25.04.2024

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Folge 44-22 vom 04. November 2022 / Vertriebenenseelsorge / „Nicht Sprengstoff, sondern Baustein“ / Integration der katholischen Heimatvertriebenen im Westen – Zum 75-jährigen Bestehen der Ackermann-Gemeinde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-22 vom 04. November 2022

Vertriebenenseelsorge
„Nicht Sprengstoff, sondern Baustein“
Integration der katholischen Heimatvertriebenen im Westen – Zum 75-jährigen Bestehen der Ackermann-Gemeinde
Bodo Bost

In seinem Buch „75 Jahre Seelsorge für die Deutschen aus der Tschechoslowakei“ dokumentiert Rainer Bendel den Beitrag von katholischen Vertriebenen bei ihrer Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft, trotz Widerständen aus dem Episkopat.

Bendel geht es trotz anderslautendem Titel seines Buches um die katholische Vertriebenenseelsorge überhaupt. Das erste der vielen Fotos in seinem Buch zeigt den vertriebenen ermländischen Bischof Maximilian Kaller (1880–1947), der nach Kriegsende der erste Päpstliche Sonderbeauftragte für die deutschen Vertriebenen wurde. Kaller war mit Abstand der dynamischste unter den vertriebenen Bischöfen. Schon als Priester war der aus Schlesien Stammende offen für neue Wege der Pastoral, womit er in seiner nur kurzen Zeit als Vertriebenenbischof Wegmarken setzte. Unter schwierigen Bedingungen schuf Kaller den Grundstock für das neue Zentrum der katholischen Vertriebenen in Königstein. 

Das dem Buchtitel vorangestellte Zitat „... daß sie Boten der Versöhnung und Boten des Friedens seien“ stammt von dem Augustinerpater Paulus Sladek (1908–2002), dem ehemaligem Leiter der kirchlichen Hilfsstelle Süd in München. Sogar in der Sprache zollte man dem Versöhnungsgedanken von Anfang an Rechnung, die Vertriebenen hießen am Anfang „Umquartierte“, das Wort Vertriebene konnte man ja mit Gewalt assoziieren. Im Sprachduktus der 1950er Jahre sollten die Vertriebenen „nicht Sprengstoff, sondern Baustein sein“. Ganz in diesem #Sinne arbeitete sudetendeutsche Ackermann-Gemeinde (AG). Das 75-jährige Bestehen der AG war Anlass für dieses Buch. 

Schon im Vorfeld der „Charta der Heimatvertriebenen“ von 1950 gelobten die Vertriebenen auf ihrer Wallfahrt in Altötting 1947 den „Verzicht auf Rache und Vergeltung“. Diese Wallfahrt war auch ein Zeichen an die zögernden, ja abweisenden einheimischen Bischöfe, die der Notwendigkeit einer Sonderseelsorge für Vertriebene ablehnend gegenüberstanden. Mit dem Erzbischof von Breslau, der Primas von Deutschland war, hatten die deutschen Bischöfe auch ihr Oberhaupt verloren. Hinweise auf Spannungen der katholischen Vertriebenenseelsorge mit der Bischofskonferenz (DBK) durchziehen das Buch. Auch beim Versöhnungsprozess der Bischofskonferenzen mit Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn etc. wurden die Vertriebenen außen vor gelassen, so ganz vertraut hat man ihnen trotz Charta doch nicht. 

Auch die Visitatoren der in den Vertreibungsgebieten liegenden Diözesen, denen schon, bevor sie 1998 die Bischofskonferenz verlassen mussten, das Stimmrecht genommen worden war, sind ein gutes Beispiel für mangelndes Vertrauen. Dieses gestörte Vertrauensverhältnis  geht bis heute weiter. 

Kein Heimatvertriebener gehörte den ersten Gremien des nach der friedlichen Revolution 1989 gegründeten Osteuropahilfswerkes Renovabis an. Zuletzt wurde der Katholische Flüchtlingsrat bei der Besetzung des Stiftungsrats der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV) zugunsten von Pax Christi von der DBK umgangen. Das führte dazu, dass Vertriebenenverbände und deutscher Flüchtlingsrat ihre eigenen Hilfswerke und ihre eigenen Versöhnungs- und Erinnerungsprojekte mit den Herkunftsgebieten begannen, davon zählt das Buch viele auf. 

Noch heute warten die katholischen Vertriebenen auf eine Aufarbeitung des Verhaltens des polnischen/tschechischen/slowakischen Klerus einschließlich Bischöfe gegenüber den 1945 vertriebenen deutschen Priestern und Bischöfen. Eine Gerechtigkeitsfrage, die anlässlich des Ukrainekrieges jetzt wieder Aktualität erlangt hat. 

Auch Rom hat sein anfänglich positives Verhältnis zu den Heimatvertriebenen geändert. Als der Vatikan die Bistumsgrenzen in den Oder-Neiße-Gebieten 1972 neu regelte, wurde das Unrecht der Vertreibung von Millionen Deutscher gar nicht erwähnt. Von Anfang an, so Bendel, sollte der künstliche Europagedanke bei den Vertriebenen über den Verlust der Heimat hinwegtrösten. Allerdings die Saarländer, die nicht vertriebenen worden waren, entschieden sich noch 1955 in einem Referendum gegen ein Europastatut für ihr Land. In der gesamtdeutschen Bevölkerung hatte Europa, wie das Saarland beweist, kaum reelle Bedeutung. 

Bendel ist Historiker und Theologe in Tübingen. Er hat sich mit einer Arbeit über die kirchliche Integration der Vertriebenen in der jungen Bundesrepublik habilitiert. 

Rainer Bendel: „75 Jahre Seelsorge für die Deutschen aus der Tschechoslowakei“, Aschendorff Verlag, Münster 2021, gebunden, 346 Seiten, 24,80 Euro