29.03.2024

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Folge 50-22 vom 16. Dezember 2022 / Fernsprecher / Die letzten ihrer Art / Die Telefonzellen sterben aus, damit geht eine über 140-jährige Techniktradition zu Ende – Manche überleben als Kunstobjekte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-22 vom 16. Dezember 2022

Fernsprecher
Die letzten ihrer Art
Die Telefonzellen sterben aus, damit geht eine über 140-jährige Techniktradition zu Ende – Manche überleben als Kunstobjekte
Markus Bauer

Einst leuchteten sie knallgelb an markanten Stellen, zuletzt in den Farben Magenta und Grau. Die Rede ist natürlich von den Telefonhäuschen, -zellen und -stelen, in denen man gegen Einwurf von Münzen oder – später – mittels Einschiebens einer Karte Ferngespräche führen konnte. Doch das Smartphone hat diese Ära unwiederbringlich beendet. Die Deutsche Telekom hat am 21. November per Fernwartung bei allen noch rund 12.000 verbliebenen Geräten die Münzannahme deaktiviert, so dass – bis Ende Januar 2023 – lediglich noch mit Telefonkarten kommuniziert werden kann. Bis 2025 sollen dann alle öffentlichen Telefonzellen und -stelen in Deutschland verschwunden sein.

Eine über 140-jährige Tradition geht damit zu Ende. Die Fernsprechhäuschen – so die offizielle Bezeichnung der Deutschen Post für diese Einrichtungen bis Anfang der 1980er Jahre – sind bald Geschichte. Die erste Telefonzelle – damals „Fernsprechkiosk“ genannt – wurde am 12. Januar 1881 in Berlin in Betrieb genommen. Zur Nutzung mussten „Telephon-Billets“ gekauft werden. Ab 1899 setzten sich die Münzfernsprecher durch, die an öffentlichen Straßen und Plätzen sowie Verkehrsknotenpunkten (Bahnhöfe, Flugplätze) aufgestellt wurden. Die Farbgebung wurde im Deutschen Reich ab 1932 vereinheitlicht: zunächst Blau und Gelb, ab 1934 Rot. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich in beiden Teilen Deutschlands Gelb durch, das Mitte der 1990er Jahre vom Farbdesign der Telekom (Weiß, Grau, Magenta) abgelöst wurde.

Am meisten verbreitet war die Telefonzelle beziehungsweise das Telefonhäuschen mit einer Grundfläche von etwa einem Quadratmeter und geschlossener Bauweise. Das Telefon ist durch eine zu öffnende Tür zugänglich, eingebaut waren die Telefonbücher der jeweiligen Region, sodass Gesprächsteilnehmer der Umgebung nachgeschlagen werden konnten.

Technisch wurden die Zellen weiterentwickelt, beispielsweise mit Mechanismen versehen, damit sich die Tür – etwa für Behinderte und Rollstuhlfahrer – automatisch öffnet. Letztgenannte konnten auch die in offener Bauweise gehaltenen Telefonhauben benützen, die hinten, rechts und links sowie oben geschlossen waren. Seit der Jahrtausendwende installierte die Telekom vermehrt die sogenannten Telefonsäulen ganz ohne Wind- und Wetterschutz. Diese ermöglichten zwar das Telefonieren, sofern es nicht durch Verkehrslärm eingeschränkt war. Für andere beliebte Zwecke war es aber nicht verwendbar. Denn das Telefonhäuschen war nicht selten ein beliebter Treffpunkt: für Obdachlose oder für Zweisamkeit, und es bot eine Unterstellmöglichkeit bei Regen, Hagel und Unwetter.

