen ins Herz der Leute getroffen und ihre Sehnsucht nach einer intakten Mitte Berlins geweckt.

Haben aber nicht auch die Kritiker Emotionen geschürt, zum Beispiel bei der Verteidigung des Palastes der Republik, an dem angeblich so viele Erinnerungen der DDR-Bürger hingen?

Das ist richtig. Deshalb habe ich auch immer wieder bevorzugt Vorträge in Ost-Berlin gehalten. Dahin kamen dann geballt auch die Gegner. Bei einem Vortrag stand einer auf und sagte: „Herr von Boddien, ich finde es eine Unverschämtheit. Der Palast der Republik wurde von der Bevölkerung der DDR gebaut und bezahlt, und er ist ein Stück ihrer Identität.“ In einem solchen Moment ist man als „Wessi“ zunächst hilflos. Doch dann stand ein anderer Zuhörer auf und sagte: „Ich muss meinem Vorredner Recht geben. Der Palast ist ein Stück unserer Identität und müsste“, da sprach er im Konjunktiv, „deswegen erhalten bleiben.“ Doch, so der Mann weiter, „der Prenzlauer Berg ist auch ein Teil der Janusköpfigkeit der DDR-Identität, und deshalb müsste auch er bewahrt werden wie in der DDR – mit all der stinkenden Braunkohle, den lecken Dächern, den vorsintflutlichen Sanitäranlagen und den bröckelnden Fassaden.“ 

Solche Aussagen sind natürlich ein Geschenk, die wie so viele Situationen in dem ganzen Prozess nicht planbar waren. 

Was Sie sicher auch nicht planen konnten, waren die Angriffe gegen Ihre Person. Was davon war der härteste Fall? 

Das war zweifellos die Strafanzeige des Architekten Philipp Oswalt im Jahr 2007, der mich damals beschuldigte, Geldwäsche betrieben und Spenden in Millionenhöhe veruntreut zu haben. Schlimm war, dass eine Zeitung wie die „FAZ“ gar nicht erst nachfragte, was an den Vorwürfen dran sei, sondern gleich titelte: „Boddien unter Untreueverdacht. Wo sind die Millionen geblieben?“ Das ist alles andere als erfreulich. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit darauf waren geteilt: Es gab die einen, die uns fortan mieden, und die anderen, die empört riefen, das kann der Boddien doch gar nicht, der ist doch viel zu blöd dafür. 

Das Verfahren wurde damals wegen Fehlens eines Anfangsverdachts von der Staatsanwaltschaft Berlin eingestellt. 

Heute legt Oswalt wieder los. Einer seiner Vorwürfe ist nun, verkürzt gesagt, dass ich die Namen von Spendern nicht herausgeben würde, die anonym bleiben wollten. Dabei ist mir dies aus Datenschutzgründen schlichtweg nicht möglich, das wäre ein klarer, strafbarer Gesetzesbruch – und ist im Übrigen auch bei anderen gemeinnützigen Organisationen nicht üblich. Oswalt konstruierte daraus jedoch, dass es hinter dem Schlossprojekt rechtslastige Geldgeber gäbe, die ich schützen würde. Erst unlängst wieder sagte die Linke Gesine Lötzsch, immerhin stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses und seit 1991 Bundestagsabgeordnete für die Linke, dass sie es als eine Unverschämtheit empfinde, dass der Förderverein sich weigere, die Namen der Spender zu nennen, und das dies für sie nach schwarzen Kassen röche. Und das von einer Frau, deren Partei uns bis heute weitgehend im Unklaren gelassen hat, wo das Vermögen der SED geblieben ist! 

Hatten Sie bei all den Angriffen jemals einen Punkt erreicht, an dem Sie genug hatten und aufgeben wollten? 

Nein. Das liegt daran, dass ich mir den jugendlichen Elan, den ich 1961 empfunden hatte, und die damit verbundene Naivität eines kleinen Jungen immer bewahrt habe. Geholfen hat sicherlich auch, dass es für mich und die Freunde des Schlosses trotz aller Angriffe stets vorwärtsging, während unsere Gegner letztlich nichts außer Klamauk erreichten. Und geholfen haben sicherlich auch die unzähligen Unterstützer und Förderer, die nicht nur gespendet, sondern in Krisenzeiten auch immer wieder Mut zugesprochen haben. Schon allein ihretwegen kam ein Aufgeben nie infrage.

Die Skepsis der Schlosskritiker galt stets auch der technischen Machbarkeit. So wurde mit Blick auf die historischen Fassaden gefragt, ob man aus zweidimensionalen historischen Plänen und Fotografien, die es ja gab, überhaupt originalgetreue dreidimensionale Skulpturen und Fassaden schaffen könne. 

Richtig. Was die Wiederherstellung der historischen Fassaden am Ende ermöglichte, waren die technischen Fortschritte durch die Digitalisierung. Die Architekten Rupert und York Stuhlemmer, die die Pläne für die Fassaden rekonstruierten, hatten zusammen mit der Technischen Universität eine Software entwickelt, die in der Lage ist, von historischen Fotos anhand bestimmter Eingabedaten konkrete Maße zu ermitteln. Wenn Sie zum Beispiel ein Bild hochladen, das am 3. Juni 1903 um 15.00 Uhr aufgenommen wurde, ist dieses Programm in der Lage, anhand von Sonnenstand, Aufnahmewinkel und Schattenlängen, die zum Beispiel von den Fensterüberdachungen geworfen werden, die Tiefe der sichtbaren Objekte zu berechnen. Damit waren wir in der Lage, von sämtlichen Skulpturen und Ornamenten die historische Dreidimensionalität zu ermitteln.

