20.04.2024

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Folge 50-22 vom 16. Dezember 2022 / Vertrauensfrage / Heiligt der Zweck die Mittel?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-22 vom 16. Dezember 2022

Vertrauensfrage
Heiligt der Zweck die Mittel?
Manuel Ruoff

Vor knapp vier Jahrzehnten fand in der Bundesrepublik die sogenannte Wende statt. Mittels eines konstruktiven Misstrauensvotums wurde die sozialliberale Regierung unter dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Helmut Schmidt durch eine christliberale Regierung unter dem christdemokratischen Bundeskanzler Helmut Kohl ersetzt.

Insbesondere sozialdemokratische und linksliberale Kritiker der Wende wandten ein, dass dieser Regierungswechsel unzureichend demokratisch legitimiert sei, da ihm kein neues Wählervotum, sondern ein Seitenwechsel der FDP vorausgegangen sei. Bei der vorausgegangenen Bundestagswahl vom 5. Oktober 1980, so die Kritik, habe das Gros der FDP-Wähler den Liberalen seine Stimme gegeben, um Schmidt als Bundeskanzler zu stützen und nicht um ihn zu stürzen. 

Nun haben die Bundestagsabgeordneten kein imperatives Mandat und sind somit nicht an den Willen ihrer Wähler gebunden, doch entstand ein breiter Konsens, dass es korrekt sei, das Volk über den Regierungswechsel und die aus ihm hervorgegangene neue schwarz-gelbe Bundesregierung abstimmen zu lassen. Dafür sollten die turnusmäßig erst für 1984 vorgesehenen nächsten Bundestagswahlen vorgezogen werden. 

Das war allerdings leichter gesagt als getan. Das Grundgesetz ist nämlich als Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik in hohem Maße auf Stabilität ausgerichtet. Die Auflösung des Parlaments und die Ausschreibung vorgezogener Neuwahlen sind gar nicht so einfach. Man bediente sich deshalb eines Tricks.

Es wurde der Weg über die Vertrauensfrage mit anschließender Auflösung des Bundestags und Ausschreibung von Neuwahlen durch den Bundespräsidenten beschritten. Dieser Weg war ein Jahrzehnt zuvor schon einmal gewählt worden. Allerdings gab es einen wesentlichen Unterschied. 1972 hatte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt tatsächlich die Mehrheit im Bundestag verloren. 1982 hingegen verfügte Bundeskanzler Kohl über eine satte Regierungsmehrheit aus Abgeordneten von Union und FDP, mit der er problemlos regieren konnte. Die Vertrauensfrage konnte also nur dann zu den gewünschten Neuwahlen führen, wenn eine größere Zahl von Mitgliedern der Regierungsfraktionen entgegen ihrer Überzeugung dem Kanzler das Vertrauen nicht aussprach – was bei der Abstimmung vor 40 Jahren, am 17. Dezember 1982, denn auch tatsächlich geschah.

Kritiker sprachen von einem Missbrauch der Vertrauensfrage und erwarteten nun vom Bundespräsidenten, dass er den Bundestag nicht auflöste und keine Neuwahlen ausschrieb, da der Kanzler eine zum Weiterregieren nötige Parlamentsmehrheit unübersehbar besaß. Der damalige Bundespräsident Karl Carstens, ein Parteifreund des Bundeskanzlers, machte sich die Entscheidung nicht leicht. Am 7. Januar 1983 schließlich ordnete er die Auflösung des Bundestags an und schrieb Neuwahlen für den 6. März 1983 aus. 

Das Bundesverfassungsgericht billigte diese Entscheidung. Aus der also rechtmäßigen vorgezogenen Bundestagswahl ging Schwarz-Gelb als Sieger hervor, was als zusätzliche demokratische Legitimierung der Wende und der neuen CDU/CSU-FDP-Regierung interpretiert werden durfte.