Blenden wir 50 Jahre zurück: In den 1970er Jahren hatte noch nicht jeder Haushalt ein Telefon. Für wichtige und notwendige Telefonate gab es zwei Möglichkeiten: einen Nachbarn um Nutzung bitten oder das Telefonhäuschen aufsuchen. Es sollten aber keine zu langen Telefongespräche sein. Daher war in den 1970er Jahren ein Schild an den Telefonzellen angebracht: „Nimm Rücksicht auf Wartende: Fasse dich kurz!“

Ein Kochkurs in der gelben Zelle

Ob diese Aufschrift an der Telefonzelle angebracht war, die das TV-Ekel Alfred Tetzlaff in der am 31. Mai 1976 ausgestrahlten Folge „Telefon“ benutzte, ist nicht bekannt. Jedenfalls ging es in dieser Folge der Serie „Ein Herz und eine Seele“ ums Telefon. Bekannt ist die Szene, in der Alfred vor dem Häuschen wartet, weil drinnen die Nachbarin, eine junge Frau, etwas länger telefoniert und eine Münze nach der anderen nachwirft. „Andere Leute wollen auch telefonieren. Das ist kein Privatanschluss“, wettert Alfred Tetzlaff und klopft mit der Faust an die Scheibe. Sein danach in Auftrag gegebener Auskunftsauftrag zieht sich jedoch so lange, dass die Münzen nicht reichen und das Telefongespräch abbricht. Weil Alfred es leid ist, vor seiner Haustür vor der Zelle zu warten, lässt er sich schließlich ein Telefon anschließen. 

Die gelben Telefonzellen wurden in den 1990er Jahren durch solche in den Telekom-Farben ersetzt. Ein Teil davon landete in Künstlerkreisen – so auch bei Norbert Sötz, der bei einem freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe, als Dozent für Kunst und Gestalten an einer Heilerziehungspflegeschule sowie als freischaffender Künstler tätig ist. Nach einem Gespräch mit einem Künstlerkollegen aus Konstanz kaufte Sötz im Jahr 2000 acht Stück zu einem geringen Preis in der Nähe von Weiden/Opf., wo ausgemusterte gelbe Telefonzellen lagerten, und holte sie an seinen Wohnort Laaber (Landkreis Regensburg). Ihm bekannte Künstler aus Konstanz, Osnabrück, Frankfurt am Main sowie aus weiteren kleineren Orten deckten sich ebenfalls mit den gelben Zellen ein. Sötz funktionierte die Telefonzelle zum Kunstobjekt um. 

Bei der ersten Ausstellung platzierte er statt des Telefonbuchs ein Kochbuch seiner Mutter in der Zelle. Die Folgen waren zum einen rege Gespräche und Diskussionen über die Kunstidee, zum anderen auch über das eine oder andere Rezept aus dem Buch. Ein weiteres Happening war eine 24-stündige Besichtigung des Telefonhäuschens, ohne etwas dafür zahlen zu müssen. Auch das regte zu vielen Gesprächen an. Beim Bürgerfest in Laaber diente das Telefonhäuschen als „Kleinste Espressobar der Welt“. 

Bei den im zweijährigen Turnus abgehaltenen bayerisch-tschechischen Kulturtagen, einem Treffen von zirka 20 bayerischen und tschechischen Künstlern, war einmal „Kochen in der Zelle“ angesagt 

– konkret in drei Telefonzellen, wobei im Laufe der drei Tage 40 bis 50 Menüs gekocht wurden. Bei solchen Anlässen kann es auch vorkommen, dass der bekannte Weltmusiker Heinz Grobmeier oben auf der Zelle musiziert. „Die Telefonzelle wird ein Kleinod“, fasst Sötz zusammen, der aktuell bei Bedarf vier Telefonhäuschen in Nutzung hat. Und er verweist darauf, dass nicht weit entfernt, in Pielenhofen, ein Telefonhäuschen als Bücherzelle genutzt wird.

Ob die nun bald abgebauten Telekom-Telefonzellen den gleichen Kult wie die gelben Vorgänger auslösen werden? Laut Telekom gibt es etwa 3800 Standorte, an denen im letzten Jahr überhaupt nicht telefoniert wurde. Fast jeder vierte Fernsprecher wurde nicht mehr benutzt. Bis aber die letzten Telefonzellen beziehungsweise -säulen völlig aus der Öffentlichkeit verschwinden, wird es noch einige Zeit dauern. Der Rückbau startet im Februar und soll zwei Jahre dauern.