26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 51-22 vom 23. Dezember 2022 / Ein Frieden ist möglich / An Heiligabend dauert der Krieg in der Ukraine exakt zehn Monate. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Oder etwa doch? Gedanken über einen Fahrplan zu einem schnellstmöglichen Waffenstillstand und einen alsbaldigen Verhandlungsfrieden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-22 vom 23. Dezember 2022

Ein Frieden ist möglich
An Heiligabend dauert der Krieg in der Ukraine exakt zehn Monate. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Oder etwa doch? Gedanken über einen Fahrplan zu einem schnellstmöglichen Waffenstillstand und einen alsbaldigen Verhandlungsfrieden
Harald Kujat

Die internationalen Forderungen, den Ukrainekrieg durch Verhandlungen zu beenden, nehmen zu. Auch der Druck auf die amerikanische Regierung wächst, ihren Kurs zu ändern. Bereits im Oktober hatten dreißig Abgeordnete der Demokratischen Partei im US-amerikanischen Repräsentantenhaus Präsident Biden aufgefordert, in „einem proaktiven diplomatischen Vorstoß, der die Bemühungen verdoppelt, einen realistischen Rahmen für einen Waffenstillstand zu finden“. Vor Kurzem hat auch der Vorsitzende der „Joint Chiefs of Staff“, General Mark Milley, erklärt, er sehe „Möglichkeiten für diplomatische Lösungen“. Er sagte: „Wenn es eine Gelegenheit für Verhandlungen gibt, bei denen Frieden erreicht werden kann, sollte man sie nutzen.“ Und er fügte hinzu: „Ergreift den Moment.“ Ähnlich äußert sich erneut Henry Kissinger. 

In Deutschland finden diese Worte kaum Resonanz. Stattdessen erfahren wir wahlweise von hohen russischen Verlusten bei den Kämpfen um das ostukrainische Bachmut oder von einer möglicherweise bevorstehenden russischen Winteroffensive im Donbass. Auch dass „der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk“ den diesjährigen Karlspreis der Stadt Aachen bekommen sollen, war in den letzten Tagen ein Thema. 

Diese Beispiele zeigen, dass der westliche Blick – vor allem der deutsche – auf den Kriegsschauplatz im Osten noch immer geprägt ist von moralischem Wunschdenken und weniger von einer unvoreingenommenen Analyse der Gegebenheiten sowie der daraus resultierenden Handlungsoptionen. Ganz so, als könnten wir das Schicksal der durch den Krieg geschundenen Ukraine allein bestimmen, indem wir nur fest genug an unsere eigenen Werte glauben und gelegentlich ein „Zeichen“ setzen. 

Der ungewinnbare Krieg 

Haben die Politiker immer noch nicht verstanden, dass niemand diesen Krieg gewinnen kann? Weder Russland noch die Vereinigten Staaten und schon gar nicht die Ukraine können jene politischen Ziele erreichen, deretwegen sie den am 24. Februar durch Russland begonnenen Krieg immer weiter fortsetzen. Es ist auch an der Zeit zu akzeptieren, dass die Ukraine der größten Nuklearmacht der Welt keine militärische Niederlage zufügen kann. Allenfalls ein militärisches Engagement der gesamten NATO könnte die russischen Streitkräfte in Bedrängnis bringen. Die Folge einer solchen von Moskau als existenzielle Bedrohung des russischen Volkes und Landes gewertete Entwicklung wäre jedoch ein europäischer Nuklearkrieg. 

Die Ukraine führt einen gerechten Krieg um ihr Überleben und um ihre Freiheit. Die moralische Verpflichtung der Regierung in Kiew und aller sie unterstützenden Staaten besteht jedoch darin, auch und vor allem gegenüber dem ukrainischen Volk, durch eine vernünftige und kluge Politik einen gerechten Frieden zu erreichen und jede Steigerung der Gewalt und Zerstörung durch fortgesetzte Eskalation zu verhindern. Gewalt darf die Politik nicht ersetzen. Deshalb muss die Politik immer, auch während des Krieges, fortgesetzt eine diplomatische Lösung anstreben. 

