26.04.2024

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Folge 44-22 vom 04. November 2022 / Politik / Erste Gehversuche der neuen Ampelregierung / Die Journalistin Anna Sauerbrey beschreibt die Entscheidungsträger, die aus der letzten Bundestagswahl hervorgegangen sind, und geht der Frage nach, wie diese Nachwuchs-Politikergeneration unsere Gesellschaft verändert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-22 vom 04. November 2022

Politik
Erste Gehversuche der neuen Ampelregierung
Die Journalistin Anna Sauerbrey beschreibt die Entscheidungsträger, die aus der letzten Bundestagswahl hervorgegangen sind, und geht der Frage nach, wie diese Nachwuchs-Politikergeneration unsere Gesellschaft verändert
Karlheinz Lau

Die Ampelregierung ist noch kein Jahr im Amt, und schon wird eine Aussage gemacht, wie eine neue Generation von Politikern Deutschland verändert. Die Journalistin Anna Sauerbrey bemüht sich in „Machtwechsel“, in 13 Kapiteln, die nicht der Chronologie seit Amtsantritt der Ampel folgen, die neue Art einer Kommunikation zwischen den Entscheidungsträgern dreier Parteien zu zeigen. Sie berichtet über zahlreiche Politiker der Ampel, mit denen sie persönliche Gespräche oder Interviews vor und nach dem Wahltermin 2021 geführt hat. 

Aus den Kapitelüberschriften ist allerdings nicht zu entnehmen, um welche Politiker es sich handelt. Kapitel 8 lautet beispielsweise: „Elite wider Willen. Vom Überleben in der Berliner Bubble“. Es handelt sich um den aktuellen Chef des Bundeskanzleramts, Wolfgang Schmidt. Im Blickpunkt der Autorin erscheinen folgende Politiker: Hubertus Heil, Christian Lindner, Lars Klingbeil, Kevin Kühnert, Robert Habeck, Annalena Baerbock, Marco Buschmann und natürlich Olaf Scholz und Angela Merkel. 

Scharf trennt Sauerbrey die Generationen in die Ära Merkel und die darauffolgende „Generation X“, wobei Übergänge fließend seien. Friedrich Merz sei eindeutig nicht dieser Generation zuzuordnen. Alle Kapitel – sie müssen nicht hintereinander gelesen werden – bringen interessante Details und Hintergründe über das Umfeld der beschriebenen Persönlichkeiten. Besonders die Biographie von Cem Özdemir, dem heutigen Minister für Landwirtschaft, zeigt den nicht einfachen Werdegang als Geschichte eines sozialen Aufstiegs. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Begriff Identifikation mit seiner Umgebung, mit der Stadt, in der man wohnt und arbeitet, mit seinem Land oder Staat. Das bewegt jeden Bürger, Einheimische oder Neubürger, aber ob dies jedem bewusst ist, muss offenbleiben. 

Ära Merkel und „Generation X“

Die Kernfrage des Buches, offensichtlicher Redaktionsschluss für die Autorin war Anfang 2022, kann nur lauten: Was ist anders geworden unter einer Regierung, die von der „Generation X“ getragen wird. Der Untertitel des Buches „Wie eine neue Politikergeneration das Land verändert“, kann deshalb nicht gelten, weil schlicht der Zeitraum seit der Regierungsbildung zu kurz ist. Es kann sich also nur um Absichtserklärungen der genannten Politiker oder auch der Autorin selbst handeln. 

Der Soziologe Karl Mannheim schreibt: „Historische Ereignisse können Ausgangspunkt eines Generationsgefühls sein, sie machen die gemeinsame Lagerung in der Zeitgeschichte aus.“ Das ist aus der Lektüre des Buches schwer zu beurteilen, allerdings eine Gemeinsamkeit besteht: die „Generation X“ ist insgesamt nicht mit existentiellen Sorgen oder gar Krisen aufgewachsen. Sie zählt nicht zur Erlebnisgeneration des Kriegsendes, von Flucht und Vertreibung aus den Ostgebieten, des Wiederaufbaus in Ost und West, der Teilung des Landes. Sie ist befreit von diesen Belastungen. 

Die ehemalige Präsidentin der Viadrina in Frankfurt/Oder, Gesine Schwan, spricht sehr kritisch und distanziert über die „Generation X“. Sie zeige keine gemeinsamen Züge im Sinne von Karl Mannheim, sie sei nicht geprägt von einem bestimmten historischen Ereignis, von gemeinsamen Erfahrungen. Mit dieser Ansicht steht sie nicht allein da. Das zeigt die Vielfalt unterschiedlicher Sichtweisen und Interpretationen, aber auch Beispiele von durchaus prägenden Eindrücken wie dem Klimawandel oder dem plötzlichen Ende des Afghanistaneinsatzes, wie sie Lindner für sich beansprucht.  

Der 24. Februar 2022 veränderte völlig unerwartet die politische Landschaft. Dies gilt auch für die Autorin dieses Buches. Es wäre interessant gewesen, wie sich ihre Beobachtungen der Persönlichkeiten der „Generation X“ unter den geänderten politischen Rahmenbedingungen entwickelt hätten. So bleibt das Buch unter diesem Titel unvollendet. Eine Fortschreibung muss daher fast erwartet werden.

Anna Sauerbrey: „Machtwechsel. Wie eine neue Politikergeneration das Land verändert“, Rowohlt Berlin Verlag, Hamburg 2022, gebunden, 319 Seiten, 22 Euro