26.04.2024

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Folge 44-22 vom 04. November 2022 / Litauisch / Vor 100 Jahren erstmals zweite Amtssprache

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-22 vom 04. November 2022

Litauisch
Vor 100 Jahren erstmals zweite Amtssprache
B. Bost

Während des Ersten Weltkriegs ging Litauen im Februar 1918 als unabhängiger Staat aus dem vormaligen Russisch-Litauen hervor. Der heute zu Litauen gehörende Kreis Polangen, nördlich von Memel, war zunächst Lettland zugeschlagen worden. Unmittelbar nach Kriegsende erhoben sich in Litauen Stimmen, die einen Anschluss des zum Deutschen Reich gehörenden Memellandes an die junge Republik forderten. Im Memelland selbst trat sowohl die deutsch-, als auch die litauischsprachige Bevölkerung nahezu geschlossen für einen Verbleib beim Deutschen Reich ein. 

In Artikel 99 schrieb der Frieden von Versailles von 1919 die Abtretung des Memellandes durch das Deutsche Reich fest. Am 9. Januar 1920 schlossen Deutschland und die alliierten Mächte einen Vertrag, der das Memelland übergangsweise der Verwaltung des Völkerbundes unterstellte. Am 11./12. Februar 1920 verließen die letzten deutschen Truppen mit Graf Lambsdorf das Memelland. Lambsdorf hatte am 8. Februar die Verwaltung an den französischen General Dominique-Joseph Odry (1865–1962) übergeben. 

Am 17. Februar setzte Odry ein siebenköpfiges Direktorium aus Vertretern der Ortsbevölkerung ein, er selbst nannte sich Oberpräsident, wie es in preußischen Zeiten üblich war. Am 27. März 1920 erlaubte Odry, dass litauischsprachige Kinder in ihrer Sprache in Religionskunde unterrichtet werden können, der Schulunterricht erfolgte jedoch weiter in deutscher Sprache. 

Die im Memelgebiet lebenden Kleinlitauer waren evangelisch, während ihre großlitauischen Landsleute zu 98 Prozent katholisch waren. Ab Juli 1920 wurde Präfekt Gabriel Petisné General Odry zur Seite gestellt. Am 1. Mai 1921 verließ Odry Memel und Petisné übernahm seinen Posten. Durch einen Gebietsaustausch mit Lettland konnte Litauen 1921 Polangen erwerben und bekam somit mit einem 21 Kilometer langen Küstenstreifen erstmals Zugang zum Meer. Am 6. April 1922 wurde zwischen Polen und den Alliierten Mächten ein Abkommen bezüglich Memel geschlossen, das den Polen bevorzugte Kaufbedingungen für Liegenschaften garantierte. In der Bevölkerung fand die Idee eines Freistaates, wie er in Danzig existierte, immer mehr Zustimmung. Handelskammerpräsident Kraus überreichte Petisné eine dementsprechende Petition.  

In dieser Situation wurde die Frage der Amtssprache politisch instrumentalisiert. Die letzte deutsche Volkszählung von 1910 hatte ein Verhältnis von 51 zu 48 Prozent zugunsten des Deutschen bei der Gesamtbevölkerung des Gebietes ergeben. Durch die Abtrennung von Deutschland hatten sich jedoch auch viele litauischsprachige Kleinlitauer auf die Seite des Deutschen geschlagen. Deshalb wurden bei der unter französischer Regie durchgeführten Befragung der Schüler die Schulen der Stadt Memel, die durchweg deutscher Sprache waren, ausgeschlossen. Aber auch bei den ländlichen Schulen im Kreis Heydekrug ergab die Befragung nur 39 Prozent litauischsprachige Schüler und im Kreis Pogegen gar nur 24 Prozent. Auf diese Untersuchung berief sich dann Ober- präsident Gabriel Petisné (1881–1932) als er am 10. August 1922 Litauisch durch die Sprachverordnung Nr. A517 neben Deutsch zur zweiten Amtssprache des Memelgebietes machte.