28.03.2024

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Folge 47-22 vom 25. November 2022 / Leitartikel / Kein Verständnis für Preußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-22 vom 25. November 2022

Leitartikel
Kein Verständnis für Preußen
René Nehring

Bislang sind es nur unbestätigte Berichte. Vor wenigen Tagen meldeten mehrere Medien, dass Kulturstaatsministerin Claudia Roth umfassende Veränderungen an der Stiftung Preußischer Kulturbesitz plane. Diesen Plänen zufolge, so die Berichte, soll unter anderem die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss ihre Eigenständigkeit verlieren und in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) aufgehen – und bei letzterer wiederum soll das Wort „Preußen“ aus dem Namen gestrichen werden. 

Ausdruck einer tiefen Unkenntnis

Wie gesagt: Bis dato entstammen diese Informationen nur Medienberichten, eine offizielle Aussage seitens der Kulturstaatsministerin dazu ist nicht bekannt. Gleichwohl passen diese Berichte zu jüngsten kulturpolitischen Äußerungen Frau Roths, in denen sie unter anderem zu dem Vorhaben, die historische Inschrift der Kuppel des wiederaufgebauten Berliner Schlosses zu überblenden, sagte: „Unser Grundgesetz und unsere Demokratie stehen in der Traditionslinie der demokratischen Bewegungen von 1848 und 1849 sowie der Paulskirchenverfassung und nicht in der Traditionslinie eines repressiven Königs- und Kaisertums, das seinen Machtanspruch allein auf Gott begründete und eben nicht auf die Macht und Selbstbestimmung des Volkes. Dieser demokratischen Traditionslinie sehen sich diese Bundesregierung wie auch ich selbst eindeutig verpflichtet.“ 

Aus Äußerungen wie diesen und anderen spricht eine große Unkenntnis sowohl der preußischen Geschichte allgemein als auch der Entwicklung Preußens im 19. Jahrhundert im Besonderen – sowie nicht zuletzt der staatlichen Kontinuitäten, in denen sich die Bundesrepublik Deutschland befindet. Preußen war in seinen großen Jahren, als es in wenigen Generationen von einem nachrangigen Agrarstaat zu einer prägenden Großmacht Europas wurde, gerade nicht reaktionär, sondern – unter anderem mit dem Aufbau einer effektiven Verwaltung, einer durchgehenden Alphabetisierung bis in die letzten Dörfer des Hohenzollernstaates hinein und nicht zuletzt einer konsequenten Rechtsstaatlichkeit auf allen Ebenen – der in vielerlei Hinsicht modernste Staat seiner Zeit. 

Eine wesentliche (beileibe nicht die einzige) Grundlage dieses Erfolgs war das Königtum. Preußens Monarchen waren zwar längst nicht alle den Gedanken der Aufklärung verbunden wie Friedrich der Große, aber sie achteten durchgehend die Freiheit ihrer Untertanen. Der beste Beleg dafür sind die Migrationsströme vom 17. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Die Salzburger Protestanten und die französischen Hugenotten, die orthodoxen Philipponen aus Russland und die Juden aus den verschiedensten Himmelsrichtungen wählten mit Preußen als Zufluchtsort kein Land, in dem ihnen neues Ungemach gedroht hätte, sondern ein neues Zuhause, das ihnen neben Wohlstand vor allem auch Sicherheit bot. 

Ein bedeutender Nebeneffekt der Entwicklung Preußens hin zu einem führenden Kulturstaat war die Entstehung großartiger staatlicher Sammlungen an Gemälden, Skulpturen und sonstigen Kulturgütern, deren Mittelpunkt die Museumslandschaft auf der Berliner Spreeinsel ist. Diese sind vielleicht der schlagendste Beleg für den hohen Stand, den das alte Preußen auf nahezu allen Feldern des gesellschaftlichen Lebens hatte. Dass aus diesen Sammlungen im Laufe der letzten Jahrzehnte die größte Kultureinrichtung der Bundesrepublik Deutschland erwuchs, nämlich die nun im Fokus der Kulturpolitik stehende Stiftung Preußischer Kulturbesitz, belegt ebenfalls die herausragende Stellung Preußens in der deutschen Geschichte. 

Traditionslinien der Republik

Womit wir bei den Kontinuitäten wären. Frau Roth hat zweifelsohne Recht, wenn sie die Traditionslinien der Bundesrepublik zu den demokratischen Bewegungen von 1848 und 1849 betont. Zugleich ist jedoch unstrittig, dass das heutige Deutschland staatsrechtlich in direkter Fortsetzung des 1871 unter preußischer Führung gegründeten deutschen Nationalstaats steht. Selbst die besondere Stellung des deutschen Sozialstaats, dem sich gerade die Mehrheit der Parteien der aktuellen Bundesregierung verpflichtet fühlt, hat seine Wurzeln im von Preußen begründeten Kaiserreich. 

Insofern ist die besondere Stellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der heutigen Bundesrepublik kein Zufall und schon gar keine zu beseitigende Zumutung für jedes demokratische Empfinden, sondern der sichtbare Ausdruck einer Kontinuität, ohne die das heutige Deutschland auf vielen Feldern deutlich ärmer wäre. 

Der große Staats- und Verwaltungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde hat 1964 den Satz geprägt, dass „der freiheitliche, säkularisierte Staat (…) von Voraussetzungen (lebt), die er selbst nicht garantieren kann“. Diese Aussage lässt sich, leicht abgewandelt, auch auf die Kulturpolitik übertragen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist die institutionelle Erinnerung daran, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht aus dem Nichts entstanden ist, sondern in Entwicklungslinien steht, ohne die es diese Republik schlichtweg nicht gäbe. 

Wo bleibt Scholz? 

Gefragt ist in dieser Angelegenheit auch der Bundeskanzler. Das Amt des, beziehungsweise der „Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“ – so die offizielle Bezeichnung – ist kein eigenständiges Ministerium, in dem ein Ressortchef schalten und walten kann, wie er will. Es ist faktisch ein Staatssekretärsposten, dem insbesondere die Entwicklung der Rahmenbedingungen der Kultur- und Medienpolitik, die Förderung von Kultureinrichtungen und die Vertretung des Bundes gegenüber den Bundesländern obliegt. Dass dieser Staatssekretärsposten im Kanzleramt angesiedelt ist, zeigt, bei wem die Letztverantwortung für die Kulturpolitik des Bundes liegt. 

Frau Roth hat dieses Amt im letzten Jahr nicht etwa aufgrund einer strategischen Entscheidung der Koalitionspartner übertragen bekommen, sondern aufgrund der Tatsache, dass ein Flügel der Grünen zur Wahrung der inneren Statik der Regierung noch einen halbwegs respektablen Kabinettsposten brauchte. Schlimm genug. Es kann und darf jedoch nicht sein, dass sie mit diesem schwachen Mandat nun Hand an eine elementare Institution des deutschen Kulturstaats anlegt.