19.04.2024

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Folge 45-22 vom 11. November 2022 / Deutsch-russische Beziehungen / Das darf sich nie wiederholen! / Erinnerungen und Gedanken zum Volkstrauertag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-22 vom 11. November 2022

Deutsch-russische Beziehungen
Das darf sich nie wiederholen!
Erinnerungen und Gedanken zum Volkstrauertag
Heidrun Budde

Meine ersten persönlichen Erfahrungen mit Russen machte ich während meines Studiums, das am 1. September 1973 in Halle an der Saale begann. Ich bekam eine Zuweisung für das Studentenwohnheim im Weinbergweg. Das waren mehrere Baracken, die den Studenten zur Verfügung standen. Als ich die Eingangstür öffnete, blickte ich in einen langen dunklen Gang, von dem alle Türen zu den Zimmern abgingen. Es waren Vierbettzimmer ohne jeden Komfort, Waschraum und Küche für alle in der Mitte der Baracke. 

Meine besondere Aufmerksamkeit erregte eine Handkurbel, die mitten im dunklen Gang angebracht war. Schon kurze Zeit später sollte ich erfahren, was es mit dieser Kurbel auf sich hatte. Gegenüber unserer Baracke befand sich eine große russische Kaserne, und wir bekamen die Anweisung, sofort diese Kurbel zu bedienen, wenn wir einen russischen Soldaten in unserer Unterkunft bemerkten. Unsere Baracke beherbergte ja nur junge Frauen. Durch das Drehen der Kurbel wurde eine Sirene ausgelöst, die in der benachbarten Kaserne zu hören war, und was sich danach ereignete, erlebte ich nur einmal.

Ein junger Russe wurde von einem Überfallkommando aus der Kaserne bei uns aufgegriffen. Er wurde gleich an Ort und Stelle heftig verprügelt, und sie warfen den Mann wie ein Stück Vieh ins Lastauto. 

Da die Möglichkeiten, verderbliche Esswaren in Kühlschränken aufzubewahren, nur sehr eingeschränkt vorhanden waren, der Platz reichte bei Weitem nicht für alle, hatten wir es uns zur Angewohnheit gemacht, unsere Verpflegungsbeutel bei kaltem Wetter aus dem Fenster zu hängen. Diese spezielle Kühlung haben wir allerdings sehr schnell wieder aufgegeben, denn wir bemerkten, dass die Beutel nachts wie von Geisterhand abgeschnitten wurden und verschwanden. Es waren die Russen von gegenüber, die Hunger hatten. 

Unser FDJ-Sekretär kam auf die Idee, ein deutsch-sowjetisches Freundschaftstreffen mit Soldaten dieser Kaserne zu organisieren. Das kam tatsächlich zustande. Wir trafen drei Offiziere und etwa zehn Soldaten. In einer Gaststätte waren Plätze bestellt. Die Sitzordnung war so, dass wir einen Soldaten neben zwei von uns setzten, um ins Gespräch zu kommen. Russisch lernten wir ja frühzeitig. Das Essen wurde aufgetragen und wir wollten anfangen, aber die russischen Soldaten rührten sich nicht. Sie redeten auch kein Wort mit uns. 

Ich versuchte meinen Sitznachbarn zum Essen zu animieren, aber nichts passierte. Unser FDJ-Sekretär bemerkte das natürlich auch und sprach den Offizier an, der offensichtlich schon ein paar Wodka intus hatte. Dieser Offizier brüllte etwas auf Russisch, woraufhin die Soldaten sichtlich zusammenzuckten und sofort nach dem Besteck griffen. Ich sah, wie die Hände meines Sitznachbarn zitterten. Er konnte mit diesem Besteck nicht umgehen, und unbeholfen versuchte er, etwas vom Teller aufzunehmen. Mich berührte das unangenehm. Wir hatten diese Männer in eine schwierige Situation gebracht. Die Atmosphäre war angespannt, und Gespräche kamen kaum zustande. Diese jungen russischen Soldaten hatten Angst, und das spürte jeder. Die Offiziere wurden derweil immer lustiger, fingen an, russische Lieder zu singen, und der Alkohol floss für sie reichlich. 

Unsere Straßenbahnhaltestelle befand sich direkt neben der Kasernenmauer, und die versteinerten Gesichter dieser blutjungen russischen Soldaten haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Man konnte über der Mauer nur die kleinen runden Köpfe mit einer Pelzmütze sehen. Sie starrten ausdruckslos auf uns Zivilisten.

Das alles habe ich in den 70er Jahren in der DDR erlebt. Meine persönlichen Erlebnisse widersprachen der verordneten Ideologie von der großen deutsch-sowjetischen Freundschaft. Für mich waren die Russen Fremde, mit denen ich nichts anfangen konnte. 

Inzwischen hat sich Russland sehr verändert. Nach der Vereinigung gab es die Zeit der Entspannung und Kooperation. Ich frage mich, was die Ursachen für diese aktuelle Eskalation, für diesen furchtbaren Krieg in der Ukraine sind, aber ich finde keine schlüssigen Antworten. 

Mir macht das alles Angst. Ich will keine deutschen Soldaten vor Russlands Grenzen und ich will auch keine russischen Soldaten hier in Deutschland. 

Mein Großvater väterlicherseits hatte zwei Söhne, meinen Vater, der nach fünf Jahren Kriegsgefangenschaft aus Russland zurückkam, und einen zweiten Sohn, der im Alter von 20 Jahren bei Tula, vor den Toren von Moskau, sein junges Leben lassen musste. Das darf sich nie wiederholen!





Dr. Heidrun Budde (geboren 1954 in der DDR) war von 1992 bis März 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.