24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 48-22 vom 02. Dezember 2022 / Gedenken an Werner Schulz / „Was lange gärt, wird schließlich Mut“ / Der DDR-Bürgerrechtler blieb auch als langjähriger Politiker von Bündnis 90/Die Grünen seinen demokratischen Prinzipien treu

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-22 vom 02. Dezember 2022

Gedenken an Werner Schulz
„Was lange gärt, wird schließlich Mut“
Der DDR-Bürgerrechtler blieb auch als langjähriger Politiker von Bündnis 90/Die Grünen seinen demokratischen Prinzipien treu
Erik Lommatzsch

Am 9. November verstarb Werner Schulz während einer Gedenkveranstaltung im Berliner Schloss Bellevue. Der Tod ereilte den DDR-Bürgerrechtler, der später als Politiker für Bündnis 90/Die Grünen wirkte, ausgerechnet an dem Tag, von dem er einmal sagte, dass er „wie kein zweiter die Geschichte der Deutschen bündelt“. Gerade wegen der Ambivalenzen, die sich mit dem 9. November verbinden, hätte ihn Schulz gern als deutschen Nationalfeiertag gesehen. 

Dem 1950 im sächsischen Zwickau geborene Schulz, der Lebensmitteltechnologie studiert hatte, wurde 1980 von der Berliner Humboldt-Universität aufgrund seines Protests gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan gekündigt. 1981 gehörte er zu den Mitbegründern des oppositionellen Pankower Friedenskreises. In der Zeit des Umbruchs und der friedlichen Revolution engagierte er sich im Neuen Forum, er gehörte der ersten freigewählten Volkskammer der DDR und bis 2005 dem Bundestag an. Vom Neuen Forum war er zum Bündnis 90 gewechselt, das 1993 mit den Grünen fusionierte.

Schulz hätte statt eines Beitritts der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes eine Vereinigung nach Artikel 146 mit einer neuen Verfassung vorgezogen. Innerhalb seiner Partei stand er oft gegen die Mehrheit. So setzte er sich während der Jugoslawienkriege bereits frühzeitig für eine Militärintervention ein und verwahrte sich gegen den Gedanken einer Zusammenarbeit mit der zunächst in PDS umbenannten SED. Seinem Parteikollegen „Joschka“ Fischer war Schulz in herzlicher Abneigung verbunden. Schon sehr früh hatte er für einen kritischen Umgang mit dem russischen Präsidenten Putin plädiert.

Zuhören gehört zur Demokratie

Die 2005 zur Herbeiführung von Neuwahlen durch Gerhard Schröder gestellte Vertrauensfrage bezeichnete er als „fingiert, inszeniert und unehrlich“. Gegenüber den Abgeordneten aus den eigenen Reihen sei dies Machtmissbrauch gewesen. Sie seien „eingeladen“ worden, bei der Abstimmung dem Willen der Regierung zu folgen, obwohl die rot-grüne Koalition über eine stabile Mehrheit verfügt habe. 

Schulz, der später noch einmal ein Mandat im EU-Parlament erhalten sollte, galt als bemerkenswerter Redner. In guter Erinnerung ist seine Ansprache vom 9. Oktober 2009 in Leipzig anlässlich des 20. Jahrestages der entscheidenden Montagsdemonstration. Unter anderem führte er aus: „Die unerwartete Übermacht von 70.000 hatte alle Einsatzpläne zunichte gemacht und übertraf die Kapazität der geplanten Internierungslager.“ Einen langen Vorlauf habe die Revolution von 1989 gehabt, im Rückblick könne man mit dem Wortwitz von damals sagen: „Was lange gärt, wird Mut.“

Dass Schulz im Spektrum der Grünen eine Ausnahmeerscheinung war, zeigte er auch am 3. Oktober 2020. Linke, SPD und Grüne boykottierten im sächsischen Landtag die Festrede des konservativen Christdemokraten Arnold Vaatz, der zuvor unter anderem den Umgang mit den Kritikern der Corona-Politik angeprangert hatte. Schulz, der immer der Meinung war, zuzuhören gehöre zur Demokratie, nahm demonstrativ als Gast an der Veranstaltung teil und bezeichnete „den Ausfall meiner grünen Freunde hier im Landtag“ als „inakzeptabel, armselig und peinlich“.