26.04.2024

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Folge 43-22 vom 28. Oktober 2022 / Branchen vor dem Abschwung / Eine Mischung aus globalen Faktoren und hausgemachten Problemen bedroht derzeit ganze Geschäftszweige der deutschen Wirtschaft. Doch wie jede Krise hat auch diese ihre Gewinner. Ein Überblick

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-22 vom 28. Oktober 2022

Branchen vor dem Abschwung
Eine Mischung aus globalen Faktoren und hausgemachten Problemen bedroht derzeit ganze Geschäftszweige der deutschen Wirtschaft. Doch wie jede Krise hat auch diese ihre Gewinner. Ein Überblick
Konrad Badenheuer

Dass wir vor wirtschaftlich schweren Zeiten stehen, pfeifen die Spatzen längst von den Dächern. Interessant ist ein Blick auf die verschiedenen Branchen der deutschen Wirtschaft. Alle sind konfrontiert mit hohen Energiepreisen, sinkender Kaufkraft der Verbraucher, Facharbeitermangel sowie mit mehr Unsicherheit durch Inflation und geopolitische Risiken. Gleichwohl sind die Auswirkungen der allgemeinen Krise von Branche zu Branche enorm unterschiedlich – es gibt sogar Gewinner.

Mit an über 400 Milliarden Umsatz pro Jahr ist die Autoindustrie nach wie vor der größte Wirtschaftszweig des Landes. Noch wird dort gutes Geld verdient, aber die Branche plagen viele Sorgen gleichzeitig: China ist der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt für deutsche Autos, aber dort ist die Wirtschaft in der Flaute und es gibt politische Risiken. Die Umstellung auf Elektroantrieb krempelt die Branche um: Elektroautos bestehen aus weniger Komponenten und sie sind immer noch recht teuer in der Herstellung. Da ist es ein Problem, dass der Kauf von Elektroautos in verschiedenen Ländern Europas in ganz unterschiedlicher Höhe vom Staat gefördert wird. Die Automobilbranche hat auch lange unter Lieferkettenproblemen und einem Mangel an Chips gelitten, und diese Probleme sind noch nicht ganz gelöst. Immerhin erleichtert die Euroschwäche den Export in viele Länder und macht ihn auch profitabler.

Folgen der hohen Energiekosten

Die Chemiebranche mit gut 200 Milliarden Euro Umsatz im Jahr hat heute vor allem das Problem, dass sie so energieintensiv ist. Die BASF ist einer der größten Gas- und Stromverbraucher in Deutschland. Die heutigen Energiepreise verteuern die Produktion massiv, außerdem sind viele Rohstoffe und Vorprodukte teurer geworden. Letzteres ist überall auf der Welt gleich, aber die Energiepreise sind in Deutschland viel stärker gestiegen als anderswo. Ähnlich wie die Autoindustrie blickt die Branche auf sehr gute Jahre zurück, bis zuletzt wurde klotzig verdient. 

Der Maschinen- und Anlagenbau ist mit über 250 Milliarden Umsatz pro Jahr die zweitgrößte Branche im Land – und dabei enorm vielgestaltig. Auch hier sind viele Vorprodukte teurer und durch Lieferkettenpro-bleme teilweise sogar knapp geworden, vor allem Halbleiter und Chips. Die hohen Energiepreise erzwingen Einsparungen und Restrukturierungen. Die Branche hat dabei noch sehr volle Auftragsbücher, sie hat bis zuletzt gut verdient und die Bestellrückgänge seit Sommer sind gering. Jedoch ist der Maschinenbau besonders konjunktursensibel: Wenn die Wirtschaftsleistung um zwei Prozent schrumpft, gehen die Investitionen in neue Maschinen schnell um zehn Prozent zurück. Beobachter erwarten deswegen im kommenden Jahr reale Umsatzrückgänge. Es gibt auch Lichtblicke: Die Branche hat Erfahrung mit Konjunkturschwankungen und kann damit umgehen, sie profitiert vom starken Dollar und auch von den zuletzt wieder gesunkenen Preisen für viele Industriemetalle. 

