12.12.2024

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Folge 48-22 vom 02. Dezember 2022 / Bankrott einer Kulturnation / Der Goldraub von Manching offenbart einmal mehr den schludrigen Umgang hierzulande mit dem kulturellen Erbe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-22 vom 02. Dezember 2022

Bankrott einer Kulturnation
Der Goldraub von Manching offenbart einmal mehr den schludrigen Umgang hierzulande mit dem kulturellen Erbe
René Nehring

Der Raub des Kelten-Goldschatzes von Manching ist ein Desaster. Am 22. November 2022 brachen Unbekannte in das Kelten-Römer-Museum in der oberbayerischen Marktgemeinde ein und stahlen sämtliche 483 Goldmünzen sowie einen rund 200 Gramm schweren Goldklumpen aus der Zeit um 100 vor Christus (siehe zu dem Schatz auch die folgende Seite). 

Nur neun Minuten brauchten die Täter, um einen der größten Goldfunde des 20. Jahrhunderts ins Ungewisse verschwinden zu lassen. „Ungewiss“ vor allem deshalb, weil angesichts der Tatsache, dass derartige Schätze gewöhnlich schwer zu verkaufen sind, zu befürchten ist, dass die Münzen eingeschmolzen werden. Zuvor hatten die Räuber mehrere Glasfaserkabel der Telekom durchtrennt und so nicht nur den Zugang der Gemeinde zum Internet gekappt, sondern auch die Alarmanlage des Museums ausgeschaltet. 

Nachlässigkeit und Ignoranz 

Die Umstände des Goldraubs sind bezeichnend für den Umgang des deutschen Rechts- und Kulturstaats mit den ihm anvertrauten Gütern. Denn das Verbrechen von Manching ist nicht das erste dieser Art. Im November 2019 brachen Diebe in das Dresdner Grüne Gewölbe ein und stahlen 21 Schmuckstücke mit rund 4300 Diamanten in einem Gesamtwert von weit über 100 Millionen Euro. Im März 2017 raubten Einbrecher eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum. Der Schaden hier: knapp vier Millionen Euro. Und im März 2008 stahlen Räuber das Borghorster Stiftskreuz, das zu den bedeutendsten Goldschmiedearbeiten der Ottonen-Zeit gehört. 

Eine solche Häufung von Vorfällen wirft Fragen auf. Eine naheliegende ist die nach den Tätern, die ausweislich ihres Vorgehens absolute Profis waren. In der Sache des Juwelenraubs von Dresden stehen sechs Mitglieder des arabischen Remmo-Clans vor Gericht, der seit Jahren regelmäßig im Zusammenhang mit schwersten Straftaten genannt wird. Und für den Einbruch im Bode-Museum wurden zwei Remmo-Clan-Mitglieder zu je viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Da beide Verbrechen eine ähnliche Handschrift wie der Raub von Manching aufweisen, gerieten die Remmos umgehend in Verdacht, auch nun wieder ihre schmutzigen Finger im Spiel zu haben. Bewiesen ist das nicht. Und doch stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass diese Täter den deutschen Rechtsstaat immer wieder vorführen? 

Eine weitere Frage ist, wie leicht Kriminelle Kulturgüter stehlen können. Offenkundig ist es nicht allzu schwer, im Land der Dichter und Denker die Sicherheitskonzepte der Museen und Ausstellungshäuser auszuhebeln. Offenkundig wird niemand von den dort Verantwortlichen misstrauisch, wenn ein Stromausfall die eigenen Schutzvorkehrungen aushebelt. Und offenkundig gibt es für viele Einrichtungen keinen Wachschutz, der wenigstens sporadisch nach dem Rechten sieht und bei Bedarf sofort eingreift. In Manching wurde der Raub erst am nächsten Tag bemerkt, in Dresden beobachteten Sicherheitsleute zwar die Tat auf einem Monitor, durften aber „aus Sicherheitsgründen“ nicht selbst einschreiten, sondern mussten die Polizei informieren. 

Natürlich kann in einem Land wie Deutschland mit seiner einzigartigen Dichte an kulturellen Schätzen nicht jeder Ort rund um die Uhr wie eine Festung bewacht werden. Aber dass man in bedeutende Stätten der Weltkultur einfach hineinspazieren kann, sobald man den Strom ausgeschaltet hat, macht sprachlos. 

Der niedrige Stellenwert der Kultur

Und so gilt es, noch vor allen Sicherheitsfragen darüber zu sprechen, welchen Stellenwert historische Gemälde, Skulpturen, Bücher und Handschriften hierzulande haben. Denn die Museen, Archive und Bibliotheken, in denen diese lagern, sind ja nicht nur von Räubern bedroht, sondern auch von Schlamperei und Vernachlässigung. 2004 fielen 50.000 Bände der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar einem verheerenden Feuer zum Opfer. Als Ursache gilt ein Schwelbrand, der durch ein veraltetes Kabel ausgelöst wurde. Ein Debakel also, das vermeidbar gewesen wäre. 

Und in Köln stürzte 2009 das historische Stadtarchiv zusammen, weil gleich nebenan waghalsig ein U-Bahn-Tunnel gebaut wurde und selbst ein Absinken des Gebäudes um 20 Millimeter während der Bauarbeiten niemanden alarmierte. So fiel ein Bauwerk, das immerhin den Zweiten Weltkrieg, der Köln in Schutt und Asche legte, schadlos überstanden hatte, der Ignoranz unserer Tage zum Opfer. Der materielle Schaden geht in die Milliarden, der ideelle ist nicht zu benennen. 

Doch zurück zu Manching: Wo bleibt in dieser Sache ein Wort der zuständigen Kulturstaatsministerin, die qua Amt oberste Lobbyistin in Sachen Kultur sein sollte? Wo bleibt zum Beispiel ein Appell an die Nation, endlich die Gefahren für das in Deutschland liegende Kulturgut zu erkennen und dieses angemessen zu sichern? Zu vernehmen war Claudia Roth dazu in den vergangenen Tagen nicht. Auch auf ihrer dienstlichen Webseite findet sich dazu nichts. Dafür unter dem Stichwort „Green Culture“ ein Plädoyer für einen „Aufbruch zu mehr Nachhaltigkeit in Kultur und Medien“ – was auch immer das im Kontext der Kultur sein soll. Gibt es etwas Nachhaltigeres als einen jahrtausendealten Goldschatz – und dessen Aufbewahrung an einem sicheren Ort? 

Derlei Nicht-Reaktionen sowie auch der Befund, dass der Raub von Manching schon wenige Tage später aus dem Fokus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden ist, lassen indes befürchten, dass die Deutschen auch in Zukunft so manches „Manching“ erleben werden.