26.04.2024

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Folge 43-22 vom 28. Oktober 2022 / Nachruf / Leiser Abtritt von der Bühne des Lebens / Im Alter von 85 Jahren in Hamburg gestorben – Der ostpreußische Schauspieler und Rezitator Herbert Tennigkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-22 vom 28. Oktober 2022

Nachruf
Leiser Abtritt von der Bühne des Lebens
Im Alter von 85 Jahren in Hamburg gestorben – Der ostpreußische Schauspieler und Rezitator Herbert Tennigkeit
Uta Buhr

Dies vorweg: Herbert Tennigkeit war ein lustiger Vogel, stets zu Scherzen und heiteren Geschichten aufgelegt, die er in seiner unnachahmlichen Art zum Besten gab. Hinter dieser mitreißenden Fröhlichkeit verbarg sich ein nachdenklicher belesener Feingeist, der gern über die Dinge philosophierte, die weit über das Alltägliche hinausreichten. 

1937 in Gröszpelken im ostpreußischen Memelland geboren, floh er 1944 kurz vor Kriegsende unter dramatischen Umständen mit seiner Mutter und seinen Brüdern vor der Roten Armee gen Westen. Nach einem Aufenthalt in Sachsen trieb es die Familie weiter nach Berlin.

Die Mutter war praktisch veranlagt und bestand darauf, dass der Sohn erst einmal „etwas Ordentliches“ lernte. Der ging daraufhin bei einem Maler und Anstreicher in die Lehre, der ihm beibrachte, wie man vom Krieg verwahrloste Häuser wieder in einen bewohnbaren Zustand zurückversetzte. Geschadet habe ihm diese Ausbildung zum Handwerker nicht, gestand Tennigkeit einmal. Aber sein Traumziel, Schauspieler zu werden, habe er nie aus den Augen verloren. 1962 war es dann so weit. Er zog nach Düsseldorf und nahm dort Unterricht bei einem seinerzeit bekannten Schauspieler. Auch zum Sänger ließ er sich ausbilden. 

Diese solide Ausbildung hat sich gelohnt, denn in der Folgezeit durfte sich der frisch gebackene Mime über eine Reihe von Engagements an bekannten westdeutschen Bühnen freuen. Während ein Tourneetheater ihn durch viele Städte der Republik führte, stand er auf der Bühne des Hamburger Ernst-Deutsch-Theaters, brillierte bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen, trat in der Komödie Frankfurt auf und wirkte in Theaterproduktionen mit, die ihn in die Niederlande, nach Österreich und Großbritannien führten. Sein umfangreiches Repertoire umfasste unter anderem Stücke von Shakespeare, Osborne, Brecht, Kleist und Hochhuth. Auch in Operetten und Musicals trat dieser vielseitige Künstler auf. Besonders gelungen empfand er seinen Auftritt in „Irma la Douce“: „Ein bezaubernd frivoles Stück.“ Schade nur, dass er der Irma aller Irmas, Shirley MacLaine, nie begegnet ist. Aber man kann halt nicht alles haben. 

Als Sprecher machte Herbert Tennigkeit sich ebenfalls einen Namen. Seine sonore Stimme eignete sich gut für Hörspiele. Dabei lagen ihm die Karl-May-Hörspiele besonders am Herzen: „Welcher Jugendliche hat nicht alle oder die meisten der insgesamt 65 Romane dieses Titanen der spannenden Lektüre verschlungen?“ Nicht wenige von uns haben sie mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen.

In den 1970er Jahren begann Tennigkeit eine viel beachtete Karriere als Darsteller in Fernsehfilmen und -serien. Unvergessen ist seine Rolle als Anästhesist Dr. Laudann in der „Schwarzwaldklinik“, einer Serie, die sich zu einem veritablen Straßenfeger entwickelte. Kitsch as Kitsch can? Wahrscheinlich. Aber das Publikum war begeistert von der heilen Welt des Schwarzwaldes und den Protagonisten, die so sympathisch menschlich herüberkamen. Fast genauso beliebt waren Serien vom Schlage „Das Erbe der Guldenbergs“, „Das Traumschiff“, „Hotel Paradies“ und „Kreuzfahrt ins Glück“, in denen Tennigkeit ebenfalls Erfolge feierte.

Unschlagbar war Tennigkeit als Rezitator. Seine Lesungen in ostpreußischer Mundart sind bis heute unvergessen. Wenn er aus Siegried Lenz’ „So zärtlich war Suleyken“ las oder Günther Ruddies’ „Woher kommen die Marjellchens?“ rezitierte, blitzte in den Augen mancher Zuhörerin aus der „kalten Heimat“ nicht selten ein heimliches Tränchen auf. 

Seine ostpreußische Heimat hat Tennigkeit nie vergessen. Er trug sie immer im Herzen. Mehrmals ist er an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt. In einem Interview vor Jahren, das die PAZ mit ihm führte, bekannte er sich offen zu seiner Sehnsucht nach seinem heimatlichen Kreis Pogegen. Er wollte seinen Sandkasten, den Apfelbaum im elterlichen Garten und auch seine Schule wiedersehen. Und – oh Wunder – alles war noch da. Da darf auch ein gestandenes Mannsbild eine Träne vergießen.

In Erinnerung bleibt eine gemeinsame Fahrt mit Tennigkeit zu einem Termin an der Ostsee. Während der kurzen Reise erzählte er in beredten Worten viel aus seinem ereignisreichen Leben als Darsteller großer Rollen und gestand ganz nebenbei, dass er sogar mit dem Gedanken gespielt habe, Schlagersänger zu werden. Einfach, weil er gern singe. Ganz so wie der große Kollege Gustav Gründgens, der einmal bekannte: „Ich weiß ja, ich kann nicht singen. Und dabei singe ich doch so gern.“

Aber Tennigkeit konnte wirklich singen. Immerhin hatte er in jungen Jahren Gesangsunterricht genommen. Und so sang er auf dem Weg nach Timmendorfer Strand aus voller Kehle „Lilli Marlen“, „Die Beine von Dolores“ und „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“. Ein unvergessliches Erlebnis. 

Schließlich, doch nicht zuletzt, muss an dieser Stelle noch Tennigkeits langjährige enge Freundschaft mit der in Königsberg geborenen Autorin, Journalistin und PAZ-Mitarbeiterin Ruth Geede erwähnt werden, die im April 2018 im biblischen Alter von 102 Jahren verschied. Geede, die Doyenne ihrer Zunft, teilte ihre Liebe und lebenslange Sehnsucht nach Ostpreußen mit Tennigkeit. Und niemand konnte ihre Gedichte und Prosa so schön im ostpreußischen Idiom rezitieren wie er. Eine Kostprobe seiner Kunst konnten die Gratulanten zur Feier des 100. Geburtstages von Geede im Jahr 2016 genießen. 

Nun ist auch Herbert Tennigkeit von uns gegangen. Er starb am 10. Oktober im Alter von 85 Jahren in Hamburg.