28.03.2024

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Folge 45-22 vom 11. November 2022 / Aneurin Bevan / Als Minister setzte er den National Health Service durch / Nach dem Zweiten Weltkrieg prägte der vor 125 Jahren geborene Labour-Politiker Großbritanniens Gesundheitspolitik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-22 vom 11. November 2022

Aneurin Bevan
Als Minister setzte er den National Health Service durch
Nach dem Zweiten Weltkrieg prägte der vor 125 Jahren geborene Labour-Politiker Großbritanniens Gesundheitspolitik
Claudia Hansen

Fragt man Briten, was typisch für ihr Land ist, wird man als Antworten wohl nicht nur Fish and Chips, Afternoon Tea oder Big Ben als Londoner Wahrzeichen hören. Für viele ist auch der National Health Service (NHS), der staatliche Gesundheitsdienst, eine große einzigartige Errungenschaft ihres Landes. Der National Health Service ist eine der Hauptsäulen des nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebauten britischen Wohlfahrtsstaates. 

Der Labour-Politiker Aneurin Bevan, der als Gesundheitsminister den National Health Service 1948 gründete, gilt als einer der Säulenheiligen von Labour, einer der „Titanen“ der sozialistischen Bewegung, einer, der im „Pantheon der Partei“ sitze, schrieb die „Sunday Times“ vor einigen Jahren. Das war aber nicht immer so. Zeit seines Lebens hat Bevan eine Menge Konflikte mit und in der Labour-Partei ausgefochten. 

Geboren am 15. November 1897 im Städtchen Tredegar in Südwales, in einer alten Industriegegend, die zum Herzland von Labour zählt, hatte Bevan keinen leichten Start ins Leben. Als eines von zwölf Kindern einer Kohlearbeiterfamilie ging der junge Bevan schon mit 13 Jahren von der Schule ab und fing im Bergwerk zu arbeiten an, was damals nicht unüblich war. Die harten Lebensbedingungen haben ihn geprägt. 

Schon früh engagierte er sich in der Gewerkschaftsbewegung, wurde glühender Sozialist und Klassenkampf-Anhänger. Nach neun Jahren im Bergwerk zwang ihn eine Augenkrankheit, die Arbeit in der Mine aufzugeben. Er studierte dann am Central Labour College in London, einer Hochschule der Arbeiterbewegung. Beim Generalstreik 1926 zählte er zu den Hardlinern.

1929 wurde er ins Unterhaus gewählt, in dem er sich als charismatisches Redetalent und Volkstribun auf dem äußersten linken Flügel von Labour profilierte. Wegen seiner Unterstützung einer Volksfront unter Einschluss der Kommunisten wurde er kurzzeitig aus der Fraktion ausgeschlossen. Während des Zweiten Weltkriegs leitete Bevan als Chefredakteur die sozialistische Zeitschrift „Tribune“.

Als Labour 1945 gegen Winston Churchill die Wahl gewann, berief der neue Premierminister Clement Attlee seinen linksradikalen Parteifreund zum Gesundheitsminister. Bevan ging ans Werk, verstaatlichte alle Krankenhäuser und schuf einen gigantischen Gesundheitsdienst, der „kostenlos für alle“ sein sollte. Konflikte gab es mit Ärzten, denen er nur einen sozialistisch-einheitlichen „Basislohn“ zahlen wollte. Die geringverdienende Bevölkerung war erfreut, dass sie nun erstmals freien Zugang zu Krankenhäusern und Arztpraxen hatte, die aus der Steuerkasse bezahlt wurden. Im Frühjahr 1951 trat Bevan aus Attlees Kabinett zurück, weil es Streit über Sozial- und Militärausgaben gab. 

Sein heißes „keltisches Temperament“ ging oft mit ihm durch, er wurde Kopf einer Labour-Rebellentruppe. Die Konservativen bezeichnete er einmal als „niedriger als Gewürm“. Erst zum Ende seines Lebens wandelte er sich vom linkssozialistischen Feuerkopf zu einer eher staatsmännischen Haltung. Sein früher Tod am 6. Juli 1960, mit nur 62 Jahren aufgrund einer Krebserkrankung, beendete die Hoffnung auf ein großes Comeback in die Regierung.

Der National Health Service wird bis heute von vielen Briten geliebt. Während der Corona-Zeit klatschten sie regelmäßig Beifall für die mehr als 1,5 Millionen Mitarbeiter des National Health Service. 

Aber der Koloss gilt als schwerfällig und überbürokratisiert. Berichte über haarsträubende Zustände in Krankenhäusern, in denen manche Notfallpatienten stundenlang auf einen Arzt warten, haben am NHS-Heiligenschein gekratzt. In diesem Winter steuert das Gesundheitssystem mit einer erschreckend langen Warteliste von fast sieben Millionen Menschen abermals auf schwere Zeiten zu.