Diese Prämisse gilt auch für die deutsche Politik. Die Bundesregierung ist dazu nicht nur durch das Friedensgebot unserer Verfassung verpflichtet, sie hat auch am 2. März 2022 eine von der Ukraine verfasste UN-Resolution unterzeichnet, in der die UN-Generalversammlung die „friedliche Beilegung des Konfliktes zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel“ fordert.

Ignorierte historische Parallelen

Auch wenn historische Vergleiche immer hinken, so verdeutlichen sie in bestimmten Situationen doch die Gefahren, die von eben jenen Situationen ausgehen. Dies gilt auch für den Ukrainekrieg und seinen Vergleich mit den Krisen vergangener Tage. So wie wir heute nicht verstehen, wie politische Schlafwandler aus nationaler Überheblichkeit und Ignoranz in den Ersten Weltkrieg taumelten und damit die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts auslösten, werden bei einem Fortgang der Kämpfe kommende Generationen nicht verstehen, weshalb es nicht gelang, den Ukrainekrieg rechtzeitig so zu beenden, dass eine weitere europäische Katastrophe mit weltweiten Folgen verhindert werden konnte. 

Ein Krieg ist die größte Herausforderung für die menschliche Ethik und für die politische Verantwortung. Der folgende Vorschlag ist eine Ermutigung, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Die Überlegungen basieren sowohl auf dem russischen Vertragsangebot vom 17. Dezember 2021 an die Vereinigten Staaten und die NATO als auch auf dem ukrainischen Positionspapier für die bilateralen Verhandlungen in Istanbul vom 29. März 2022. 


Phase I

1. Der UN-Sicherheitsrat beschließt gemäß Artikel 24 Absatz 1 der UN-Charta im Einklang mit der ihm von den Mitgliedern übertragenen Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit einen Zeit- und Ablaufplan für einen Waffenstillstand und die Wiederherstellung des Friedens im Ukrainekrieg.

2. Der UN-Sicherheitsrat beschließt mit Wirkung von einem „Tag X“ einen allgemeinen und umfassenden Waffenstillstand zwischen den Kriegsparteien Russland und 

Ukraine. Der Waffenstillstand erfolgt ohne Ausnahme und ohne jede Einschränkung oder Sonderregelung unabhängig von der Dislozierung der gegnerischen Streitkräfte und Waffensysteme und ist in allgemeiner und umfassender Form verbindlich durchzuführen.

3. Der UN-Sicherheitsrat beauftragt einen Hohen Kommissar für Frieden und Sicherheit in der Ukraine mit der politischen Verantwortung für die Durchführung des Zeit- und Ablaufplans sowie aller vom UN-Sicherheitsrat in diesem Zusammenhang beschlossenen Maßnahmen.

4. Der UN-Sicherheitsrat beschließt den Einsatz einer UN-Friedenstruppe nach Kapitel VII der UN-Charta, die mit der Einhaltung und Durchsetzung des Waffenstillstands und der zwischen den Vertragsparteien vereinbarten, sicherheitsrelevanten und militärischen Maßnahmen beauftragt wird.


Phase II

1. Die Konfliktparteien stellen an dem vom UN-Sicherheitsrat bestimmten Zeitpunkt („Tag X“) alle Kampfhandlungen ein. 

2. Ab diesem Zeitpunkt werden keine Waffen und Munition mehr an die Ukraine geliefert. Russland stellt ebenfalls die Zuführung von Waffen und Munition an seine Streitkräfte auf dem seit dem 24. Februar 2022 besetzten Territorium und der Krim ein.

3. Alle irregulären ausländischen Kräfte beider Kriegsparteien und Militärberater werden bis zum Tag X+10 abgezogen.


Phase III

1. Die Friedensverhandlungen beginnen am Tag X+15 unter dem Vorsitz des UN-Generalsekretärs und im Beisein des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Frieden und Sicherheit in der Ukraine am Sitz der Vereinten Nationen in Genf.

