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Folge 47-22 vom 25. November 2022 / Architektur / Er schuf die Berliner Philharmonie / Mit Hans Scharoun starb vor einem halben Jahrhundert einer der bedeutendsten Vertreter der Organischen Architektur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-22 vom 25. November 2022

Architektur
Er schuf die Berliner Philharmonie
Mit Hans Scharoun starb vor einem halben Jahrhundert einer der bedeutendsten Vertreter der Organischen Architektur
Martin Stolzenau

Hans Scharoun stammte aus Bremen, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Bremerhaven und entwickelte sich als Architekt zu einem Hauptrepräsentanten der Organischen Architektur in Deutschland. Er hielt Distanz zum Nationalsozialismus, schuf bis 1933 und nach 1945 beeindruckende Bauten, die ihm internationale Bekanntheit bescherten sowie zahlreiche Auszeichnungen eintrugen, und fungierte in der Nachkriegszeit lange als „der erste gewählte Präsident der neu gegründeten Akademie der Künste“. Scharoun erreichte damit auch über seinen Tod vor 50 Jahren hinaus bis in die Gegenwart eine große Nachwirkung. Viele seiner hinterlassenen Bauten wie das Haus Schminke in Löbau, sein Beitrag für die Weißenhofsiedlung sowie die Hochhäuser Romeo und Julia in Stuttgart, das Kulturforum sowie die Philharmonie in Berlin, die Berliner Siemensstadt mit der parkähnlichen Grünlandschaft und das Laubenganghaus in Berlin-Friedrichshain zeugen von seinen ungewöhnlichen gestalterischen Fähigkeiten und gehören heute zu den Stilikonen.

Der berühmte Architekt wurde am 20. September 1893 als Bernhard Hans Henry Scharoun in Bremen geboren. Seine Vorfahren waren Einwanderer aus Böhmen. Sein Vater übernahm als Kaufmann kurz nach seiner Geburt die neue Karlsburg-Brauerei in Bremerhaven. Dort wuchs der Junge auf, absolvierte er das Gymnasium.  In zunehmendem Maße an Architektur, dem Art déco und dem Jugendstil interessiert beteiligte er sich schon als Gymnasiast an einem Wettbewerb für den Bau einer evangelischen Kirche. 

Wiederaufbau in Ostpreußen

Nach diesem Erstversuch und dem Abitur studierte Scharoun ab 1912 an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg Architektur. Er betreute erste Bauvorhaben wie das Sanatorium Freymuth in Babelsberg und das Krankenhaus in Berlin-Mariendorf. In den Ferien arbeitete er in Bremerhaven als Maurer, um sich baupraktisch zu vervollkommnen. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde der Kriegsfreiwillige in das Militär-Baubüro in der ostpreußischen Kreisstadt Stallupönen abkommandiert, wo er beim Wiederaufbau half. Aus der Beschäftigung mit expressionistischen Architekturformen entwickelte er bis in die 20er Jahre in Zeichnungen erste utopische Bauformen. Ab 1919 leitete Scharoun in der ostpreußischen Kreisstadt Insterburg ein Architekturbüro, Kleinhäuser und die Siedlung „Bunte Reihe“ entstanden. 1920 heiratete er Aenne Hoffmeyer, eine Architektentochter aus dem Nachbarhaus in Bremerhaven. Er beteiligte sich an verschiedenen Architekturwettbewerben, gewann einen 1. Preis für den Entwurf der Domplatzgestaltung in der Kreisstadt Prenzlau im Landkreis Uckermark, wurde in den Werkbund aufgenommen und musste sich wegen seiner utopischen Visionen auch der Kritik durch den Architekturkritiker Adolf Behne erwehren. Sein Ansehen aber wuchs, trug ihm 1925 die Berufung als Professor an die Staatliche Akademie in Breslau und die Aufnahme in die Architektenvereinigung „Der Ring“ ein.

Scharoun entwickelte Ende der sogenannten Goldenen Zwanziger unabhängig von prominenten Kollegen wie Walter Gropius, Erich Mendelsohn, Frank Lloyd Wright oder De Stil verstärkt aus einer ganzheitlichen Betrachtung der Lebensbedingungen sein Konzept der Organischen Architektur, prägte in Breslau zahlreiche Studenten in seinem Sinne und unterhielt in Berlin parallel ein Architekturbüro für die praktische Seite und die Realisierung zahlreicher Bauaufträge. Mittendrin das Haus Schminke in Löbau, das zwischen 1930 und 1933 entstand. 

Stadtbaurat in Berlin 1945/46

Obwohl viele seiner Kollegen während der NS-Zeit ins Exil gingen, wählte der inzwischen bekannte Architekt, nachdem die Akademien in Königsberg, Kassel und Breslau geschlossen worden waren und er beurlaubt worden war, eine Form der „inneren Emigration“ ohne öffentliche Bauaufträge mit der Beschränkung auf private Einfamilienhäuser. Dazu kamen zusätzliche Rückschläge wie der Verlust seiner Baubüros durch Luftangriffe. Ab 1943 wurde er von den Behörden zur baulichen Beseitigung von Bombenschäden verpflichtet. 

Nach dem Krieg berief der Berliner Stadtkommandant den als unbelastet eingestuften Stararchitekten zum Stadtbaurat. Mit Kollegen entwickelte Scharoun einen sogenannten Kollektivplan, der einen Neubau in einer Art Gitterstruktur mit gleichmäßiger Wohndichte und strikter Funktionstrennung vorsah. Konservative Kräfte kritisierten seine Entwürfe als utopisch, die SED als bourgeois und funktionalistische Architektur. Scharoun wurde als Stadtbaurat durch den konservativen Fachkollegen Karl Bonatz ersetzt, bekam 1947 eine Professur für Architektur an der Technischen Universität Berlin und hatte über die Lehrtätigkeit hinaus einige Mühe, seine Vorstellungen baupraktisch umzusetzen. Die bekannteste Ausnahme sind die Stuttgarter Hochhausgruppe Romeo und Julia, die Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Lünen, die Volksschule in Marl, das Gebäude der Deutschen Botschaft in Brasilia sowie schließlich die von 1956 bis 1963 erbaute Berliner Philharmonie, die den internationalen Ruf des Präsidenten der Akademie der Künste von 1955 bis 1968 und anschließenden Ehrenpräsidenten festigte.

Die Fertigstellung seines möglicherweise bekanntesten Werkes überlebte der Architekt um ein knappes Jahrzehnt. Vor einem halben Jahrhundert, am 25. November 1972, starb Hans Scharoun in Berlin. Seine letzte Ruhe fand er in einem Ehrengrab auf dem Waldfriedhof Zehlendorf. 

Drei letzte bedeutsame Bauten wurden erst nach seinem Tod fertig. Das waren das Theater in Wolfsburg, das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven und das Haus Potsdamer Straße der Staatsbibliothek zu Berlin, sein größtes Bauwerk.