Unwissen oder bewusstem Andienen an den Zeitgeist dürfte es zu verdanken sein, dass auf dem biographischen Wandtext zu Lovis Corinth als Geburtsort „Tapiau/Russland“ angegeben wurde. Nun war aber Corinth nie Russe, sondern Ostpreuße. Und das Verschweigen der deutschen Herkunft ist nicht mal konsequent, denn wollte man unbedingt den politischen Resultaten von 1945 Rechnung tragen, müsste konsequenterweise der Ortsname mit „Gwardeisk“ angegeben werden. Von derlei Spielchen mit dem großen Vergessen konnte der 1852 geborene Maler natürlich noch nichts ahnen, als er 1925 verstarb.
Auch nicht, dass seine Zeichnungen bald hundert Jahre nach seinem Tod in einer vergleichenden Schau in der Mannheimer Kunsthalle präsentiert werden sollten. Verglichen und in einen Zusammenhang gesetzt wird Corinth dabei mit zwei Großen seiner Zeit: Max Liebermann und Max Slevogt.
Der Gerber-Sohn Corinth studierte in Königsberg, zog von dort aus nach München, Paris und Berlin weiter, wo er einer der führenden Repräsentanten der Berliner Secession wurde. Die biographische Überschneidung mit dem aus einer großbürgerlichen Familie stammenden Liebermann ist auffallend. Auch er absolvierte den Besuch der seinerzeit wichtigen Künstlerorte Paris und München, um dann Präsident der Berliner Secession zu werden, die sich als Gegenpol zur seinerzeit noch dominierenden akademischen Kunstausbildung verstand. Auch der Offiziers-Sohn Max Slevogt, aufgrund seines wilden Malstils als „Der Schreckliche“ verspottet, fungierte als Vertreter der Berliner Secession. Sein biographischer Schwerpunkt lag allerdings im bayerischen Bereich, vor allem in München und der damals zu Bayern gehörenden Pfalz.
Rund 150 graphische Arbeiten dieses „Dreigestirns“ des deutschen Impressionismus und Aufbruchs in die künstlerische Moderne um 1900 sind nun in Mannheim zu sehen. Es sind Teile der Graphischen Sammlung der Kunsthalle. Dabei wird erwähnt, dass die Vertreter des Impressionismus zu Lebzeiten sehr um Anerkennung zu kämpfen hatten. Teils lag dies an dem unrealistischen, Formen auflösenden Zeichen- und Malstil, teils an der sehr realistischen Themenwahl. Letzteres war vor allem bei Liebermann der Fall, der sich auch solcher sozialer Brennpunktthemen wie der Speisung armer Kinder oder des mühseligen Tagwerks von Feldarbeiterinnen annahm.
Während sich Liebermann in der Tradition der Genremalerei des 17. Jahrhunderts auch mit Armenhäusern, Altersheimen und Fabriken beschäftigte, schöpfte Corinth viele seiner Alltagsmotive aus dem unmittelbaren Familienumfeld. So werden Unterschiede deutlich. Slevogt etwa zeichnete im Gegensatz zu den beiden anderen nur selten Landschaftsskizzen. Dafür fertigte der begeisterte Theater- und Opernfreund zahlreiche Illustrationen zu Mozarts „Zauberflöte“. Corinth fällt demgegenüber damit auf, dass er sich weit mehr religiösen und mythologischen Themen widmete als seine Kollegen.
So liefert die Kunsthalle Mannheim eine kleine, auf den ersten Blick unspektakuläre Schau mit Zeichnungen, die aber ausgezeichnet zur kontemplativen Vertiefung und vergleichenden Betrachtung einlädt.
„Liebermann, Slevogt, Corinth. Druckgraphik und Zeichnung“ bis 20. November in der Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4. Geöffnet täglich außer montags. von 10 bis 18 Uhr, am Mittwoch bis 20 Uhr. Eintritt: 12 Euro. www.kuma.art