26.04.2024

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Folge 52-22 vom 30. Dezember 2022 / Dokumentation / Flüchtlinge in Dänemark

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-22 vom 30. Dezember 2022

Dokumentation
Flüchtlinge in Dänemark
Manuela Rosenthal-Kappi

John V. Jensen ist Kurator am Vardemuseum. Einer seiner Schwerpunkte ist das Schicksal der deutschen Flüchtlinge am Ende des Zweiten Weltkriegs, als 200.000 von ihnen in Dänemark Zuflucht suchten. Bei der Ankunft der ersten Flüchtlinge – meist aus den deutschen Ostgebieten –, stand Dänemark noch unter deutscher Besatzung. Neben den Flüchtlingen aus dem Osten trafen auch verwundete Soldaten ein. Meist hatten sie während der Überfahrt auf den Evakuierungsschiffen gehungert. Entsprechend ausgezehrt kamen sie an. Zwar rechneten die meisten Flüchtlinge mit einer schnellen Rückkehr nach Deutschland, doch viele gelangten stattdessen in Lager, da auch im zerstörten Reich die Versorgungslage verheerend war. Allein in Schleswig-Holstein gab es eine Flut von Neuankömmlingen.

In den dänischen Flüchtlingslagern herrschte große Enge, es gab keinerlei Privatsphäre. Zudem waren Deutsche bei den Dänen nicht beliebt, galten sie doch als Anhänger des NS-Regimes und als unbarmherzige Feinde, obwohl es sich bei der Mehrheit der zivilen Flüchtlinge um Frauen und Kinder handelte. Mitleid mit ihnen galt als Landesverrat. Untergrund-Zeitungen verbreiteten unverhohlen antideutsche Hetzartikel. Das stellte ein Dilemma für dänische Ärzte dar: Untergrundkämpfer ermordeten Ärzte, und auch offiziell war es ihnen einem Schreiben des Innenministeriums vom 28. März 1945 nur in Ausnahmefällen erlaubt – etwa bei lebensgefährlichen Erkrankungen – Deutsche zu behandeln. Später wurde diskutiert, ob dänische Ärzte nicht indirekt zu einer humanitären Katastrophe beigetragen hatten. In dänischen Flüchtlingslagern war vor allem die Kindersterblichkeit hoch. 

Der letzte deutsche Flüchtling hat im Februar 1949 Dänemark verlassen. Jensen hat Berichte, Briefe und Archivdokumente ausgewertet, die Aufschluss darüber geben, wie ein Staat die schwierige Aufgabe der Flüchtlingsaufnahme ausgerechnet der Landsleute der verhassten Besatzungsmacht stemmte. Es sind Zeugnisse von Unglück, unermesslichem Leid, Familientragödien und Elend. 

Jensen gelingt es, ein differenziertes Bild der Lage in Dänemark von 1945 bis 1949 zu zeichnen. Nicht alle Lager waren gleich – meist waren die Zustände in kleineren besser als in großen Lagern wie Oksböl, was Zeitzeugenberichte bestätigen. Die dänische Regierung war bemüht, sich einerseits um die Flüchtlinge zu kümmern, um als demokratischer Staat nicht das Gesicht zu verlieren, andererseits nicht zu viel Milde walten zu lassen.

Der Autor beleuchtet das Thema „Deutsche auf der Flucht“ unter verschiedenen Gesichtspunkten. Auf der einen Seite stehen politische Erwägungen, auf der anderen das Alltagsleben der Gestrandeten hinter Stacheldraht. Schwarz-Weiß-Fotos illus-trieren jedes Kapitel des Buchs. Entstanden ist ein sehr lesenswertes Dokument deutsch-dänischer Geschichte, das auch in dänischer Sprache vorliegt. 

John V. Jensen: „Deutsche auf der Flucht“, Aarhus University Press, Aarhus 2022, gebunden, 116 Seiten,  14 Euro