26.04.2024

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Folge 47-22 vom 25. November 2022 / Karl August von Hardenberg / Vom eigenen König und Metternich ausgebremst / Auf dem Wiener Kongress konnte der vor 200 Jahren verstorbene Staatskanzler nur einen Teil Sachsens für Preußen gewinnen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-22 vom 25. November 2022

Karl August von Hardenberg
Vom eigenen König und Metternich ausgebremst
Auf dem Wiener Kongress konnte der vor 200 Jahren verstorbene Staatskanzler nur einen Teil Sachsens für Preußen gewinnen
Manuel Ruoff

Nach dem Sieg über Napoleon war es bei der Neuordnung Europas vom 18. September 1814 bis zum 9. Juni des Folgejahres auf dem Wiener Kongress Preußens primäres Ziel, Sachsen zu gewinnen. Der sächsische König Friedrich August I. war nach der Völkerschlacht bei Leipzig von den Alliierten in seiner Hauptstadt gefangengenommen worden. Seither war er in Friedrichsfelde bei Berlin interniert. Seine Staaten, das Königreich Sachsen und das von Napoleon aus vormals preußischem und österreichischem Gebiet geschaffene Herzogtum Warschau, waren von Russland besetzt. Preußens König Friedrich Wilhelm III. und Russlands Zar Alexander I. waren sich einig, dass Friedrich August durch sein Festhalten am Bündnis mit dem Usurpator aus Korsika bis zu seiner Gefangennahme durch die Alliierten seine Ansprüche auf Sachsen und Warschau verwirkt habe. Zwischen beiden Monarchen herrschte Konsens, dass der preußische König Friedrich Augusts Königreich annektieren und der russische Zar das Herzogtum Warschau als Königreich Polen und liberales Experimentierfeld erhalten solle.

Preußen war die jüngste der fünf europäischen Großmächte und galt traditionell als die kleinste. Von daher hatte das auf ein kontinentales Gleichgewicht bedachte Großbritannien keine grundsätzlichen Einwände gegen eine Vergrößerung Preußens. Frankreich war an Sachsen wenig interessiert und spielte als Kriegsverlierer auf dem Wiener Kongress nicht die entscheidende Rolle.

In Österreich indes bereitete die Vorstellung Bauchschmerzen, den traditionellen Verbündeten gegen Preußen fallen zu lassen und dass die bisherige österreichisch-sächsische Grenze nun österreichisch-preußische würde. Dem österreichischen Staatskanzler Clemens von Metternich gefiel die Vorstellung auch nicht, aber er setzte andere Prioritäten. Er war in erster Linie Gleichgewichtspolitiker, und das Gleichgewicht sah er weniger durch Preußen denn durch den Nachfolger des napoleonischen Frankreichs als bedeutendste Macht auf dem Kontinent, durch Russland bedroht. Metternich gewann den britischen Außenminister für seine Gleichgewichtspolitik und antwortete auf die Anfrage des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg nach der Haltung Österreichs zu den preußischen Annexionswünschen vom 9. Oktober 1814 13 Tage später, dass er mit einer Annexion einverstanden sei, sofern denn der Preuße uneingeschränkt helfe, eine Einverleibung des Herzogtums Warschau in das russische Imperium zu verhindern. 

Dazu war Hardenberg bereit. Einen Tag nach Metternichs Antwort trafen sich die beiden mit dem britischen Außenminister. Dieses „Komplott vom 23. Oktober“, wie Alexander I. die Dreierrunde nannte, erarbeitete Alternativvorschläge für die polnische Frage. Der erste Vorschlag sah ein selbstständiges großpolnisches Reich vor. Die Realisierung dieses Vorschlags hätte von Österreich und Preußen zwar Opfer gefordert. Das war aber kaum von Bedeutung, da sie von Russland noch ungleich größere verlangt hätte und daher eine Zustimmung des Zaren als höchst unwahrscheinlich galt. Der zweite, realistischere Vorschlag sah vor, das Herzogtum Warschau und damit Polen zwischen den drei benachbarten Großmächten zu teilen und damit den Zustand vor den Napoleonischen Kriegen wiederherzustellen. Am 24. Oktober stellte Metternich die von den Dreien erarbeiteten Alternativvorschläge zur Lösung der polnischen Frage dem Zaren vor.

Am darauffolgenden Tag kam es zu einer unerwarteten Wendung. Für diesen 25. Oktober hatte der Gastgeber des Kongresses, Österreichs Kaiser Franz I., die beiden übrigen in Wien anwesenden Großmachtherrscher, Friedrich Wilhelm III. und Alexander I., zu einer dreitägigen Vergnügungsreise nach Ofen eingeladen. Alexanders I. Bemühen war es während der Reise, die beiden Mitreisenden für seinen Polenplan zu gewinnen. Der politisch recht uninteressierte Franz verwies Alexander an seinen Staatskanzler Metternich, aber Friedrich Wilhelm reagierte dafür wie erwünscht. Am 3. November 1814 befahl der Alexander in Dankbarkeit und Freundschaft verbundene Preußenkönig, von dem das bezeichnende Wort stammen soll „Je ferai comme l’Empereur Alexandre“ (Ich werde es wie Kaiser Alexander machen), Hardenberg, keine weiteren Separatverhandlungen mit Metternich und dem britischen Außenminister zu führen. Am 7. November 1814 erfuhr Metternich durch Hardenberg von diesem weitreichenden Ereignis.

Metternich musste erkennen, dass Österreich gegen ein nun letztlich bedingungslos von Preußen unterstütztes Russ­land die russische Einverleibung des Herzogtums Warschau nicht verhindern konnte. Im Februar 1815 wurde die sogenannte sächsisch-polnische Frage einer Lösung zugeführt. Der Zar musste vom Herzogtum Warschau nur auf Randgebiete verzichten. Österreich erhielt vom Territorium des Herzogtums ausschließlich die Salzbergwerke von Wielitzka und den ebenfalls nach dem Fünften Koalitionskrieg im Frieden von Schönbrunn 1809 abgetretenen Tarnopoler Kreis zurück. Das vormals österreichische Krakau wurde Freistaat. Von den vormals preußischen Teilen des Herzogtums Warschau, die Preußen nach dem Vierten Koalitionskrieg im Frieden von Tilsit 1807 abgetreten hatte, verzichtete Alexander I. nur auf die Pfalzgrafschaften Posen und Gnesen sowie die vormals westpreußischen Distrikte samt Thorn zugunsten ihres vormaligen Besitzers. 

In der sächsischen Frage musste Preußen den Preis für seinen Seitenwechsel in der polnischen Frage bezahlen. Mit einem Zaren an der Seite, den Polen, aber nicht Sachsen interessierte, und gegen einen österreichischen Staatskanzler, dem es gelungen war, außer dem britischen auch den französischen Außenminister auf seine Seite zu ziehen, war es Hardenberg nicht möglich, die angestrebte Totalannexion Sachsens zu erreichen. 

Nachdem Hardenberg nolens volens am 6. März 1815 zugestimmt hatte, beschlossen einen Tag später die Vertreter der fünf Großmächte eine Teilung Sachsens. Etwa drei Fünftel Sachsens mit gut der Hälfte der Bevölkerung blieb Friedrich August erhalten, nur der Rest fiel an Preußen.