16.04.2024

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Folge 51-22 vom 23. Dezember 2022 / Napoleon III. / Kaiser mit plebiszitärem Rückhalt / Der Herrscher des Zweiten Kaiserreichs galt zwischen Krim- und Deutsch-Französischem Krieg als mächtigster Mann Kontinentaleuropas. Vor 150 Jahren starb der Neffe und Nachfolger des berühmten Korsen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-22 vom 23. Dezember 2022

Napoleon III.
Kaiser mit plebiszitärem Rückhalt
Der Herrscher des Zweiten Kaiserreichs galt zwischen Krim- und Deutsch-Französischem Krieg als mächtigster Mann Kontinentaleuropas. Vor 150 Jahren starb der Neffe und Nachfolger des berühmten Korsen
Erik Lommatzsch

Nach dem Ende der Herrschaft Napoleons I. mussten alle Bonapartes Frankreich verlassen, so auch sein am 20. April 1808 in Paris geborener Neffe Charles Louis Napoléon. Der Sohn von Louis Napoléon Bonaparte, von 1806 bis 1810 als Lodewijk Napoleon holländischer König, und dessen Ehefrau Hortense de Beauharnais lebte dann in Bayern und in der Schweiz. Seine Affinität zur Antike verdankt sich dem Schulbesuch in Augsburg. Das Bestreben, seinem Onkel nachzueifern, war früh erkennbar. So ließ er sich etwa im schweizerischen Thun wie dieser zum Artilleristen ausbilden. Nachdem er kurzzeitig an der Seite italienischer Aufständischer gekämpft hatte, entwarf er 1832 – zu einem Zeitpunkt, zu dem es als unvorstellbar galt, dass er jemals an der Spitze Frankreichs stehen würde – die Grundzüge der später von ihm eingeführten, ganz auf seine Person zugeschnittenen Verfassung.

Ein erster, 1836 von Straßburg aus unternommener Putschversuch scheiterte. Die französische Regierung der Julimonarchie unter dem Bürgerkönig Louis-Philippe nahm das Ganze so wenig ernst, dass Louis Napoléon, wie sich der spätere Kaiser zu dieser Zeit nannte, lediglich abgeschoben wurde. Ein zweiter Putschversuch, 1840 in Boulogne, misslang ebenfalls, jedoch wurde der Initiator dieses Mal zu lebenslänglicher Festungshaft verurteilt. 1846 konnte Louis Napoléon nach England fliehen. Im Gefängnis – wo er großzügig behandelt wurde – hatte er unter anderem eine Schrift über die „Auslöschung des Pauperismus“ verfasst, die fundierte Berechnungen enthält. Der sozialen Frage maß er große Bedeutung bei.

Ein Kind der 48er-Revolution

Seine Stunde schlug, als im Februar 1848 in Frankreich die Republik errichtet wurde. Louis Napoléon kandidierte als Präsident und wurde im Dezember 1848 mit knapp 75 Prozent der abgegebenen Stimmen gewählt. Der Historiker Michael Erbe erklärt, die Gründe für den Erfolg seien zwar vielfältig, aber schon „die Zeitgenossen erkannten, daß eigentlich der Mythos Napoleon gesiegt hatte“. Es sollte die einzige Präsidentenwahl der sogenannten Zweiten Republik bleiben. Nach der bestehenden Verfassung hätte Louis Napoléon, der sich gern als „Prince-Président“ bezeichnen ließ, nur vier Jahre amtieren dürfen, eine Wiederwahl war ausgeschlossen. 

Am 2. Dezember 1851, dem 47. Jahrestag der Krönung seines Onkels und dem 46. Jahrestag der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz, sicherte Louis Napoléon seine Position mit einem Staatsstreich von oben, der maßgeblich von seinem Halbbruder Auguste de Morny vorbereitet worden war. Die Institutionen der Repu­blik wurden weitgehend entmachtet. 

