27.04.2024

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Folge 44-22 vom 04. November 2022 / Gesundheit / Wenn die Polio-Impfung zur Polio-Schleuder wird / Jüngst Geimpfte scheiden Teile des Erregers aus – und können Ungeimpfte damit infizieren: Erste Fälle in New York und London

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-22 vom 04. November 2022

Gesundheit
Wenn die Polio-Impfung zur Polio-Schleuder wird
Jüngst Geimpfte scheiden Teile des Erregers aus – und können Ungeimpfte damit infizieren: Erste Fälle in New York und London

Das Humane Polio- beziehungsweise Poliomyelitis-Virus (PV) ist ausgesprochen heimtückisch. Es kann beim Menschen schwerwiegende bleibende und teilweise auch tödliche Lähmungen verursachen, wobei überwiegend Kinder betroffen sind. Noch 1952 starben in der Bundesrepublik 9000 Personen an der Krankheit, und viele weitere trugen lebenslange Schäden davon. 

Inzwischen hat die sogenannte „Kinderlähmung“ ihren Schrecken weitgehend verloren. Hierzulande gilt sie sogar als „faktisch ausgerottet“. Dies ist eine Folge der Impfkampagnen seit 1955, denn die Impfungen erzeugen lang anhaltende Immunität. Dennoch haben die ab 1960 verwendeten, oral zu verabreichenden Polio-Vakzine (OPV) einen Nachteil, der dazu führt, dass das Virus nicht komplett aus der Welt verschwindet und neuerdings sogar verstärkt zurückkehrt, obwohl es keinen tierischen Wirt hat, in dem es überleben könnte.

Der Polio-Erreger gehört zur Gattung der Enteroviren und siedelt im Darm. Nach einer oralen Aufnahme kommt es zur Infektion, die aber meist ohne Symptome verläuft. Nur in einem Prozent der Fälle befallen die Viren die Nervenzellen und lösen so die „Kinderlähmung“ aus. Bei einer OPV-Schluckimpfung erhält der Proband stark abgeschwächte PV. Allerdings vermehren sich diese Impfviren im menschlichen Körper und werden mehrere Wochen lang mit dem Kot ausgeschieden. Deshalb ist es möglich, dass Geimpfte unter schlechten hygienischen Bedingungen das Impfvirus auf Ungeimpfte übertragen. So erfolgt quasi eine Sekundärimpfung – wenn alles gut geht.

Ein neues Vakzin soll helfen

Doch dafür gibt es keine Garantie, weil die abgeschwächten Impfviren genetisch instabil sind und schon durch einige wenige Mutationen ihre alte Gefährlichkeit zurückerlangen können. Das wird in solchen Situationen zum ernsten Problem, in denen das zurückevolvierte Impfvirus (Vaccine-Derived Poliovirus, VDPV) auf Nichtimmunisierte trifft. Dies passiert vorzugsweise in Ländern, in denen keine flächendeckenden Impfungen erfolgen wie beispielsweise in Nigeria, Afghanistan oder Pakistan. Dabei erkrankt zwar nur ein kleiner Prozentsatz der vom VDPV Befallenen, allerdings scheiden die Virenträger ohne Symptome den Erreger aus und verbreiten ihn – bei hoher Mobilität – unter Umständen weltweit. 

Das ist der Grund, warum die „Kinderlähmung“ nun auch wieder in westlichen Staaten auftritt, wo die Impfmüdigkeit angesichts des scheinbaren Verschwindens der Poliomyelitis zugenommen hat. Entsprechende Fälle gab es im vergangenen Sommer in New York und London. Deshalb warnt Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung: „Wir werden uns auch in Europa wieder mit Polio beschäftigen müssen.“

Angesichts dieser Situation gelten nun Impfungen mit nOPV als Königsweg der endgültigen Auslöschung der „Kinderlähmung“. nOPV sind Vakzine, bei denen die abgeschwächten Impfviren genetisch verändert wurden, um die Entstehung von VDPV zu verhindern. Ob diese ihren Zweck erfüllen und keine neuen, bislang unentdeckten Probleme aufwerfen, muss sich erweisen. W.K.