Das Ziel des Westens, Russland mit Sanktionen zu schwächen, wurde nur teilweise erreicht. Zwar brachen die Handelsexporte aus Deutschland nach Russland in diesem Jahr um 53 Prozent ein, doch blieben Erdöl und -gas weiterhin die wichtigsten Importwaren aus Russland. Wertmäßig sanken die Importe aus Russland um 37,4 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro. Die deutschen Exporte nach Russland beliefen sich im September laut Statistischem Bundesamt auf 1,1 Milliarden Euro, das sind 52,9 Prozent weniger als im Vorjahresmonat.
Die Chefin der russischen Zentralbank, Elvira Naibullina, gab zu, dass der Druck der Sanktionen groß sei. Die Verluste der 20 russischen Schlüsselunternehmen betragen 25,7 Milliarden Dollar in diesem Jahr, wobei 80 Prozent der Verluste durch den Wegfall der Umsätze mit der EU entstanden. Auch German Gref, Leiter der russischen Sparkasse, hält den Weggang der ausländischen Firmen für eine der langanhaltendsten negativen Folgen für die russische Wirtschaft. Aktuell sieht er jedoch noch kein Anzeichen für eine ernsthafte Krise. Die Regierung bemüht sich um Schadenbegrenzung, indem sie die Importsubstitution und die Förderung des einheimischen produzierenden Gewerbes vorantreibt. Mit Steuererleichterungen soll die aktuelle Krise gemeistert werden.
Um Schadensbegrenzung bemüht
Seit Mai dieses Jahres lässt Putins Regierung Parallelimporte zu, um die Versorgung im Land aufrecht zu erhalten. Zuvor hatte sie diese vehement unterbunden, da der Importverzicht aus westlichen Ländern als Gegensanktion Wirkung zeigen sollte. Allerdings stellte sich sehr bald heraus, dass Russland ohne Importe nicht einmal den täglichen Bedarf seiner Bevölkerung decken kann.
Beim Parallelimport werden westliche Produkte über Drittstaaten importiert, in diesem Falle aus Ländern, welche die Russland-Sanktionen der EU und der USA nicht unterstützen. Die Importe erfolgen ohne Genehmigung des Herstellers. Da Parallelimporte in der EU aus Gründen der Warenverkehrsfreiheit nicht grundsätzlich verboten sind, betrachten Hersteller sie auch als grauen Markt.
Der Umsatz des Parallelimports wächst nicht so schnell wie von Moskau erwartet. War man von 100 bis 120 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz ausgegangen, so dürften es bis Ende Dezember lediglich 15 Milliarden sein. Über den grauen Markt gelangen vor allem Elektronik, Technik, Dinge des täglichen Bedarfs, Kleidung und Kosmetik ins Land. Dennoch steht Moskau nicht so isoliert da, wie die EU es gerne sähe. Der Handel mit China stieg in den vergangenen Monaten um 24 Prozent, der mit der Türkei gar um 113 Prozent. Die Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsunion Kasachstan, Kirgisien und Armenien sind Haupttransitpunkte für den Warentransport nach Russland. Neben China, Hongkong, den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Türkei zählt auch der Iran zu den „freundlichen Ländern“, welche die Sanktionen boykottieren. Kasachstan, das derzeit mehr Kühlschränke aus dem Westen importiert als das Land Haushalte hat, riskiert, mit Sekundärsanktionen belegt zu werden, da der Westen befürchtet, dass Russland die in den Geräten verbauten Chips und Halbleiter für militärische Zwecke nutzen könnte.
Seit Mai wurden West-Produkte auf dem russischen Markt vor allem durch chinesische ersetzt. Ein Risiko sieht die Regierung darin, dass vermehrt Fälschungen in Umlauf gebracht werden. Zirka sieben Millionen Einheiten solcher Waren wurden bereits entdeckt. Auch chinesische Autohersteller strömen auf den russischen Markt. Mitte Oktober wurden 890 offizielle Händler chinesischer Marken in Russland gezählt, was die Kunden nicht davon abhält, weiter westliche Automarken zu erwerben. Für die brandneue Elektroversion des amerikanischen Pickups Hummer etwa nimmt ein Händler in Wladiwostok bereits Bestellungen entgegen. Statt der 100.000 Dollar in den USA müssen russische Kunden jedoch den dreifachen Preis berappen. Dennoch sind hochpreisige Pkw wie Range Rover oder auch Mercedes-Benz GLC, Tesla, Jeep und Bentley begehrt. Höhere Preise müssen auch für Kleinwagen von Kia gezahlt werden. Monatlich werden 2000 bis 3000 Autos über den grauen Markt importiert.
Ganz ohne Russland als Energielieferant kommt die EU nicht aus. In diesem Jahr betrugen die Importe des Flüssiggases (LNG) bis jetzt 16,5 Milliarden Kubikmeter gegenüber 11,3 Milliarden Kubikmeter im Vorjahr. Frankreich, die Niederlande und Belgien sind die größten LNG-Importeure aus Russland.
Profiteur Türkei
Profitieren von dieser Situation möchte die Türkei. Sie will ein Gasknotenpunkt werden. Eine Mischung aus aserbaidschanischem, iranischem und russischem Gas soll nach Ankaras Vorstellungen als türkisches Gas auf dem Weltmarkt umgeschlagen werden. Russland und der Iran könnten sich auf diese Weise ein Stück vom europäischen Markt sichern, die Türkei ihre geostrategische Position stärken. Ob die EU auf diesen Handel eingeht, hängt wohl maßgeblich davon ab, inwieweit es ihr gelingt, ihre Gasspeicher mit dem Rohstoff anderer Lieferanten zu füllen.