Genau ein Jahr später erfolgte die Ausrufung des bisherigen Präsidenten zum Kaiser. Wie sein Onkel nannte er sich nicht „Kaiser von Frankreich“ oder „Französischer Kaiser“, sondern „Kaiser der Franzosen“. Die Selbstbezeichnung „Napoleon III.“ ist darauf zurückzuführen, dass nach bonapartistischer Rechtsauffassung Napoleons I. einziger legitimer männlicher Nachkomme, der bereits 1832 verstorbene und nie regierende Napoleon Franz Bonaparte, als Napoleon II. der Nachfolger seines Vaters gewesen war.

Herrschaftsform des Bonapartismus

Napoleon III. ließ die Schritte seiner Machtergreifung plebiszitär absichern, die Zustimmung war jeweils überwältigend. Kennzeichnend für die vor allem mit ihm verbundene Herrschaftsform des Bonapartismus war der immer wieder abgefragte Volkswille, durch den sich der Kaiser zu legitimieren suchte.

Entsprechend wichtig waren Erfolge. Auf eine prosperierende Wirtschaft konnte er sich seit Beginn seiner Herrschaft stützen. Außenpolitisch lavierte er in den ersten Jahren geschickt. Im Krimkrieg war seine Unterstützung für die Briten gegen Russland entscheidend. Die Auseinandersetzungen, die vor dem Hintergrund der orientalischen Frage entstanden waren, wurden 1856 mit dem Pariser Frieden in der französischen Hauptstadt beendet – ein Zeichen dafür, dass der Staat unter Napoleon III. seine europäische Machtposition entscheidend gestärkt hatte. Im Sardischen Krieg 1859 stand er auf der Seite der italienischen Einigungsbewegung gegen Österreich, für Frankreich konnte er Nizza und Savoyen gewinnen.

Unter seiner Herrschaft wurde Paris umgestaltet, die Ausführungen, die das Stadtbild seitdem prägen, verantwortete Georges Haussmann. Auch nahezu alle bis heute bedeutenden, größeren Bahnlinien gehen auf die Zeit des Zweiten Kaiserreichs zurück. 

Das Jahr 1860 gilt als Wendepunkt in der Herrschaft Napoleons III. Der als schwer durchschaubar geltende Kaiser, der oft als „Sphinx“ bezeichnet wurde, agierte sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik zunehmend unglücklich. Der weitgehende weltliche Machtverlust des Papstes, den Napoleon III. als Geburtshelfer des italienischen Nationalstaates befördert hatte, kostete ihn die Zustimmung vieler katholischer Anhänger in Frankreich. Der mit England geschlossene Cobden-Vertrag brüskierte die französischen Unternehmer, die bis dahin von den Schutzzöllen profitiert hatten. Beim Deutschen Krieg von 1866 konnte er sich entgegen seinen Hoffnungen aufgrund des schnellen preußischen Sieges bei Königgrätz und der maßvollen preußischen Forderungen kaum als Makler – eine seiner Lieblingsrollen – einbringen. Der Kauf Luxemburgs scheiterte im Folgejahr ebenso wie das von ihm initiierte Kaiserreich Mexiko unter dem Habsburger Maximilian.

Napoleon III. sah sich veranlasst, seine ursprünglich sehr populäre Diktatur wieder in Richtung eines parlamentarisch-demokratischen Systems umzuformen. Dies schränkte zwar seine Befugnisse ein, sollte aber seine Position an der Spitze des Landes wieder stabilisieren. Eine Volksabstimmung vom Mai 1870, die seine Maßnahmen mit großer Mehrheit bestätigte, interpretierte er als abermaligen Rückhalt für seine Staatsführung. 

Trotz militärisch ungünstiger Situation ließ er sich zwei Monate später zur Kriegserklärung an Preußen provozieren. In diesem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 verlor er nicht nur die Schlacht von Sedan, die als vorentscheidend galt, er geriet als Folge dieser Niederlage auch in preußische Gefangenschaft. Seine Gefangennahme durch die Preußen überlebte sein Kaisertum nur kurz. Am 4. September 1870 wurde in Paris die Republik ausgerufen. Noch vor dem Ende des Krieges entließen ihn die Preußen. Vor eineinhalb Jahrhunderten, am 9. Januar 1873, starb er wie weiland sein Onkel im britischen Herrschaftsbereich, allerdings nicht als Gefangener auf Sankt Helena, sondern als Exilant in Chislehurst bei London.