Das im ehemaligen Dominikanerkloster St. Pauli beheimatete Archäologische Landesmuseum Brandenburg zeigt neben seiner beeindruckenden Dauerausstellung auch ständig wechselnde Sonderausstellungen. Noch bis Mitte Januar können sich Besucher über eine Kulturpflanze informieren, die schon unsere Ur-Urgroßeltern kannten: „Lein oder nicht Lein
– Kulturgeschichte einer Nutzpflanze“.
Wie so häufig beschenkt uns die Natur auch mit dieser Pflanze sehr reichlich. So ist ziemlich alles an dem Kraut verwendbar. Fast jeder kennt die Leinsamen zur Förderung der Verdauung, Leinöl mit einem hohen Gehalt an lebensnotwendigen Fettsäuren, um schmackhafte Pellkartoffeln mit Quark aufzuwerten, die Stängel der Pflanze zur Herstellung der begehrten Leinenfasern und selbst die dabei anfallende Spreu eignet sich noch zum Einstreuen in Tierkäfigen.
Doch damit noch längst nicht genug. Leinöl wird auch als Bindemittel in Lacken verwendet, ebenso als Firnis. Presskuchen, der nach dem Ölpressen entsteht, ist ein nahrhaftes Tierfutter mit hohem Eiweißgehalt.
Man kennt den Lein, auch Flachs genannt, bereits seit etwa 8000 Jahren. Als die Menschen begannen, Ackerbau zu betreiben, kultivierte man ihn neben Gerste, Emmer und Einkorn. Funde belegen, dass Pharaonen in Ägypten vor ihrer Bestattung in Leinentücher gehüllt wurden, da Leinen dort ein Symbol für göttliche Reinheit war.
Im Mittelalter war Leinen ein bedeutender Handelsartikel mit wichtiger Textilindustrie in Schlesien, Westfalen, dem Elsass und Schwaben. Die Augsburger Bankiersfamilie Fugger gründete ihren Reichtum auf den Tuch- und Leinhandel. War Flachs bis zur zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts die bedeutendste Pflanzenfaser, begann mit der Baumwolle und später den Kunstfasern ihre Verdrängung.
Laut Naturschutzbund (NABU), der die Leinpflanze 2005 als schützenswerte Heilpflanze des Jahres auswies, maß die Leinanbaufläche im Deutschen Reich 1872 noch 215.000 Hektar, während sie 1921 bereits auf 80.000 Hektar geschrumpft war. Beim NABU weist man darauf hin, dass der Anbau in Westdeutschland in den 1950er Jahren völlig erloschen sei, jedoch in der DDR noch bis Ende der 1970er Jahre weitergeführt wurde. Das sieht heute schon ganz anders aus, denn Textilien aus natürlichen Leinenstoffen sind begehrt, und das nicht nur wegen der kühlenden Eigenschaften im Sommer.
Wenige wissen, wie viele Verarbeitungsschritte und Werkzeuge notwendig sind, um aus trockenen, harten Leinstängeln die begehrten Fasern zu gewinnen. Diese werden in der Brandenburger Ausstellung neben archäologischen Funden präsentiert. „Unsere Großeltern, Eltern und auch wir selbst haben hier in Brandenburg mit Modellfiguren von Lineol gespielt. Für deren Herstellung wird Leinöl verwendet. Aus Abfällen, den verholzten Leinstängeln, die bei der Faserherstellung anfallen, werden Autoteile, Fahrradrahmen, Skier und Snowboards hergestellt“, sagt Kuratorin, Archäologin und Botanikerin Sabine Karg, die selbst Führungen durch die Ausstellung anbietet.
Wer vor einem Flachs-Feld mit den typischen zartblauen Blüten steht, ahnt nicht, welch reichhaltige Geschichte sich hinter diesen Pflanzen verbirgt.
Sonderausstellung „Lein oder nicht Lein – Geschichte einer Kulturpflanze“ bis 15. Januar im Archäologischen Landesmuseum in Brandenburg an der Havel, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Eintritt 5 Euro: www.landesmuseum-brandenburg.de