25.04.2024

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Folge 45-22 vom 11. November 2022 / Wider die Große Transformation / Steht Deutschland vor einer neuen Friedlichen Revolution? Zumindest demonstrieren Woche für Woche Tausende gegen die politischen Verhältnisse. Doch gilt ihr Protest mehr der Bewahrung des Erreichten als dem Aufbruch in eine neue Gesellschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-22 vom 11. November 2022

Wider die Große Transformation
Steht Deutschland vor einer neuen Friedlichen Revolution? Zumindest demonstrieren Woche für Woche Tausende gegen die politischen Verhältnisse. Doch gilt ihr Protest mehr der Bewahrung des Erreichten als dem Aufbruch in eine neue Gesellschaft
Klaus Rüdiger Mai

In den letzten Wochen demonstrierten Tausende von Bürgern in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen gegen die Sozial- und Energiepolitik der Bundesregierung und für den Frieden. Aber nicht nur in ostdeutschen Orten wie Magdeburg, Halle, Bautzen, Leipzig, Rostock, Weimar, Cottbus, Apolda und vielen weiteren Städten kam es zu Demonstrationen, sondern auch in westdeutschen Kommunen wie Hanau, Augsburg, Kiel, Mönchengladbach oder Hannover. Alles zusammen Woche für Woche mehr als hunderttausend Bürger.  

Über die Demonstrationen lässt sich kaum etwas aussagen, weil die Medien entweder wenig oder gar nicht berichten, nach dem Motto, worüber wir nicht berichten, das existiert auch nicht. So haben sie es bereits mit dem gesellschaftlichen Problem der Migration gehalten. Dass die Probleme der wachsenden Einwanderung nun doch wieder offenbar werden, hat damit zu tun, dass sich die Zahl der Migranten erhöht. Die einzige Antwort der Innenministerin Nancy Faeser darauf lautet, die Einbürgerung zu beschleunigen. Damit erhöht sie die Attraktivität Deutschlands, jedoch nicht für Fachkräfte, die verlassen Deutschland eher, als dass sie kommen. 

Misstrauen gegen die Eliten

Schon in der Corona-Pandemie trugen die öffentlich-rechtlichen und andere Medien auch die unsinnigste Maßnahme der Regierung mit, die im Übrigen den Föderalismus frondierten und aufweichten und nicht selten wie mit einzelnen Passagen des Infektionsschutzgesetzes gegen das Grundgesetz verstießen. 

So stellen die Demonstrationen im Grunde nur eine Reaktion auf die große Umwälzung unserer Gesellschaft dar, die unter den Begriffen „Great Reset“ oder „Große Transformation“ von den Herrschenden ins Werk gesetzt wird. Bereits Angela Merkel hatte im Bündnis mit den Sozialdemokraten und unter Duldung durch FDP und Grüne mit ihrer Politik der Alternativlosigkeit die Gewaltenteilung aufgeweicht. Das Parlament wurde immer mehr zum Ort der Akklamation für die parteiübergreifende Politik der Großen Transformation. Mit dem CDU-Politiker Stephan Harbarth schickte die damalige Bundeskanzlerin einen Gefolgsmann an die Spitze des Bundesverfassungsgerichts. Dessen Urteile beispielsweise in Sachen „Klima“ und Gebührenerhöhung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehen dementsprechend aus. 

In der Pandemie wurden auch grundlegende Bürgerrechte, grundlegende Freiheitsrechte suspendiert. Und es ist kein Zufall, dass der Jurist Thomas Schomerus auf dem „Verfassungsblog“ vorschlug, aus der Corona-Krise für die „Klimakrise“ zu lernen: „Der Kampf gegen das Virus kann eine Vorbildwirkung für die Bekämpfung der globalen Erwärmung haben.“ Denn: „Im Angesicht der tödlichen Gefahr ... nimmt die Bevölkerung in einem beispiellosen Akt der Solidarität massivste Grundrechtseinschränkungen in Kauf ... Diese werden ohne großes Murren hingenommen.“ Schließlich fragt er: „Warum geht in der Corona-Krise, was in der Klimakrise versagt bleibt?“ 

Szenen eines Niedergangs

Warum wohl vertraut der Bürger nicht vorbehaltlos den Interpretationseliten und nimmt nicht „massivste Grundrechtseinschränkungen“ für die „Bekämpfung der globalen Erwärmung“ hin? Wozu benötigt das Volk, der „große Lümmel“ (Heinrich Heine), überhaupt Grundrechte? Die Linke fordert in dem Programm „Erst besiegen wir Corona. Dann retten wir das Klima“: „Strategische Unternehmen wie marktbestimmende Konzerne der Energie- und Wasserversorgung, Fluggesellschaften, das Gesundheitssystem und andere systemrelevanten Wirtschaftszweige werden auf Grundlage des Grundgesetzes schrittweise in öffentliche Hand gebracht. Beteiligungen des Bundes, um große Unternehmen zu retten, werden aktiv genützt, um den sozialökologischen Umbau voranzutreiben.“ 

