25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 44-22 vom 04. November 2022 / Energiekrise / Französisches Strom-Dilemma / Chronik eines angekündigten Desasters: Das Nachbarland westlich des Rheins muss trotz vieler Atommeiler teures Frackinggas aus den USA einkaufen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-22 vom 04. November 2022

Energiekrise
Französisches Strom-Dilemma
Chronik eines angekündigten Desasters: Das Nachbarland westlich des Rheins muss trotz vieler Atommeiler teures Frackinggas aus den USA einkaufen
Eva-Maria Michels

Wie überall in der EU heißt es auch in Frankreich offiziell, dass Putin Schuld an explodierenden Gas- und Elektrizitätspreisen habe. Doch die Fakten sagen etwas anderes: Die Energiepreise stiegen bereits in der zweiten Hälfte 2021 – also schon vor dem Beginn des Ukrainekriegs – so stark an, dass sich die Regierung genötigt sah, am 30. September vergangenen Jahres einen Preisdeckel für Strom und Gas für Privathaushalte einzuführen, um den sozialen Frieden zu wahren.

Nicht die eigentlich geringen Produktionskosten der lange abgeschriebenen einheimischen Atomkraftwerke bestimmen nämlich den französischen Strompreis, sondern der internationale Gaspreis und vor allem der Strompreis der extrem teuren Erneuerbaren Energien, deren Privilegierung bei der Einspeisung ins europäische Stromnetz Ex-Kanzlerin Angela Merkel 2009 durchsetzte.

Weil Frankreich zudem die Liberalisierungsvorgaben der EU zu erfüllen hat, muss die staatlich dominierte Elektrizitätsgesellschaft Électricité de France (EDF) seit 2010 ihren Atomkraft-Strom zum Festpreis von 42 Euro pro Megawattstunde an alternative Stromverkäufer, das heißt multinationale Konzerne wie Vattenfall oder TotalEnergies, abgeben, deren Marktpreis inzwischen um mehrere Hundert Euro höher ist. 

EDF ist deshalb heute mit mehr als 40 Milliarden Euro Schulden de facto bankrott und wurde im Juli von der Regierung renationalisiert. Die Regierung begründete dies mit dem Wunsch nach „energetischer Unabhängigkeit“ und dem Plan, neben neuen Windparks sechs bis 14 neue Atomkraftwerke zu bauen. 

Strom aus Deutschland

Vom Altbestand der 56 Atommeiler stehen mehr als die Hälfte im Moment still wegen Wartungsarbeiten, die aufgrund der Lockdowns verschoben wurden, und weil EDF sie in den letzten Jahren auf ein Minimum reduziert hatte wegen der von Deutschland dominierten atomfeindlichen EU-Politik. So ist aus Europas erstem Stromexporteur seit Ende 2021 ein Stromimporteur geworden: Frankreich bezieht Gasstrom aus Deutschland.

Ein ähnlich desolates Bild gibt der französische Gasmarkt ab: Die steigende internationale Nachfrage nach den Lockdowns und dem Krieg in der Ukraine haben nur einen marginalen Effekt. Verantwortlich für die Preisexplosion ist einerseits der europäische Emissionshandel, wo die Preise Anfang 2021 um mehr als 50 Prozent anstiegen, was zu einer verstärkten Nachfrage nach Gasstrom zulasten von Kohlestrom führte, und andererseits die Investitionen in Höhe von mehr als 34 Milliarden Euro miteinander verwobener französischer Großbanken, Versicherungen sowie von Engie, dem Nachfolgeunternehmen des ehemals staatlichen Gaslieferanten GDF, in die US-amerikanische Frackingasindustrie seit Mitte der 2010er Jahre. 

Mit den Lockdowns und der nachlassenden Nachfrage drohte der umstrittenen amerikanischen Frackinggasindustrie das Aus. Um die Investitionen zu retten, unterzeichnete Engie bereits 2020 mit NextGeneration einen 20-Jahres-Vertrag, der aufgrund eines staatlichen Vetos jedoch nicht zustande kam. 

Ein Jahr später, immer noch vor dem Ukrainekrieg, unterzeichnete Engie in aller Stille, aber wahrscheinlich mit Wissen des Staates, einen Vertrag über ein geringeres Volumen mit dem US-Energiekonzern Cheniere Energy, für den offiziell nicht die Zustimmung des Aufsichtsrates, in dem der Staat Hauptaktionär ist, nötig war. Der Kriegsausbruch in der Ukraine diente demnach als Alibi, um das Vertragsvolumen mit Cheniere Energy zu aktivieren und den Vertrag mit NextGeneration doch noch abzuschließen.

Kessel droht zu platzen

Heute sind Frankreichs Gasspeicher zu 100 Prozent vor allem mit US-Frackinggas gefüllt, das zu einem im Verhältnis zu normalem Gas siebenmal höheren Preis erworben wurde, während der Preis für Erdgas am Spotmarkt wegen fehlender Nachfrage negativ geworden ist. Den wirtschaftlichen Schaden für das Land noch weiter erhöhend, wird das Unternehmen Engie einen Teil des überteuerten Gases im Rahmen der „europäischen Solidarität“ an die Bundesrepublik Deutschland weiterleiten, damit der neue Staatskonzern Électricité de France von dort Gasstrom in Höhe von 20 Milliarden Euro beziehen kann, was die Schulden auf 60 Milliarden Euro erhöht.

Die französische Öffentlichkeit wird von der Regierung seit dem Sommer mit infantilisierenden Slogans auf kommende Stromausfälle und auf das Einsparen von Gas und Strom eingeschworen.

Die Stimmung im Land kippt wieder einmal. 94 Prozent der Bürger sind laut Ipsos-Umfrage vom September unzufrieden, 36 Prozent davon wütend. Macrons brutale Niederschlagung der Gelbwestenproteste lähmt jedoch bisher den Widerstand. Die Demonstrationen und Streiks der Gewerkschaften und der linksextremen Insoumis finden über ihren direkten Anhängerkreis hinaus keinen Anklang mehr, weil sie mehrheitlich als Teil des verhassten Systems wahrgenommen werden. Doch irgendwann droht der Kessel zu explodieren.