Schreie, Schüsse und donnerndes Artilleriefeuer: Wer in den Keller des General Post Office in Dublin geht, wird mitten in die dramatischen Szenen des Osteraufstands von 1916 hineingezogen, der damals blutig niedergeschlagen wurde. „Werdet Zeugen der Revolution“, verspricht die Ausstellung. Ein animierter Film auf einer riesigen gebogenen Drei-D-Videoleinwand macht den Besucher schwindelig. Zentrum der damaligen Ereignisse war das Hauptpostamt, das GPO. In diesem massiven Gebäude verschanzten sich die irischen Rebellen, bis die britische Armee sie niederbombte.
Der irisch-republikanische Osteraufstand im April 1916 war ein Himmelfahrtskommando, dilettantisch und naiv organisiert. Anfangs stand die Mehrheit der Bevölkerung Dublins auch gar nicht auf der Seite der militanten Rebellen, die hier mitten im Ersten Weltkrieg einen Unabhängigkeitskrieg starten wollten. Ihr Aufstand scheiterte nach nur sechs Tagen. Doch die harte Reaktion der Briten wendete das Blatt und löste eine Solidaritätswelle aus. Die Unabhängigkeitsbewegung gewann immer mehr Unterstützer, die radikale Partei „Sinn Féin“ (wir selbst) wurde zur Massenorganisation. Und nach einem zweieinhalbjährigen Unabhängigkeitskrieg 1919 bis 1921 sah sich London gezwungen, den Anglo-Irischen Vertrag zu unterzeichnen, der wenigstens für die 26 Grafschaften im katholischen Süden Irlands einen Freistaat vorsah.
Anglo-Irischer Vertrag
Der Weg dorthin war lang und opferreich. Im 19. Jahrhundert war ein neues irisches Nationalbewusstsein gewachsen. Dichter und Denker entdeckten die alte gälische Landessprache wieder und gründeten Kulturvereine wie die Gaelic League. Politisch wache Bürger forderten „Irish Home Rule“ – politische Selbstbestimmung. Ihnen war die Lage ihrer kleinen Insel schmerzlich bewusst, die in den 1840er Jahren grauenhafte Verluste an Menschenleben während der Großen Hungersnot erlitten hatte und sich von London unterdrückt fühlte. Millionen Iren wanderten in dieser Zeit aus. Als Kolonie hing Irland von Londons Gutdünken ab, eine britisch-protestantische adelige Oberschicht beherrschte das Land politisch und auch ökonomisch. Zwei republikanische Aufstände 1848 und 1867 scheiterten, ebenso die ersten Anläufe für ein „Home Rule“-Gesetz. 1912 schien das von den Liberalen in Westminster eingebrachte (dritte) „Home Rule“-Gesetz zum Greifen nahe, die gemäßigten Nationalisten der Irish Party schienen erfolgreich.
Aber den radikalen, revolutionär gestimmten Republikanern genügte das nicht. 1905 hatten sie Sinn Féin gegründet und sannen auf eine Strategie zur politischen Unabhängigkeit. Auf der anderen Seite bildete sich die Ulster Volunteer Force, eine unionistische paramilitärische Miliz, die „Home Rule“ verhindern wollte. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhinderte, dass das Gesetz in Kraft trat. Während der Vorsitzende der gemäßigten Irish Party alle Patrioten aufrief, sich als Freiwillige zum Dienst in der britischen Armee zu melden, sahen die militanten irischen Republikaner die Chance eines Aufstandes gegen die Briten, während diese vom Krieg gegen Deutschland abgelenkt sind.
Organisiert wurde der Aufstand von der Irish Republican Brotherhood, zu deren militärischen Anführern ab 1915 Männer wie Joseph Plunket und Patrick
Pearse, ein Lehrer und Mitglied der Gaelic League, gehörten. Hinzu kamen der Gewerkschafter James Connolly von der Irish Citizen Army und weitere. Auch wenn Connollys sozialistische Bewegung das Motto vertrat „We serve neither King nor Kaiser, but Ireland“ (Wie dienen weder [dem britischen] König noch [dem deutschen] Kaiser, sondern Irland), waren doch einige andere Rebellen zur Zusammenarbeit mit dem deutschen Kaiserreich bereit, getreu dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die deutsche Marine schickte sogar ein Schiff, die „Libau“, mit Gewehren und Sprengstoff zur Unterstützung des Osteraufstands, doch wurde der Blockadebrecher von der Royal Navy abgefangen, und dessen Kapitän sah sich zur Selbstversenkung gezwungen.
Am Ostermontag, dem 24. April 1916, war es so weit. Ein siebenköpfiges Komitee rief vor dem Hauptpostamt die Republik aus und erklärte sich zur provisorischen Regierung. Passanten reagierten eher verwundert, manche lachten. Der bewaffnete Aufstand geriet zum Fiasko. Statt einer landesweiten Erhebung folgen nur etwa 1200 Männer und ein paar Frauen in Dublin dem Ruf zu den Waffen. Unterstützt von einem Kanonenboot im Hafen machte die herbeigeilte britische Armee mit ihrer überlegenen Feuerkraft die Revolutionäre nieder. 458 Menschen starben, darunter mehr als ein Drittel Kinder und Jugendliche. Mehr als 3500 Aufständische verhafteten die Briten, 16 Anführer exekutierten sie, darunter Connolly, nachdem Pearse nach sechs Tagen Kampf die Kapitulation unterzeichnet hatte.
Irish Free State Constitution Act 1922
Doch die Niederlage verwandelte sich schrittweise in einen Sieg, da die Bevölkerungsmeinung mehr und mehr zur Sache der irischen Republikaner neigte. Im Dezember 1919 gewann Sinn Féin bei der Parlamentswahl triumphal. Nur in der nordwestlichen Ecke des Landes, in Ulster, behielten Unionisten die Mehrheit. Der folgende Unabhängigkeitskrieg, ein Guerillakrieg, in dem sich die Irish Republican Army (IRA) und die britische Armee gegenüberstanden, forderte bis Mai 1921 nochmals fast 2000 Todesopfer. Hinterhalte, Mordanschläge, Vergeltungs- und Wiedervergeltungsschläge erschütterten über anderthalb Jahre die Insel.
Der am 6. Dezember 1921 geschlossene Anglo-Irische Vertrag beendete den Irischen Unabhängigkeitskrieg. Er sah die Schaffung eines Irischen Freistaates vor. Dadurch erhielt nun zumindest der Süden der Insel erstmals politische Selbstbestimmung mit einer eigenen Regierung. Aber als Freistaat blieb (Süd-)Irland Teil des Empires unter der britischen Krone. Es wurde ein Dominion wie Australien, Neuseeland oder Kanada.
Ein Teil der irischen Unabhängigkeitsbewegung störte sich an der Beschränkung der Unabhängigkeit des Freistaates und dessen Beschränkung auf den Südteil der Insel. Darüber kam es zum Irischen Bürgerkrieg, den die Befürworter des anglo-irischen Kompromisses gewannen.
Entsprechend dem Anglo-Irischen Vertrag wurde eine Verfassung für den zu schaffenden Irischen Freistaat entworfen. Dieser Entwurf wurde vom britischen Parlament gebilligt. In dem Irish Free State Constitution Act 1922 hieß es in Section 1, dass die Verfassung durch eine königliche Proklamation in Kraft trete, die spätestens am 6. Dezember 1922 zu erfolgen habe. An jenem Nikolaustag des Jahres 1922 fand dann auch tatsächlich eine königliche Proklamation der Verfassung statt, die als Gründungsakt des Irischen Freistaates gilt.