Nach den vielen schlechten Nachrichten der letzten Monate hat die Elektrobranche mit deutlichen Bestellrückgängen gerechnet – und war dann selbst überrascht, dass der Auftragseingang bis zuletzt hoch geblieben ist. Ein Grund dafür ist, dass die Anpassung an hohe Energiepreise und die boomende Digitalisierung massive Investitionen mit Elek-tro-Produkten erfordern. Die Branche könnte damit einer der wenigen Gewinner der momentanen Probleme sein oder zumindest glimpflich davonkommen. Diese gute Nachricht wird von der Metall- und Elektroindustrie zurzeit aber eher versteckt, weil Tarifverhandlungen im Gange sind. 

Etwa so stark wie die Chemiebranche ist die Stahl- und Grundstoffindustrie von den hohen Energiepreisen betroffen. ArcelorMittal, der größte Stahlproduzent der Welt, betreibt in Deutschland vier Werke, an drei davon wird jetzt kurzgearbeitet. Der Grund ist nicht mangelnde Nachfrage, sondern es sind schlicht Energiepreise, die eine Verhüttung in Deutschland unrentabel machen. Auch bei Aluminium und Zink wurde die Produktion an mehreren Standorten in Deutschland und anderswo in Europa schon heruntergefahren oder gestoppt. Ob diese Produktionen mit wieder niedrigeren Energiepreisen erhalten werden können, steht in den Sternen. Immerhin ist die Branche kein sehr großer Arbeitgeber mehr, weil sie hoch automatisiert ist. 

Warum auch die Energieversorger nicht von der Lage profitieren

Bei den Energieversorgern muss man unterscheiden. Ob die hohen Preise ihnen schaden, hängt davon ab, zu welchen Konditionen sie eingekauft oder produziert haben und zu welchen Preisen sie Strom und Gas dann verkaufen können oder auch müssen. Viele kommunale und regionale Versorger stehen mit dem Rücken zur Wand, weil sie seit Beginn des Ukrainekrieges sehr teuer einkaufen mussten, aber nur einen Teil dieser Kosten an ihre Abnehmer weitergeben konnten. Für die Verbraucher waren die neuen Preise oft ein Schock, aber für die Versorger immer noch nicht kostendeckend – das war dann auch der Anlass für die lange diskutierte Gaspreisumlage, die allerdings die Preise für Haushalte und Unternehmen noch mehr in die Höhe getrieben hätte. Das Projekt wurde deswegen zu Recht gestoppt, womit freilich die Notlage dieser Versorger andauert. 

Völlig anders ist die Lage bei Stromerzeugern, die zu nur wenig gestiegenen Kosten Strom aus Wind, mit Solaranlagen, Biomasse oder Kohle produzieren können, aber im Verkauf massiv von den hohen Preisen profitiert haben. Hier sind riesige Zufallsgewinne entstanden, die nun mit einer Sondersteuer zu bis zu 90 Prozent abgeschöpft werden sollen. Dieses populäre Vorhaben ist nun im Grundsatz auch auf EU-Ebene gebilligt worden, aber die Umsetzung ist schwierig. Es ist nicht einfach, klar zu definieren, was ein „Zufallsgewinn“ im Sinne der geplanten Steuer ist. Außerdem ist die vorgesehene Rückwirkung der Steuer ab dem 1. März 2022 juristisch heikel. 

In kaum einer Branche gibt es heute so viel Weltuntergangsstimmung wie in der Immobilienwirtschaft. Die Baupreise sind schon seit Jahren massiv gestiegen, jetzt wurden mit den ersten Zinserhöhungen auch die Finanzierungen teurer. Da die Kundschaft außerdem Realeinkommensverluste erlitten hat, werden viele Käufe von Wohnungen und Geschäftsimmobilien storniert, die Projektentwickler und Baufinanzierer sind nach langer Zeit erstmals mit Umsatzeinbrüchen konfrontiert. In der Branche geht die Sorge um, dass die seit bald zwanzig Jahren stets gestiegenen Immobilienpreise abbröckeln oder gar einbrechen könnten, vor allem wenn es zu einer Insolvenzwelle mit Zwangsversteigerungen kommt. Da überrascht es nicht, dass die Aktien der großen Wohnungsbaukonzerne seit Jahresanfang um teilweise über die Hälfte eingebrochen sind. 