Der Konzern Uniper wird verstaatlicht, dumm nur, dass nach dem Beschluss zur Verstaatlichung der zweistellige Milliardenverlust des Unternehmens deutlich wird, den dann der Steuerzahler auffangen darf. Bis Ende September hatte sich der ausgewiesene Nettoverlust in diesem Jahr auf 40,3 Milliarden Euro angehäuft, Tendenz steigend, und das Ende der roten Milliardenzahlen ist nicht in Sicht. Rosneft Deutschland und damit das PCK in Schwedt wird unter Treuhand des Bundes gestellt.  Im Klartext bedeutet das eben das Aus für das PCK. Wirtschaftsminister Robert Habeck verspielt damit die wirtschaftliche Zukunft der Uckermark – und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hat in einem zerfahrenen Statement versucht, das Desaster auch noch schönzureden. Mit Steuer-Milliarden wird man den mittelfristigen Weg in die Arbeitslosigkeit für die Beschäftigten dämpfen. Das PCK hat nach Habecks Willen und Woidkes Beistand seine Zukunft hinter sich. 

Leben von der Substanz

Kein deutlicherer Beleg für die Wirklichkeitsfremdheit der gründominierten Bundesregierung besteht, als der Parteijubel der Grünen, der in der Situation aufbrandete, als Habecks Desaster nicht mehr weggemeldet und „weggeframed“ werden konnte. Wer sich als treuer Grüner empfand, verbreitete den Hashtag #DankeRobert, in dem der Wirtschaftsminister dafür gepriesen wurde, dass er Deutschland unabhängig von russischen Gas-Importen gemacht hätte. Die nüchterne Wahrheit lautet, dass Deutschland nicht unabhängig von Russlands Gas-Importen ist, sondern schlicht und ergreifend kein Gas aus Russland mehr bekommt. Da Habeck sich als nicht fähig erwies, ersatzweise Gas aus Katar, aus Norwegen oder Kanada zu bekommen, kauft Deutschland eben teures Gas von den Terminmärkten und aus den USA, was Inflation und Rezession treibt. 

Ganz gleich, wohin man schaut: Überall in Wirtschaft, Kultur, Bildung, Bürgerrechten, innerer Sicherheit, Logistik (Bahn, ÖPNV, Flughäfen, Straßen und Brücken, überhaupt Infrastruktur) sieht man dem Zusammenbruch eines Staates zu, der nur noch von seiner Substanz lebt, aber keine Ressourcen mehr besitzt, die notwendigen Investitionen zu tätigen, weil die verantwortlichen Politiker erstens die Welt retten wollen und nur noch in „planetarischen Grenzen“ denken, keine interessengeleitete, sondern eine wertegeleitete Politik betreiben, sowie zweitens fest entschlossen sind, eine neue Gesellschaft zu begründen, die mit der Gesellschaft der Bundesrepublik nichts mehr zu tun hat, die an die Stelle der sozialen Markwirtschaft eine ökoideologiebasierte Kommandowirtschaft setzt, eine Staatswirtschaft, der man das so nette, wie falsche Schildchen „klimaneutrale Gesellschaft“ umgehängt hat. 

So viele Phänomene man auch identifiziert, weisen sie doch alle in dieselbe Richtung, in Richtung eines vollständigen Gesellschaftsumbaus. So hat Angela Merkel noch als Bundeskanzlerin mit folgenden Worten in Davos für die Große Transformation geworben: „Aber, meine Damen und Herren, das sind natürlich Transformationen von gigantischem, historischem Ausmaß. Diese Transformation bedeutet im Grunde, die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es uns im Industriezeitalter angewöhnt haben, in den nächsten 30 Jahren zu verlassen – die ersten Schritte sind wir schon gegangen – und zu völlig neuen Wertschöpfungs-formen zu kommen.“ 

Ablehnung einer geplanten Wirtschaft 

Es geht in der Großen Transformation um eine Gesellschaft, in der die Politik die Wirtschaft bestimmt, oder in den Worten Robert Habecks: Die freie Marktwirtschaft sei wichtig, aber nur wenn der Staat dafür sorgt, dass „die großen Kräfte der Märkte, der Marktwirtschaft in die richtige Richtung laufen – und dann brauchen wir alle die Freiheit der Märkte, die Kreativität der Unternehmerinnen und Unternehmer.“ 

Ein Witz aus der Zeit der DDR verdeutlicht, was geschieht, wenn der Staat der Wirtschaft die Richtung vorgibt: „Was geschieht, wenn die Staatliche Plankommission in die Wüste kommt? – Dann wird der Sand knapp.“ Dass der Sand knapp werden könnte, belegen die vielen Sparappelle, die derzeit im Sekundentag gesendet und publiziert werden. 

