25.04.2024

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Folge 42-22 vom 21. Oktober 2022 / Literaturherbst 2022 / Lebensbilder aus großer Zeit / Klein, fein, fundiert und unterhaltsam – in Anekdoten und Episoden blickt der Eulenspiegel-Verlag auf das Wirken von E.T.A. Hoffmann, Rahel Varnhagen und Hermann von Pückler-Muskau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-22 vom 21. Oktober 2022

Literaturherbst 2022
Lebensbilder aus großer Zeit
Klein, fein, fundiert und unterhaltsam – in Anekdoten und Episoden blickt der Eulenspiegel-Verlag auf das Wirken von E.T.A. Hoffmann, Rahel Varnhagen und Hermann von Pückler-Muskau
Erik Lommatzsch

Preußische Kulturgeschichte geht auch leichtfüßig. Und zwar im besten Sinne, wie eine Reihe von kleinen biographischen Bänden des Eulenspiegel-Verlages zeigt, die zumeist mit dem Zusatz „Ein Lebensbild in Anekdoten“ erscheinen. Wer abseits von dickleibigen und fußnotenschweren, aber oft auch ebenso schwer verdaulichen Werken lieber ein wenig unterhalten werden will und dabei eine unaufdringliche Skizze von Persönlichkeit und Wirken vermittelt bekommen möchte, ist etwa mit dem Büchlein über E.T.A. Hoffmann von Bernd Hesse und Jörg Petzel bestens bedient. Für alle Bücher der Reihe sind sehr kurze, auch schon mal weniger als eine halbe Seite umfassende Kapitel charakteristisch. Streng genommen handelt es sich nicht immer um Anekdoten mit schlagfertiger Pointe, mitunter sind es einfach Episoden. Zwar bilden die Bücher jeweils eine chronologische Einheit, die Kapitel können in der Regel aber auch unabhängig voneinander gelesen werden.

Anekdoten um Hoffmann

E.T.A. Hoffmann, 1776 in Königsberg geboren, ist heute vor allem als einer der begnadeten Schriftsteller der Romantik ein Begriff, zuweilen ist er sogar Schullektüre. „Die Lebensansichten des Katers Murr“, „Der Goldene Topf“, die Kriminalgeschichte „Das Fräulein von Scuderi“ oder das Märchen „Nussknacker und Mausekönig“ erfreuen sich auch heute noch großer Beliebtheit. Die weitaus meisten literarischen Werke entstanden in seiner letzten Lebensphase in Berlin. 

Allgemein weniger bekannt ist, dass Hoffmann lange versuchte, sich als Komponist und Kapellmeister zu etablieren und über großes zeichnerisches Talent verfügte. Seinen Lebensunterhalt bestritt er allerdings weitgehend mit der von ihm ungeliebten Juristerei, seinem Brotberuf. Dies alles kommt in den hier vorgelegten Anekdoten zum Tragen, nicht selten haben sie auch einen bitteren Beigeschmack. So bemerkte Hoffmann beim Tod seines Onkels, eines Obertribunalsrats in Berlin: „Wenig Freude hatte der alte Mann doch im Leben – er hat sich offenbar zu Tode referiert – das war die Belohnung für langjährige Dienste.“ 1802 wurde er von seiner Posener Stelle in die Provinz strafversetzt, weil er anlässlich eines Maskenballs Karikaturen der hochrangigen Gäste angefertigt hatte. Eine von Hoffmann gezeichnete Karikatur verstimmte später auch den Dichter Jean Paul dauerhaft. Über die  Geliebte des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II., die nach dessen Tod mehr oder weniger verbannte Gräfin Lichtenau, schrieb Hoffmann fasziniert: „Wie viel Bildung – wie viel Verstand – wie viel Ungezogenheit – das Weib ist eine wahre Vexierdose, wo ganz was anderes herauskommt, als man erwartete.“ 

