18.05.2024

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Folge 01-23 vom 06. Januar 2023 / Nachruf / Ein Brückenbauer zwischen Tradition und Moderne, Glaube und Vernunft / Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. war einer der bedeutendsten Deutschen des 20. und 21. Jahrhunderts. Gewürdigt wurde seine Lebensleistung vor allem im Ausland. In seiner Heimat begleitete ihn oft Kritik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-23 vom 06. Januar 2023

Nachruf
Ein Brückenbauer zwischen Tradition und Moderne, Glaube und Vernunft
Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. war einer der bedeutendsten Deutschen des 20. und 21. Jahrhunderts. Gewürdigt wurde seine Lebensleistung vor allem im Ausland. In seiner Heimat begleitete ihn oft Kritik
Bodo Bost

Die Theologie ist, neben der Altertumswissenschaft, das letzte akademische Fach, wo Deutschland und mit ihm die deutsche Sprache noch eine Spitzenposition in der Welt innehat. Insofern kann die Wahl des weltweit geachteten deutschen Theologen Joseph Ratzinger 2005 zum Papst auch als Anerkennung der deutschen Theologie verstanden werden. Gewählt wurde er vom internationalen Kardinalskollegium, in dem die Deutschen damals nur fünf von fast 150 wahlberechtigen Kardinälen ausmachten. 

Als Ratzinger am 19. April 2005 im Alter von 78 Jahren zum Nachfolger Johannes Pauls II. gewählt wurde, war er zuvor als Leiter der Glaubenskongregation viele Jahre der „Mastermind“ des polnischen Papstes gewesen. Die Kardinäle hatten ihn gewählt, weil sie nach einem sehr politischen 27-jährigen Pontifikat wieder einen Theologen und Seelsorger an der Spitze der Kirche haben wollten. 

Dieser Aufgabe versuchte Ratzinger als Papst Benedikt XVI. gerecht zu werden. Er versuchte, Tradition und Moderne sowie Glaube und Vernunft miteinander zu versöhnen. In Bezug auf den Islam gelang ihm letzteres nicht. Auf den Appell an die Vernunft in seiner Regensburger Rede von 2006 reagierten muslimische Gruppen mit Gewalt. 

Obwohl der neue Pontifex schon wenige Monate nach seiner Wahl euphorisch zum Weltjugendtag in Köln empfangen wurde und damals eine „Generation Benedikt“ neuen Schwung in die Kirche brachte, blieb sein Pontifikat – gerade in Deutschland – auch durch tiefe Kontroversen gekennzeichnet. Allen voran durch die Skandale um sexuellen Missbrauch durch Priester und die dadurch ausgelöste massive Glaubwürdigkeitskrise. Obwohl Benedikt als erster Papst offen mit dem Missbrauch umging, erstmals Betroffene empfing und 400 Täter-Priester laisieren ließ, wurde ihm in Deutschland bis zu seinem Tod ein zu lascher Umgang mit den Tätern zum Vorwurf gemacht. 

Weniger gewürdigt wurde, dass Benedikt XVI. die karrieristische und selbstverherrlichende Kultur im Vatikan in Frage stellte, die letztendlich auch der Grund für seinen späteren Rücktritt war. 

Stärken und Schwächen

Joseph Ratzinger war ein sanftmütiger und aufrichtiger Mann, aber er blieb auch als Papst zu sehr Theologe. Im Vatikan gab es immer eine subtile Strömung, die meinte, Benedikt sei zwar ein Intellektueller von Weltrang, aber als Geschäftsführer der Kirche überfordert. Seine Kritiker verwiesen auf das harte Vorgehen gegen liberale Theologen unter Benedikts Leitung und auf seine Annäherung an die Traditionalisten, denen er die Wiedereinführung der tridentinischen Messe mit dem Argument erlaubte, „was Jahrhunderte unserer Vorfahren gefeiert haben, kann nicht schlecht gewesen sein“. Dabei hatte der kirchliche Aufstieg von Joseph Ratzinger als Berater von Kardinal Frings während des 2. Vatikanischen Konzils (1962–65) begonnen, das frische Luft in die Kirche hineinlassen wollte. Doch auch die liberalen Kritiker mussten anerkennen, dass Benedikt nie hinter das Konzil zurückgegangen ist. 

Viele vergleichen Benedikt jetzt mit Papst Paul VI. (1963–78), der ebenfalls auf einen charismatischen Vorgänger, Johannes XXIII., folgte und im Vergleich dazu manchmal litt. Auch Pauls Papsttum war oft von Kontroversen und internen Pannen geprägt, und viele nahmen ihn als kalt, distanziert und isoliert wahr. Doch heute erinnern sich viele an den Papst Paul VI. als einen Heiligen, der die Kirche in den turbulenten Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zusammenhielt. 

Benedikts Vermächtnis ist die scharfsinnige Analyse von Glaube und Vernunft. Damit hat er eine intellektuelle Grundlage für eine mögliche gesellschaftliche Entspannung mit dem „gesunden Säkularismus“ vorbereitet, die unsere Zeit so dringend braucht, damit der Glaube überlebt. Unentschiedenheit und Fundamentalismus waren ihm suspekt. Damit eckte Benedikt gleichermaßen unter protestantischen und katholischen Kirchenvertretern an, die sich zunehmend dem Zeitgeist verschrieben haben, aber auch unter deutschen Politikern. Die Bundeskanzlerin glaubte sogar, ihn belehren zu müssen. „Wir sind Papst“ war Benedikt am Ende nur noch in Bayern, wo er auch als Mitmensch und nicht nur als Papst wahrgenommen wurde. Das zeigte sein letzter Besuch am Sterbebett seines Bruders 2020 in Regensburg. 

Der historische Rücktritt 

In den Stunden seines Todes wurde Benedikt vor allem wegen seines Rücktritts 2013 gewürdigt. Der letzte Papst, der zuvor freiwillig sein Amt aufgegeben hatte, war Coelestin V. im Jahr 1294. Dante hatte seinerzeit Coelestin für seine „große Weigerung“ in die Vorzimmer der Hölle verbannt. Aber die Geschichte war freundlicher, heute wird Coelestin in der Regel als selbstlose, nicht machtsüchtige Persönlichkeit dargestellt. Benedikt könnte künftig einen ähnlichen Aufschwung an Zuneigung erfahren – und dann vor allem als der bedeutende Theologe erinnert werden, der er zweifelsohne war. 

In seinen ersten Äußerungen als Bischof von Rom bezeichnete sich Benedikt als „demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn“. In diesem Verständnis hat er zeitlebens sein Bestes versucht, und er hatte den Mut, als „Stellvertreter Gottes auf Erden“ abzutreten, als er glaubte, sein Bestes sei nicht mehr gut genug.