Keine Entlastung bei Immobilienpreisen

Bei genauem Hinsehen ist die Lage aber sehr unterschiedlich. Absehbar ist, dass Millionen Menschen angesichts sinkender Realeinkommen und teurer Energie künftig auf kleineren Flächen wohnen wollen oder müssen: Junge Leute ziehen später aus und bilden dann eher Wohngemeinschaften, statt eigene Wohnungen zu mieten, ältere Leute ziehen eher in kleinere Wohnungen um, wenn der Nachwuchs ausgeflogen ist. Beides reduziert die Nachfrage nach Wohnraum und den Bedarf an Neubauten beträchtlich. Da das Baugewerbe seit Jahren an der Kapazitätsgrenze arbeitet, in dieser Zeit prächtig verdient hat und demnächst viele Fachkräfte in Rente gehen, hält sich hier die Not in Grenzen. 

Ein großer Einbruch bei den Preisen ist noch weniger zu erwarten, denn die hohen Baukosten werden nicht wieder sinken und Bestandsbauten können ja auf Dauer nicht weniger kosten als gleichwertige Neubauten. Unbestreitbar sind über Jahre hinweg die Preise schneller gestiegen sind als die Mieten, sodass viele Immobilien heute nur noch magere Renditen von unter vier Prozent abwerfen. Aber was wäre die Alternative für den Anleger? Anleihen bringen heute gut zwei Prozent Zinsen bei zehn Prozent Inflation – also real minus acht Prozent. Der Verlust ist hier sicher (außer es geschieht das Wunder der schnellen Rückkehr zur Preisstabilität), während Immobilien erfahrungsgemäß letztlich doch mit dem allgemeinen Preisniveau im Wert steigen und damit inflationsgeschützt sind. Ein echter Preisverfall droht so gesehen nur für Immobilien in Abwanderungsgebieten, vor allem wenn sie schlecht wärmegedämmt sind.

Was die Inflation angeht, so sitzt die Landwirtschaft zwischen Baum und Borke: Die hohen Preise für Diesel und Düngemittel belasten sie, die hohen Lebensmittelpreise nützen ihr. Allerdings sind die Abnahmepreise für die Landwirte bisher viel weniger gestiegen als die Weltmarktpreise Insofern überwiegen vorerst die Belastungen, vor allem in der Tierzucht. Viele Landwirte bauen zurzeit die Stromerzeugung aus Biomasse, Windkraft oder Solarenergie deutlich aus. 

Dem Handel droht eine Pleitewelle 

Seit Jahren setzt der Online-Handel dem stationären Handel zu, ein Veränderungsprozess, der noch andauert. Alle Teile des Handels stehen jetzt aber zusätzlich durch die massiv gestiegenen Einkaufspreise unter Druck, die bisher nur zu einem kleinen Teil beim Verbraucher angekommen sind. Im September sind die Großhandelspreise auf Jahresbasis um 19,9 Prozent gestiegen, die Verbraucherpreise aber „nur“ um zehn Prozent. In der harten Klemme zwischen diesen beiden Werten steht der Handel, dessen Margen schwinden und der zusätzlich unter hohen Energie- und Transportpreisen leidet. Eine Pleitewelle könnte schon bald beginnen. 

Mehrere große Banken haben zuletzt mit deutlich besseren Geschäftszahlen überrascht. Hauptgrund ist die Rückkehr positiver (nominaler) Zinsen, die ja fast die Grundlage des Bankgeschäfts bilden. Ein weiterer Grund ist, dass bisher die Wirtschaft insgesamt noch rund läuft, gute Gewinne macht und die Beschäftigung hoch ist. Die Krise ist zwar absehbar, hat aber noch nicht wirklich begonnen. Für die Banken gibt es freilich (außer dem absehbaren Abschwung selbst) noch ein zweites, wenig beachtetes Risiko: Ein weiterer Zinsanstieg würde die Anleihekurse in den Keller gehen lassen. Banken halten aber große Anleihebestände als Teil ihres Eigenkapitals und weitere Bestände im sogenannten Eigenhandel. Hier liegt ein Risiko für die Bilanzen mehrerer Banken und – stärker noch – Versicherungen. 

Dieser Rundumblick deckt nicht alle Branchen der Wirtschaft ab, insbesondere einige Dienstleistungsbereiche sind unerwähnt geblieben. Die Logik für sie ist einfach: Je stärker hohe Energie- und Rohstoffpreise sowie der Kaufkraftverlust der Verbraucher sich auf das jeweilige Geschäft auswirkt, um so mehr Probleme sind zu erwarten.