27.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 50-22 vom 16. Dezember 2022 / Demographischer Wandel / Die Regierung nimmt Senioren ins Visier / Arbeitende Ruheständler sollen den Fachkräftemangel abfedern – Ab Januar fallen die Hinzuverdienstgrenzen für Frührentner weg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-22 vom 16. Dezember 2022

Demographischer Wandel
Die Regierung nimmt Senioren ins Visier
Arbeitende Ruheständler sollen den Fachkräftemangel abfedern – Ab Januar fallen die Hinzuverdienstgrenzen für Frührentner weg
Manuela Rosenthal-Kappi

Wie dringend Fachkräfte benötigt werden, fällt schon beim Einkaufsbummel in der nächstgelegenen Stadt auf. Ob beim Friseur, beim Bäcker oder im Schuhgeschäft: Überall werben die Firmeninhaber mit Schildern im Schaufenster um Arbeitskräfte. Galten vor wenigen Jahren ältere Mitarbeiter als Belastung einer Firma und fürchteten viele ihre vorzeitige Entlassung, wenn sie nicht mehr so belastbar waren, so wendet sich derzeit das Blatt zu ihren Gunsten.

Der Fachkräftemangel trägt dazu bei, und er wird die Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten vor große Herausforderungen stellen. Das hat auch die Bundesregierung erkannt. Im kommenden Jahr fällt die Hinzuverdienstgrenze für vorzeitig in Rente gegangene Beschäftigte komplett weg. Bislang galt für Frührentner eine Hinzuverdienstgrenze von 46.060 Euro. Wie bisher darf, wer das Regeleintrittsalter erreicht hat, so viel dazu verdienen wie er möchte, ohne dass es Abzüge von der Rente gibt. Allerdings ist das Einkommen steuerpflichtig, wenn es über dem Freibetrag von 10.908 Euro liegt. Daneben gibt es flexible Möglichkeiten, Rente und Arbeit auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt miteinander zu kombinieren. 

Flexible Regelungen

In ihrem vierten Bericht zur Anhebung der Regelaltersrente auf 67 Jahre stellte die Bundesregierung fest, dass angesichts zunehmender Engpässe bei Fachkräften die Fähigkeiten und Potentiale älterer Arbeitnehmer mehr denn je gebraucht würden. Die Arbeitswelt habe die Herausforderungen des demographischen Wandels erkannt und stelle sich zunehmend darauf ein. „Es ist davon auszugehen, dass die Erwerbsbeteiligung Älterer auch in Zukunft weiter ansteigen wird“, schreibt die Regierung.

Die Corona-Pandemie hat den Fachkräftemangel noch verschärft. Längst haben sich viele Unternehmer auf die veränderte Realität eingestellt. Vier von zehn Firmen setzen bereits auf Menschen im Rentenalter. Vor allem das Fachwissen der Älteren ist in vielen Bereichen unverzichtbar. Zunehmend erkennen Betriebe, welchen Wert Senioren für ihr Unternehmen haben. Oliver Stettes, Forscher am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sagt: „Sechs von zehn Leuten, die in Rente gehen, würden die Unternehmen gern halten.“

Der demographische Wandel schlägt durch: Die Alten gehen, Junge fehlen. Das bekommen heute Unternehmen in Mitteldeutschland besonders deutlich zu spüren, weil dort vergleichsweise viele in Rente gehen und Nachwuchs fehlt. Der MDR berichtet über Beispiele wie den Industriemaschinenhersteller Arno Barthelmes, der seit mehr als 20 Jahren Rentner beschäftigt. Sie strahlten nicht nur Ruhe aus, sondern gäben auch Anstand, Benehmen und Erfahrung an die Jüngeren weiter. 

Arm trotz Rente

Während laut einer aktuellen Untersuchung des IW das zusätzliche Einkommen beim Arbeiten über das Rentenalter hinaus nicht die zentrale Rolle spielt, sondern die Menschen Spaß an der Tätigkeit haben, ist es für 20 Prozent der Rentner bittere Notwendigkeit, etwas hinzuzuverdienen. Jede fünfte Altersrente liegt unter 500 Euro monatlich – zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben. Die Meisten, die trotz Rente arm sind, nehmen Minijobs an. Insgesamt steigt die Zahl der beschäftigten Rentner kontinuierlich. Mussten 2010 rund 685.000 Senioren arbeiten, waren es 2018 schon 968.000. Heute sind rund drei Prozent aller Beschäftigten in Deutschland berufstätige Rentner.

In den Bereichen Medizin, Pflege und Bildung könnten nach Vorstellung der Regierung besonders viele Senioren arbeiten, de facto sind laut einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) von 2020 viele Ältere heute in Branchen tätig, die nicht zu ihrem Alter passen, etwa in der Baubranche oder im  verarbeitenden Gewerbe. 

Das Ausmaß des demographischen Wandels wird laut Experten erst im Jahr 2035 voll zu Buche schlagen. Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, hatte im Sommer gefordert, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre anzuheben. Vor dem Hintergrund, dass sich in den kommenden Jahren die Folgen des Babybooms der 60er Jahre und des Geburtenknicks ab Beginn der 70er Jahre auswirken, ist das keine überzogene Forderung. Das Rentensystem rutscht durch mehrere Faktoren in die Krise: In den nächsten zehn Jahren gehen die Babyboomer in Rente, und die durchschnittliche Lebenserwartung steigt. Wegen der Geburtenrückgänge fehlt der Nachwuchs. 

 Laut Statistischem Bundesamt werden 12,9 Millionen Erwerbstätige bis 2036 das Renteneintrittsalter überschritten haben. Das entspricht knapp 30 Prozent der aktuell auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen. 

In Zukunft werden immer weniger Junge für immer mehr Rentner aufkommen müssen. Der Altersquotient, eine Zahl, die anzeigt, wie viele Rentner es pro 100 Menschen im Arbeitsalter gibt, liegt derzeit bei 38. Vor 20 Jahren kamen noch 28 Rentner auf 100 Arbeitende. Setzt sich diese Entwicklung fort, liegt der Altersquotient im Jahr 2035 bei 53.