29.03.2024

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Folge 50-22 vom 16. Dezember 2022 / Häresie von Orléans / Im Sinne von König und Klerus / Die erste bekannte Ketzerverbrennung des Mittelalters fand vor 1000 Jahren in Frankreich statt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-22 vom 16. Dezember 2022

Häresie von Orléans
Im Sinne von König und Klerus
Die erste bekannte Ketzerverbrennung des Mittelalters fand vor 1000 Jahren in Frankreich statt
Lydia Conrad

Am 25. Dezember 1022 trat auf Anordnung des französischen Königs Robert II., genannt der Fromme, eine aus fünf Bischöfen zusammengesetzte Synode in der Stadt Orléans zusammen. Zu ihren Mitgliedern gehörten neben dem Bischof von Orléans, anfänglich Dietrich II., später Odalric, Gauzlin de Fleury, der Erzbischof von Bourges; Francon, der Kanzler des Königs und Bischof von Paris; Guérin, der Bischof von Beauvais; und Léotheric, der Erzbischof von Sens. Diese Synode hatte über das Schicksal von rund einem Dutzend Mitgliedern des Domkapitels der Kathedrale Sainte-Croix in Orléans und anderen hohen Gelehrten aus dem Umfeld von Roberts ungeliebter Ehefrau Konstanze von der Provence zu befinden, darunter Lisoie, der Kantor der Bischofskirche und Stephan, der Beichtvater Konstanzes. 

Den Beschuldigten wurde Häresie vorgeworfen, nachdem Arefat, ein Onkel Herzogs Richards II. von der Normandie und auf Befehl des Königs eingeschleuster Spitzel, sie denunziert hatte. Zwar stimmen die Aussagen der fünf wesentlichsten Quellen über die sogenannte Häresie von Orléans nicht immer überein und Arefat selbst schrieb über die wortgewandten Kanoniker frustriert: „Sie schlüpften durch die Finger wie Aale“, doch standen die Ansichten von Lisoie und der anderen Beschuldigten in der Tat in krassem Widerspruch zu den Dogmen der katholischen Kirche.

Abrechnen mit Kritikern

Es ist anzunehmen, dass sie fast alles für entbehrlich hielten, was die Kirche damals ausmachte: Beichte, Buße, Gnadenakt und Sakramente, die Taufe sowie auch die Eheschließung, das Handauflegen und die Verehrung von Heiligen oder Reliquien. Darüber hinaus wurden die Jungfräulichkeit Marias, die im Messopfer sich vollziehende Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi und die Heiligkeit von Orten wie Kirchen und Friedhöfen angezweifelt. Stark im Zentrum ihrer Kritik stand des Weiteren die Rolle der Bischöfe. Diese sollten nach Ansicht der Beschuldigten keinerlei Autorität über die Gläubigen und auch nicht das Recht haben, Priester zu weihen. Für sich selbst strebten die Angeklagten nach einem intensiven inneren Leben bei gleichzeitiger strenger Askese in allen Belangen einschließlich des Verzichts auf Fleisch. 

Mit ihrem überaus radikalen Bekenntnis wollten die Dissidenten von Orléans die Tradition des Urchristentums wiederaufleben lassen. Damit starteten sie einen Frontalangriff auf die gesamte soziale Ordnung des mittelalterlichen christlichen Abendlandes und sprachen dem Klerus in seiner bestehenden Form weitgehend die Existenzberechtigung ab. 

Letzteres erklärt denn auch dessen entschiedene Reaktion, die auch vor dem toten Deodatus, dem Amtsvorgänger von Lisoie als Kantor der Kathedrale Sainte-Croix in Orléans, nicht Halt machte. Dieser war früher durch Äußerungen aufgefallen, welche der Bischof Fulbert von Chartres 1006 als „ketzerisch“ eingestuft hatte. Daher galt er als Anstifter der Angeklagten von 1022. An ihm beschloss die Synode, ein besonderes Exempel zu statuieren. Die Bischöfe ließen dessen Leichnam exhumieren und auf die Straße werfen. 

Zeichen des guten Willens

Dem König bot die von ihm einberufene Synode die Möglichkeit zu einer Verbesserung seiner Beziehungen zum Grafen von Blois, Odo II. Im Umfeld der Königin bewegten sich sowohl zahlreiche mächtige Gegner des Grafen als auch die Beschuldigten. Insofern war es eine Geste des guten Willens gegenüber dem Grafen auf Kosten der Königin, dass Robert II. die Beschuldigten der Synode auslieferte. Ein weiteres Zeichen des guten Willens war es, dass er es zuließ, dass die Synode den seiner Ehefrau und den Beschuldigten nahestehenden und einst von ihm selbst protegierten und als Bischof von Orléans durchgesetzten Dietrich II. stürzte und an dessen Stelle der Kandidat und Verwandte des Grafen, Oldoric, trat. Der vom König angestrebte Ausgleich mit dem Grafen sollte ihm die Eroberung Lothringens und Odo II. den Griff nach Burgund ermöglichen.

Angesichts dieser Interessenlage hatten die Beschuldigten kaum eine Chance, lag ihre Verurteilung nahe. Nach nur eintägiger Verhandlung beschloss die Synode deren Hinrichtung. Draußen forderte eine aufgeputschte Menge den Tod der Beschuldigten, obwohl die Häretiker auch die Interessen des Volkes gegenüber dem Klerus zu vertreten versuchten. 

Dem Urteil folgte vor 1000 Jahren, am 28. Dezember 1022, die erste Ketzerverbrennung des Mittelalters. Man sperrte die Männer, die bis zuletzt fest daran glaubten, unversehrt den Flammen entsteigen zu können, in eine Hütte vor den Toren von Orléans und zündete diese an.

Da half es ihnen auch nicht, dass es zu jener Zeit noch gar kein formelles Gesetz gab, das als Strafe für Ketzerei den Feuertod vorsah. Ein solches erließ nämlich erst Kaiser Friedrich II. im Jahre 1224 mit dem Edikt „Cum ad conservandum“. Papst Gregor IX. zog ab 1231 mit diversen eigenen diesbezüglichen Dekreten nach. In deren Anwendung wurden im Laufe des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zahlreiche weitere Personen, die man der Häresie bezichtigte, auf den Scheiterhaufen gebracht. Zu diesen Opfern der Ketzerverfolgung zählten unter anderem der Anführer der oberitalienischen Laienbewegung der Apostelbrüder Fra Dolcino, die christliche Mystikerin Marguerite Porete, der letzte Großmeister des Templerordens Jacques de Molay, der böhmische Reformator Jan Hus, der Florenzer Bußprediger Girolamo Savonarola, der Führer des Tiroler Täufertums Jakob Hutter, der Erzbischof von Canterbury Thomas Cranmer sowie der ehemalige Dominikanermönch und Astronom Giordano Bruno.





Kurzbiographien

Robert II. ehelichte 996 mit Bertha von Burgund eine Cousine zweiten Grades, nachdem er seine erste Ehefrau, Rozala-Susanna von Italien, 992 verstoßen hatte.

Konstanze von der Provence war ab 1003  die dritte Ehefrau Roberts II., nachdem dessen Trennung von der zweiten Frau vom Papst erzwungen worden war.

Odo II. war ab 1004 Graf von Blois, Châteaudun, Chartres, Reims, Tours und Beauvais, ab 1015 von Sancerre sowie ab 1022/1023 von Meaux und Troyes.