29.03.2024

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Folge 52-22 vom 30. Dezember 2022 / Analyse / Erdoğans harter Rivale

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-22 vom 30. Dezember 2022

Analyse
Erdoğans harter Rivale
Bodo Bost

Der Bürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, der den heutigen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan 2019 bereits einmal in seiner einstigen Hochburg besiegt hat, gilt als stärkster Rivale für Erdoğan bei den Präsidentschaftswahlen im neuen Jahr. Im Dezember hatte ein türkisches Gericht den beliebten Bürgermeister zu mehr als zwei Jahren Haft und einem Politikverbot verurteilt wegen Äußerungen, die er nach den Bürgermeisterwahlen 2019 gemacht hatte. 

İmamoğlu war aus der Wahl als Sieger hervorgegangen, nachdem Erdoğans Partei AKP wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe eine Wiederholung der Wahl erzwungen hatte. Kurz nach dem Wahlergebnis bezeichnete İmamoğlu Mitglieder der Wahlkommission, die Erdoğan geholfen hatten, die Wahl zu annullieren, vor Reportern als „Idioten“.  

Das Urteil gegen ihn hat der türkischen Opposition indes neuen Auftrieb gegeben, weil es ihr die Möglichkeit verschafft, ihre Basis jenseits ihrer traditionellen Wählerschaft zu mobilisieren. Die Gefängnisstrafe erscheint ungerecht, da nach Ansicht dreier renommierter türkischer Rechtsprofessoren die Beleidigung von Wahlbeamten durch die Bezeichnung als „Idioten“ keine Straftat darstellt. İmamoğlu reagierte damals auf Erdoğans Innenminister Süleyman Soylu, der ihn bei einem Besuch im EU-Parlament im Jahr 2019, bei dem İmamoğlu die Praktiken der türkischen Regierung bei Kommunalwahlen kritisiert hatte, in gleicher Weise als Idiot beschimpf hatte. Jetzt soll İmamoğlu ins Gefängnis, Soylu bleibt jedoch weiter Innenminister. 

Dieser Schritt könnte unerwartete Auswirkungen auf die Opposition und die Präsidentschaftswahlen 2023 haben. Ironischerweise hatte ein türkisches Gericht 1998 ein ähnliches Urteil gegen den Wahlkämpfer Erdoğan erlassen, damals Bürgermeister von Istanbul, weil er die Öffentlichkeit mit einem Gedicht aufgehetzt hatte. Erst diese Inhaftierung machte ihn zum Märtyrer, es war der Beginn seiner Karriere, die er im kommenden Jahr letztmals krönen will. Erdoğan gelang es 1998, sich als Star gegen die staatliche Hierarchie und den damaligen korrupten Status quo zu positionieren. Das Urteil des Gerichts zementiert nun die Wahrnehmung İmamoğlus als Opfer staatlicher Ungerechtigkeit. Die türkische Öffentlichkeit bewundert den Außenseiter. 

İmamoğlus Ruf ist jedoch bereits seit 2019 durch eine Reihe von Missgeschicken beschädigt worden. So konnte er städtische Dienstleistungen nicht verbessern, weil die Zentralregierung ihm die Aufnahme von Krediten untersagt hat. Die oppositionsinternen Verhandlungen zur Auswahl eines Präsidentschaftskandidaten, der Erdoğan bei den nächsten Wahlen herausfordern soll – wobei İmamoğlu, wenn er rechtskräftig verurteilt würde, wahrscheinlich unmöglich wäre – sind nun ins Wanken geraten. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroğlu, Vorsitzender der Republikanischen Volkspartei (CHP), will selbst als Kandidat antreten. Nur Meral Aksener, die Chefin der nationalistischen İyi Partei (gute Partei), lehnt Kilicdaroğlu weiterhin ab. Aksener scheint nicht zu glauben, dass er gegen Erdoğan gewinnen könnte. 

İmamoğlu steht in den Umfragen weitaus besser da als Kilicdaroglu. Auch der ehemalige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, jetzt Vorsitzender der Zukunftspartei (Gelecek) und einstiger Weggefährte Erdoğans, hat angedeutet, İmamoğlu als Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen. Dieser muss jetzt gegen das Urteil Berufung bei den regionalen Berufungsgerichten einlegen, und wenn das Urteil nicht zu seinen Gunsten ausfällt, wird er es vor dem Kassationsgerichtshof weiterverfolgen. 

Unter normalen Umständen würde dies mindestens ein bis zwei Jahre dauern. Aber die politischen Seilschaften in Ankara könnten das Verfahren beschleunigen, und ein endgültiges Urteil könnte noch vor den Wahlen im Juni gefällt werden. Dann könnte İmamoğlu als Kandidat registriert werden, aber kurz vor den Wahlen durch ein Gerichtsurteil wieder ausgeschlossen werden. Damit hätte die Opposition keinen Kandidaten mehr, da er sofort aus der Politik ausgeschlossen würde. Wenn İmamoğlu für die nächsten zwei Jahre aus der Politik ausgeschlossen wird, könnte er weder bei den Präsidentschaftswahlen noch bei den für März 2024 geplanten Kommunalwahlen antreten. Das wäre ein absoluter Sieg für Erdoğan, wenn auch durch einen Justizputsch.