Die Digitalisierung hat uns auch an anderer Stelle geholfen. Die Kritiker hatten prognostiziert, dass die Wiederherstellung der historischen Elemente mit den Händen selbst der fleißigsten Bildhauer Jahrzehnte dauern würde. An diesem Vorwurf war durchaus etwas dran, weil die Arbeit kräftezehrend ist und nicht wie am Fließband verrichtet werden kann. Es gibt seit Kurzem jedoch auch auf diesem Gebiet Techniken, die die Arbeit erheblich erleichtern. So „beschäftigten“ die beauftragten Natursteinbetriebe mehrere Roboter. Nachdem zuerst das Modell eines Fassadenelements so wie ein menschlicher Körper beim MRT abgescannt und dessen Maße damit im Computer erfasst wurden, stellte der daraufhin entsprechend programmierte Roboter anschließend das Rohelement in der erforderlichen Stückzahl her, befreite dieses maschinell in seinen noch nicht detaillierten Umrissen aus dem Steinblock. Und zwar zu etwa 80 Prozent. Das war im Grunde die Arbeit, die früher von Lehrlingskolonnen verrichtet wurde. Den „Rest“ leisteten dann unsere exzellenten Bildhauer mit der Hand und sorgten so für die Individualität der Kunstwerke und Bauteile.

So haben uns digitale Techniken aus dem 21. Jahrhundert geholfen, Barockfassaden aus der Zeit um 1700 ganz originalgetreu und fristgerecht wiederherzustellen. 

Allerdings ist das Schloss nicht vollständig originalgetreu wiedererstanden, sondern als ein Kompromiss aus historischen Außenfassaden mitsamt der Kuppel und einer überwiegend modernen Innengestaltung. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden? 

Durchaus. Zum einen, weil das Haus, so wie es steht, das Optimum dessen ist, was politisch durchsetzbar war. Zum anderen, weil mit Franco Stella ein Architekt den Wiederaufbauwettbewerb gewonnen hatte, der eine unglaubliche Sensibilität für das historische Schloss hat. Stella hat den Bau so hingestellt, dass künftige Generationen von den rund sechzig historischen Prunkräumen des Schlosses fünfzig ohne Probleme am originalen Ort in den originalen Maßen wiederherstellen können. Selbst die historische Gigantentreppe am Schlüterhof, die ja über mehrere Etagen und Räume ging, könnte mit geringem Aufwand nachträglich am originalen Ort eingebaut werden, falls künftige Generationen den Willen dazu haben sollten. 

In der jetzigen Situation, in Zeiten von Corona und Krieg, ist dafür sicherlich nicht der richtige Augenblick. Doch wer weiß? Wir haben seit der Sprengung über siebzig Jahre auf den Wiederaufbau gewartet, niemand weiß, was in den nächsten siebzig Jahren geschieht. Letztendlich müssen Sie, wenn Sie ein solches Projekt erfolgreich gestalten wollen, immer mit dem Möglichen und Durchführbaren umgehen können. Und für diesen Kompromiss aus etwa drei Vierteln historischen Fassaden, einer überwiegend modernen Innengestaltung und nicht zuletzt für die Konzeption des Humboldt-Forums als einen Ort, der verschiedene Kulturen der Welt zusammenführt, haben wir sowohl eine politische Mehrheit als auch einen gesellschaftlichen Konsens erzielen können.

Haben Sie in Bezug auf das Schloss noch einen Wunsch, von dem Sie denken, dass er verwirklicht werden sollte?

Wünsche habe ich viele. Pragmatisch möglich wäre es, das historische Umfeld des Schlosses anzugehen, vor allem die Rückkehr des Neptunbrunnens vom Alexanderplatz an seinen historischen Ort auf dem Schlossplatz. Der Neptunbrunnen ist ja nicht nur einfach ein hübsches Kunstwerk, sondern in seiner ganzen Gestaltung auf seinen originalen Standort, den Omphalos (Nabel) Berlins hin ausgerichtet. Ein im 19. Jahrhundert von Schinkel dort aufgestellter, achtarmiger Kandelaber zeigte wie eine Windrose in die vier Haupt- und die Nebenhimmelsrichtungen. Später trat an seine Stelle der Schloss- oder Neptunbrunnen als geographischer Mittelpunkt Berlins, von hier aus wurde die preußische Meile vermessen. Er ist somit nicht nur der Nabel der Stadt, sondern der Nabel Preußens, was auch an den am Rand sitzenden Frauengestalten sichtbar wird, die für die vier damals preußischen Ströme Rhein, Elbe, Oder und Weichsel stehen. 

Sind Sie in Bezug auf das Schloss ein glücklicher Mann?

Ja. Wir haben mehr erreicht als wir uns am Anfang erträumt haben. „Mehr“ deshalb, weil das Schloss am Ende sogar mit der historischen Kuppel wiederaufgebaut wurde, die in unserer Simulation von 1993 gar nicht enthalten war. Nun ist es an künftigen Generationen, den Bau mit Leben zu füllen und ihn behutsam weiterzuentwickeln.

Das Interview führte René Nehring. 






Wilhelm v. Boddien ist Gründer und langjähriger Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss e.V. www.berliner-schloss.de