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Folge 52-22 vom 30. Dezember 2022 / Ernst Nolte / Nicht vergehende Vergangenheit / Der vor 100 Jahren geborene Geschichtsdenker postulierte einen Zusammenhang zwischen Bolschewismus und Nationalismus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-22 vom 30. Dezember 2022

Ernst Nolte
Nicht vergehende Vergangenheit
Der vor 100 Jahren geborene Geschichtsdenker postulierte einen Zusammenhang zwischen Bolschewismus und Nationalismus
Erik Lommatzsch

Manche  Sätze von Ernst Nolte muss man mindestens zweimal lesen, hier war er ein klassischer, deutscher Gelehrter. Aber es lohnt sich. So etwa seine Definition: „Faschismus ist Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie.“ Diese Formulierung findet sich in Noltes grundlegender Studie „Der Faschismus in seiner Epoche“. 1963 veröffentlicht, stieß das Buch in der Wissenschaft schnell auf positive Resonanz und wurde in alle großen europäischen Sprachen übersetzt.

Dabei hatte Nolte ursprünglich gar nicht den Weg eines Historikers eingeschlagen. Geboren wurde er am 11. Januar 1923 in einem Vorort von Witten an der Ruhr. Sein Vater wirkte später als Konrektor einer Volksschule. Der Kriegsdienst blieb Nolte aufgrund der Fehlbildung einer Hand erspart. Nach dem Staatsexamen wirkte er als Gymnasiallehrer für Deutsch und Griechisch. Unterbrochen wurde diese Tätigkeit durch die Promotion im Fach Philosophie, wobei sein großer Wunsch, die Doktorarbeit bei Martin Heidegger anfertigen zu können, nicht in Erfüllung gegangen war. 

Mit den ihn umtreibenden wissenschaftlichen Fragen beschäftige er sich zunächst nebenberuflich. Das „Faschismus-Buch“ wurde zum Durchbruch. Der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler, der sich später als einer von Noltes größten Opponenten gerieren sollte, urteilte damals, dem Autor sei es gelungen, die Disziplinen Philosophie und Geschichtswissenschaft „wieder zusammenzubinden“, mit „dem bedeutendsten Werk, das der deutschen Geschichtsschreibung seit mehr als zwei Jahrzehnten zugewachsen ist“, habe man es zu tun.

Nolte wurde Professor für Neuere Geschichte, 1965 in Marburg, 1973 wechselte er an die Freie Universität Berlin. Als diszipliniert und zurückhaltend galt er, mitunter heißt es, er sei gar ein wenig scheu im Umgang gewesen. Die Zuspitzung, die gewagte These erfolgte eher im Schriftlichen. 

Ihm ging es um Zusammenhänge

Nolte ging es immer um die großen Linien, die Zusammenhänge, die Frage nach den Ursachen. Als Wissenschaftler, der sich selbst als Geschichtsdenker verstand, ließ er sich nicht von Denkverboten leiten, die sich große Teile der Gesellschaft selbst verordnet hatten – und haben. 1986 wurde er eingeladen, bei den Frankfurter Römerberggesprächen vorzutragen. Rückblickend schrieb Nolte, er habe auf diesem „halbwissenschaftlichen und halbpolitischen Kongreß von Linksliberalen“ seine „älteste Auffassung“ darlegen wollen, deren Kern bereits im „Faschismus-Buch“ enthalten gewesen sei. Er war der Meinung, „man könne den Nationalsozialismus Hitlers unter übernationalen Gesichtspunkten nur aus seinem Verhältnis zum Bolschewismus Lenins verstehbar machen, und der primären bolschewistischen Idee einer ‚Weltheilung durch Vernichtung‘ des Kapitalismus habe die sekundäre Idee der ‚Weltheilung durch Vernichtung‘ des Judentums entsprochen“. Unabdingbar sei es jedoch, „die Unterschiede zwischen den beiden Ideologien herauszuarbeiten“.

Da ihn die Veranstalter der Römerberggespräche wieder ausluden, veröffentlichte er seinen Text am 6. Juni in der „Frankfurter Allgemeinen“ unter dem Titel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“. Er sprach sich hier klar für eine Historisierung der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft aus. Jede Vergangenheit müsse „in ihrer Komplexität erkennbar werden“, um „die Schwarz-Weiß-Bilder der kämpfenden Zeitgenossen“ zu korrigieren. In der Bundesrepublik sei eine Atmosphäre entstanden, in der das „Ausgleiten eines Kommunalpolitikers in eine Geschmacklosigkeit“ zu „Symptomen von ‚Antisemitismus‘ aufgebauscht“ werde. 

Seine Hauptthese, die Verbrechen der Nationalsozialisten seien eine Reaktion auf diejenigen der Bolschewisten gewesen, spitzte er in pointierten Fragen zu, etwa: „War nicht der ‚Archipel GULag‘ ursprünglicher als Auschwitz?“ Dass es Nolte um Erkenntnis und keinesfalls um Verharmlosung ging, war klar erkennbar, ausdrücklich sprach er von der „Ungeheuerlichkeit der fabrikmäßigen Vernichtung von mehreren Millionen Menschen“. 

Die Gegenreaktion ließ nicht lange auf sich warten. Am 11. Juli veröffentlichte der Philosoph Jürgen Habermas in der „Zeit“ einen Artikel mit dem Titel „Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung“. Nolte bewusst oder aus Kenntnisarmut missverstehend, war dies der Beginn des sogenannten Historikerstreites, eine große Zahl von Publizisten und Wissenschaftlern meldete sich zu Wort. Die Debatte, die sich besonders intensiv über die nächsten beiden Jahre erstrecken sollte, kam nie zu einem Abschluss. Hauptgegenstand war die Deutung des Holocaust und die Frage nach der – von Nolte angemahnten – Vergleichbarkeit. Sein Wille zur  „Verstehbarmachung“ wurde als „Revisionismus“ mit der Absicht, die NS-Verbrechen zu entschuldigen, denunziert. Er wurde mehr und mehr isoliert, auch handfeste Folgen, wie ein brennendes Auto, blieben nicht aus. 

Verlust der Interpretationshoheit 

Das Aufbranden des „Historikerstreites“ , in der Noltes seit Jahren bekannte Sicht plötzlich von seinen Kritikern skandalisiert wurde, ist vor allem im Zusammenhang mit den politischen Entwicklungen erklärbar. Seit Oktober 1982 regierte eine  Koalition aus Union und FDP, die sozialliberale Ära war beendet. Im linken Lager wurde befürchtet, dass man im Zuge der vom neuen Bundeskanzler Helmut Kohl angekündigten „geistig-moralischen Wende“ und seiner anfangs sichtbar betriebenen Geschichtspolitik die insbesondere im Zuge von „1968“ erlangte Interpretationshoheit verlieren werde. Bekanntlich erwiesen sich diese Ängste als unbegründet, Noltes Mahnungen zur unaufgeregten Historisierung als Voraussetzung für Erkenntnisgewinn sind aktueller denn je.

Dass er durch die Art der persönlich diffamierenden Auseinandersetzungen verletzt war, merkte man ihm an, an seinen Auffassungen hielt er fest. Als Autor war er stets äußerst produktiv, das 1998 erschienene Buch „Historische Existenz“ betrachtete er als sein Hauptwerk. Im Alter erfreute er sich in Italien hoher Wertschätzung als akademischer Lehrer. Am 18. August 2016 ist Ernst Nolte in Berlin gestorben.