2. Beide Konfliktparteien bekräftigen ihre Entschlossenheit, die Verhandlungen in der festen Absicht zu führen, den Krieg zu beenden und eine dauerhafte, friedliche Regelung aller strittigen Fragen anzustreben. Sie beabsichtigen, die Schreiben Russlands an die Vereinigten Staaten und die NATO vom 17. Dezember 2021, soweit sie für die bilateralen Verhandlungen von Bedeutung sind, und das Positionspapier der Ukraine für die Verhandlungen vom 29. März 2022 zu berücksichtigen und an die Ergebnisse der Istanbul-Verhandlungen anzuknüpfen.

3. Elemente einer Verhandlungslösung: 

a) Die Konfliktparteien betrachten sich künftig nicht als Gegner und verpflichten sich, zu den Prinzipien gleicher und unteilbarer Sicherheit zurückzukehren.

b) Die Konfliktparteien verpflichten sich, auf die Androhung und Anwendung von Gewalt zu verzichten.

c) Die Konfliktparteien verpflichten sich, keine kriegsvorbereitenden Maßnahmen gegenüber dem Vertragspartner vorzunehmen.

d) Die Konfliktparteien verpflichten sich zu Transparenz in ihren militärischen Planungen und Übungen sowie zu größerer Vorhersehbarkeit ihres militärischen Handelns.

e) Russland zieht seine Streitkräfte auf dem ukrainischen Territorium auf den Stand vom 23. Februar 2022 zurück.

f) Russland zieht die Streitkräfte auf seinem Territorium aus einer Zone von 50 Kilometern Breite bis zur ukrainischen Grenze zurück, die nach dem 24. März 2021 in diese Zone verlegt wurden.

g) Die Ukraine zieht ihre Streitkräfte aus einer Zone von 50 Kilometern bis zur russischen Grenze, einschließlich der Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson zurück.

h) Die Vertragsparteien akzeptieren die Stationierung einer UN-Friedenstruppe auf ukrainischem Territorium im Abstand von 

50 Kilometern bis zur russischen Grenze einschließlich der Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson in ihren Verwaltungsgrenzen.

i) Die Ukraine tritt keinem militärischen Bündnis, einschließlich der Nordatlantischen Allianz, bei. Die Souveränität, territoriale Integrität und staatliche Unabhängigkeit der 

Ukraine werden durch entsprechende Zusagen von Garantiemächten gewährleistet. Die Garantiezusagen gelten nicht für die Krim und die „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk.

j) Die Probleme im Zusammenhang mit der Krim, Sewastopol und den „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk werden innerhalb von 15 Jahren auf diplomatischem Wege verhandelt und unter Verzicht auf militärische Gewalt gelöst.

k) Garantiestaaten, die Mitglieder der Europäischen Union sind, werden die Mitgliedschaft der Ukraine durch die Unterstützung rechtstaatlicher und demokratischer Reformen fördern.

l) Die Ukraine wird keine permanente oder befristete Stationierung von Streitkräften einer fremden Macht oder deren militärischer Infrastruktur auf ihrem Territorium zulassen.

m) Die Ukraine wird keine Übungen und Manöver von ausländischen Streitkräften auf ihrem Territorium zulassen.

n) Die Vertragsparteien verpflichten sich, alle Streitfragen ohne Anwendung von Gewalt durch die Vermittlung der Garantiestaaten zu lösen. Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta ist davon unberührt.

o) Der Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft und Infrastruktur wird durch eine internationale Geberkonferenz gefördert.

p) Beide Vertragsparteien werden an einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa mit dem Ziel einer europäischen Sicherheits- und Friedensordnung teilnehmen und diese konstruktiv unterstützen.

q) Der Vertrag tritt in Kraft, sobald beide Vertragsparteien und die Garantiestaaten den Vertrag unterzeichnet und, soweit erforderlich, die Parlamente dieser Staaten dies gebilligt haben sowie die Ukraine ihren Status als unabhängiger, bündnisfreier Staat (ohne das Ziel einer NATO-Mitgliedschaft) durch die Änderung der Verfassung kodifiziert hat.

r) Etwaige Verzögerungen rechtfertigen nicht den Bruch des Waffenstillstands.






General a.D. Harald Kujat war von 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.