Augen für vor allem junge Frauen hatte Hoffmann. Wegen seiner – wohl einseitigen – Zuneigung zu einer Bamberger Gesangsschülerin und des sich daraus entwickelnden Skandals musste er schließlich die Stadt verlassen. Unzufrieden und vor allem künstlerisch erfolglos fühlte er sich oft und suchte nach entsprechender Ablenkung. Gegenüber einem Freund resümierte er einmal einen derartigen Zustand: „Du weißt, dass Ausschweifungen allemal ihr höchstes Ziel erreichen, wenn man sie aus Grundsatz begeht, und das war denn bei mir der Fall.“ Alkohol floss reichlich, muss aber nicht immer verantwortlich gewesen sein, wenn der reichlich phantasiebegabte Hoffmann seinen Tischgenossen etwa plötzlich fragte, ob er nicht „dort in der Ecke rechter Hand den kleinen, ganz verfluchten Knirps“ bemerkt habe, „der sich unter den Dielen hervorhaspelt“. 

Bedeutsam für die Musikgeschichte war Hoffmanns 1810 erschienene positive Rezension über Beethovens 5. Sinfonie, vom „Schmerz der unendlichen Sehnsucht“ – und damit dem großen Motiv der Romantik – ist die Rede. Hoffmanns Vornamen lauteten ursprünglich Ernst Theodor Wilhelm, meist werden nur die Initialen angegeben, allerdings E.T.A. und nicht E.T.W. Eine Erklärung für die Änderung lautet, Hoffmann habe dies aus Verehrung für Mozart getan und dessen zweiten Vornamen Amadeus an die Stelle von Wilhelm gesetzt. Das Anekdoten-Buch bietet noch eine nüchternere Variante an: Es habe sich um einen Schreibfehler auf einem der ersten Manuskripte gehandelt. Dann habe man es einfach dabei belassen.

„Größte Freiheit und Behaglichkeit“

Für ihr Buch über Rahel Varnhagen wählte die Autorin Dorothee Nolte nicht „Anekdoten“ als Untertitel, sondern „Lebensbild einer Salonière“, wobei hier zu erfahren ist, dass man in Berlin zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eher weniger von „Salon“ sprach. Man traf sich „zum Tee“. Rahel Varnhagen war eine der großen Gastgeberinnen der Zeit, wer intellektuell Rang und Namen hatte, verkehrte bei ihr – die Humboldts, Tieck, Schleiermacher, Schlegel, de la Motte Fouqué, Prinz Louis Ferdinand und viele mehr. Für Heinrich Heine war sie „die geistreichste Frau des Universums“.  Ihr späterer Mann, August Varnhagen, gab sich beeindruckt von einer Zusammenkunft: „Die Gesellschaft war ungemein belebt, in größter Freiheit und Behaglichkeit; jeder gab sich als das, was er sein konnte“ und „jeder zu herbe Ernst wurde von Witz und Scherz aufgefangen, die ihrerseits wieder, bevor sie ausarten konnten, von Wahrheit und Verstand ergriffen wurden“. 

Kokettierend und nicht wenig von sich überzeugt, erklärte Varnhagen, sie habe „als einzige Gabe“, dass sie verstehe „was jeder fühlt, und was jedem fehlt“. Entsprechend äußerte sie über die französische Schriftstellerin Germaine de Staël: „Verstand hat sie genug, aber keine horchende Seele“. Von zwei Hypotheken fühlte sich Rahel Varnhagen – geborene Levin, später nahm die Familie den Namen Robert an – belastet: Sie meinte, es sei „Menschenunkunde“, wenn man glaube, der Geist der Frau sei anders als der des Mannes. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft erfuhr sie Ablehnung, haderte allerdings auch selbst mit dieser Herkunft. 

Etwa 6000 Briefe von ihr sind erhalten, um ihr Andenken machte sich insbesondere der deutlich jüngere, sie schwärmerisch verehrende August Varnhagen verdient, der ihr gegenüber Sätze äußerte wie: „Als Dein Apostel möchte ich leben“. Sehr modern klingen naiv-pazifistische Aussagen Rahel Varnhagens, sie habe „einen Plan im Herzen, alle europäischen Frauen aufzufordern, dass sie den Krieg niemals mitmachen wollen“. 

