25.04.2024

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Folge 51-22 vom 23. Dezember 2022 / Kommentar / Getilgter Bismarck

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-22 vom 23. Dezember 2022

Kommentar
Getilgter Bismarck
Eberhard Straub

Unlängst wurde handstreichartig im Auswärtigen Amt der Bismarck-Saal in „Saal der Deutschen Einheit“ umbenannt und dort das Porträt des ersten deutschen Außenministers entfernt. Begründet wurde dies damit, dass das „Auswärtige Amt seine Traditionslinien maßgeblich in der demokratischen Geschichte Deutschlands verankert sieht“.

Abgesehen davon, dass ein Ministerium keine demokratisch verfasste Diskussionsveranstaltung ist, gehört gerade Bismarck zur Entwicklungsgeschichte des Parlamentarismus in Deutschland. Er führte 1866 im Norddeutschen Bund und anschließend 1871 im Deutschen Reich das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht ein. Damit übernahm er Forderungen der Revolution von 1848, die vom Verlangen nach nationaler Einigung dynamisiert worden war.

Schon vor der Revolution trat Bismarck für die Möglichkeit der öffentlichen Kritik im Parlament und in der Presse ein, um der Gefahr vorzubeugen, dass Streber oder Phantasten dem König Scheuklappen anlegten, die ihn da­ran hinderten, seinen Aufgaben gerecht zu werden. Noch in einer seiner letzten Reden im Reichstag erinnerte er am 20. Januar 1887 daran, wie notwendig es sei, „dass Vertreter des Volkes und eine freie Presse imstande sind, ohne Furcht und ohne Rücksicht den König und seine Regierung auf jeden irrtümlichen Weg, den er einschlägt, aufmerksam zu machen“. 

Ein Anti-Populist

Bismarck bekümmerte es, dass Quacksalber, Projektschmiede oder Schmierenkomödianten immer wieder an Einfluss gewinnen, auch in Parlamenten und Parteien, in denen sich viele ohne Sachkunde in Details verlieren. Ihm missfiel schon als Student bei den politisierten Burschenschaftern die ihm peinliche Verbindung von Utopie und Mangel an Erziehung und damit an Bildung, an politisch und historischer. 

Das Emotionsbedürfnis der Presse und der Parlamentarier enttäuschte ihn immer wieder. In der großen Politik, in den zwischenstaatlichen Beziehungen hielt er lautstark verkündete Sympathien und Antipathien für schädlich und verwerflich. „So hört man meines Erachtens auf, Politik zu treiben und handelt nach persönlicher Willkür.“

Das schrieb er 1857 nach dem Krimkrieg und den Versuchen einer damaligen westlichen Wertegemeinschaft, ihre Grundsätze gewaltsam zu propagieren und ihre Regierungsformen anderen aufzudrängen. Darin erkannte Bismarck einen moralisierten Absolutismus wie während der republikanischen Schreckensherrschaft in Frankreich 1793/94, der danach trachtete, die europäischen Nachbarstaaten sich anzugleichen, nicht überredend, sondern mit Kanonen und anderen Waffen, die angeblich Leben retten im Einsatz für die Freiheit. 

Friedensstifter in unruhiger Zeit

Nach der Reichsgründung betonte Bismarck immer wieder, dass Deutschland saturiert sei und nur ein Bedürfnis habe: den allgemeinen Frieden vor den Anschlägen aus eigennützigen Motiven zu bewahren, die sich moralisch verbrämten. Wer große Worte vor sich hertrage wie Zivilisation, Menschenrechte, Freiheit oder auch Europa, wolle nur betrügen. Staaten kennen nur Interessen, und es ist geschickter, um sich verständigen zu können, von ihnen stets offen zu reden. Jede Macht, die außerhalb ihrer Interessensphäre auf die Politik der anderen Länder zu drücken sucht, treibt Macht- und nicht Interessenpolitik, wie er 1887 den wegen bulgarischer, russischer und englischer Aufgeregtheiten beunruhigten Europäern zurief. Er rettete damals ein weiteres Mal den Frieden Europas. 

Bismarck hatte drei kurze Kriege geführt, die jeweils mit einem Verständigungsfrieden, nicht mit der bedingungslosen Kapitulation beendet wurden. Er hielt sich an die Ratschläge, die er im Dezember 1850 im preußischen Landtag denen vortrug, die damals verärgert über Russland in die Kriegstrompete stießen und sich am Kaminfeuer wärmten: „Wehe dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grunde zum Kriege umsieht, der auch nach dem Krieg noch stichhaltig ist.“

Dieser Rat des großen Staatsmanns, der angeblich kein Vorbild mehr sein kann, dürfte auch für die Staatenlenker unserer Tage nicht verkehrt sein. Überhaupt könnten diese in Bismarcks Reden und Schriften viele beherzigenswerte Empfehlungen finden – so sie denn noch bereit sind, so aufmerksam und neugierig zu lesen wie einst der große Staatsmann, dem heute von Halbgebildeten die Vorbildwirkung abgesprochen wird.