Die Große Transformation, der Umbau der Gesellschaft von der sozialen Marktwirtschaft in die klimaneutrale Gesellschaft, in der den Bürgern vorgeschrieben wird, wie sie zu duschen, womit sie zu fahren, wie sie zu reden, was sie zu denken, was sie zu träumen, wie sie sich zu ernähren haben, was sie lesen und sehen sollen, stößt immer mehr auf Ablehnung. Denn der Grundwert unserer Gesellschaft ist die Freiheit, nicht der Weg vom Ich zum Wir, wie er gegenwärtig mit neuen Worten in altbekannter Weise propagiert wird. Die Freiheit ist auch der Quell unserer Erfolge, unseres Wohlstandes. 

Der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt warnte vor Kurzem davor: „Eine wichtige Quelle des jetzt schon erkennbaren Protestwillens ist der Eindruck durchaus nicht kleiner Bevölkerungsteile, es ließe sich ein Großteil der Politikerschaft nicht bereitwillig auf der Höhe der zu lösenden Probleme ein, sondern folge weiterhin illusionären Vorstellungen. Bruchpunkt diesbezüglichen Vertrauens war die Migrationspolitik 2015. Damals entstand bei vielen der Eindruck, führende Politiker handelten rein gesinnungsethisch, missachteten also die Gebote der Verantwortungsethik und würden ihren Amtspflichten deshalb nicht gerecht. Wer sich damals politisch im Stich gelassen oder diffamiert fühlte, der neigte anschließend leicht zur inneren Kündigung gegenüber den etablierten Parteien.“ 

Die Skepsis des Ostens  

Doch vielleicht lässt sich Patzelts Beschreibung auch vom anderen Ende her lesen. Vielleicht neigen nicht Bürger „zur inneren Kündigung gegenüber den etablierten Parteien“, sondern haben die etablierten Parteien dem Bürger gekündigt.

Zwei Prozesse lassen sich erkennen: Während westliche Eliten die große Transformation vorantreiben, steht man diesem Transformationswillen in Osteuropa, wo man Erfahrungen mit Wirtschaften besitzt, denen von der Politik die Richtung gewiesen wurde, skeptisch bis ablehnend gegenüber. So bricht ein Gegensatz zwischen den osteuropäischen Staaten einerseits und den westeuropäischen Staaten andererseits auf. Zudem wollen und müssen sich die osteuropäischen Staaten, die Demokratie und Freiheit erkämpft und die Mauer eingerissen haben, nicht länger in Fragen der Demokratie, Freiheit und Wirtschaft vom Westen belehren lassen. Genug Opfer haben sie gebracht, genug Erfolge hart erarbeitet. 

Übrigens verläuft diese Linie auch durch Deutschland. Es wäre damals gut gewesen, sowohl zum Gründungsmythos des vereinten Deutschlands als auch des zusammenwachsenden Europas die friedlichen Revolutionen in Osteuropa und in der DDR zu machen, denn diese schufen die Voraussetzungen dafür. Und was wäre für ein freiheitliches und demokratisches Europa grundsätzlicher als eine Friedliche Revolution von Bürgern, die das ermöglicht hat? 

Doch es greift zu kurz, die Ablehnung der Großen Transformation allein im Osten verorten zu wollen, sie entsteht auch immer stärker im Westen, im Süden und im Norden Europas in dem Maße, in dem die Bürger dort erkennen, dass ihre Gesellschaft nicht modernisiert, sondern grundsätzlich verändert werden soll. Es findet keine stille Revolution statt, sondern eine Besinnung und ein Beharren auf die grundlegenden Werte Europas, auf die Freiheit, die Bürgerrechte, die Demokratie, die ererbte Kultur und die Marktwirtschaft.






Dr. Klaus-Rüdiger Mai ist Schriftsteller und Publizist. Zuletzt erschienen „Die Zukunft gestalten wir! Wie wir den lähmenden Zeitgeist endlich überwinden“ (Langen Müller 20219) und „Edith Stein – Geschichte einer Ankunft. Leben und Denken der Philosophin, Märtyrerin und Heiligen“ (Kösel 2022). 

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