Dass die Autorin Nolte ihrer Protagonistin Sympathien entgegenbringt, ist deutlich zu spüren. Häufig kommt diese selbst zu Wort, was ihr sicher gefallen hätte, immerhin verstand sie sich als „Eckmensch“ im „Gebilde der Menschheit“. Rahel Varnhagen konnte sich von einst geschätzten Freunden auch wieder entfernen, so etwa von Friedrich von Gentz, was Nolte vor allem mit dessen politischer Tätigkeit – er sei „immer konservativer geworden“ – erklärt. Liebschaften hatte Rahel Varnhagen reichlich, diesbezügliche Treue war für sie kein Thema. 

Solch freizügige Ansichten teilte sie mit Hermann von Pückler-Muskau, der zu ihren zahlreichen Gästen gehörte und der ihr und ihrem Mann seine Entdeckung als Schriftsteller verdankt. Über Pückler – Reisender, Landschaftsarchitekt, Schriftsteller und vor allem schillernde Figur der Epoche – hat Dorothee Nolte ebenfalls einen Band vorgelegt, hier wieder mit dem Untertitel „Anekdoten“. 

„Grüner Fürst und Bestseller-Autor“

Ähnlich kurzweilig wie Rahel Varnhagen, aber mit etwas weniger Politikanklängen, wird der „grüne Fürst“ präsentiert – der sich etwa von seiner Frau Lucie formal scheiden ließ, um in England nach einer einträglichen Verbindung Ausschau zu halten. Man brauchte dringend Geld für den Unterhalt der Besitzungen. Das Ganze geschah im Einverständnis mit Lucie, mit der er verbunden blieb und intensiv korrespondierte, auch über diese Frage. So schrieb Pückler in die Heimat: „Der Himmel gebe nur endlich ein Wild, was der Mühe Wert ist, und ist es kein Edelhirsch, so müssen wir uns mit einem Häschen begnügen – den Hunger zu stillen.“ 

„Was werden die Leute davon sagen?“ – das interessierte Pückler nicht. Wichtig war ihm allerdings die Frage: „Werden auch die Leute etwas davon sagen?“ Laut Nolte wurden Pücklers literarische Arbeiten von mehr Zeitgenossen gelesen als die Bücher „Goethes und Heines zusammen“. Pückler selbst war auch ein Leser – wie bei Hesse und Petzel zu erfahren ist, war er sehr erfreut, als E.T.A. Hoffmann ihm sein Buch „Klein Zaches genannt Zinnober“ übersandt hatte und antwortete, „Zinnober“ werde „zu den anderen Lieblingen der Phantasie und der Nacht in des Teufels Küche logiert“. 

Eine Hausordnung für sein Schloss Branitz ist von Pückler überliefert. Der einzige Zwang war das „Diner“ um neun Uhr am Abend, nur „Krankheit, die der liebe Gott verhüte, dispensiert von dieser Pflicht“. Ansonsten finden sich Bestimmungen wie „Vollständige Freiheit für Wirt und Gäste“ oder „Jedermann steht auf, wann es ihm beliebt, und frühstückt, was er will und befiehlt“. Kleiner Wermutstropfen des Bandes: Das Pückler-Eis hat der Fürst nicht persönlich erfunden. Dafür ist das Buch über ihn von den drei hier vorgestellten das heiterste.





Lebensbilder 

Dorothee Nolte Ich liebe unendlich Gesellschaft. Rahel Varnhagen. Lebensbild einer Salonière Eulenspiegel-Verlag 2021, 128 Seiten, mit Lesebändchen, ISBN 978-3-359-03003-4 12 Euro

Bernd Hesse / Jörg Petzel E.T.A. Hoffmann. Ein Lebensbild in Anekdoten Eulenspiegel-Verlag 2021, 128 Seiten, mit Lesebändchen, ISBN 978-3-359-03013-3 12 Euro 

Dorothee Nolte Fürst Pückler. Ein Lebensbild in Anekdoten Eulenspiegel-Verlag 2020, 128 Seiten, mit Lesebändchen, ISBN 978-3-359-01196-5, 12 Euro

Weitere Informationen zu dieser Reihe: www.eulenspiegel.com