29.04.2024

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Folge 02-23 vom 13. Januar 2023 / Verlassene Orte / Gruseln in Brandenburg / Ob die Beelitz-Heilstätten oder das Schloss Dammsmühle – verfallene Areale und Ruinen locken eine spezielle Kundschaft an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-23 vom 13. Januar 2023

Verlassene Orte
Gruseln in Brandenburg
Ob die Beelitz-Heilstätten oder das Schloss Dammsmühle – verfallene Areale und Ruinen locken eine spezielle Kundschaft an
Bettina Müller

Das ehemalige VEB Kraftfuttermischwerk in Fürstenberg an der Havel ist ein Hingucker. Schon von Weitem sieht man einen seltsamen klobigen Turm, aus dem Antennen zu wachsen scheinen, man kann mit diesem Ensemble zunächst nicht viel anfangen. Dann nähert man sich dem riesigen Areal direkt am Röblinsee, das seit 1992 in einen Dornröschenschlaf gefallen ist. „Betreten verboten“, mahnt eines der üblichen Kennzeichen der verlassenen Orte, die heute auch wegen einer gleichnamigen Doku-Serie den englischen Ausdruck „Lost Places“ tragen. Verloren und geheimnisvoll, aber nicht vergessen – dafür ist dieses Beispiel im nördlichen Brandenburg einfach zu prägnant. 

Ein ganz kurzer Moment der Versuchung, vielleicht doch irgendwie auf das Gelände zu gelangen, doch dann überwiegt die Vernunft. Man hält kurz inne und lässt die Atmosphäre auf sich wirken, und das kann durchaus meditativ sein. Die Natur bahnt sich überall den Weg, durch die Gemäuer und das Gelände. 

Ruinen und Verfall haben eine solch magische Anziehungskraft, aus der heraus eine Art Katastrophentourismus entstanden ist. Helle Farben, ein strahlendes Weiß, all das würde diesen Orten den Zauber nehmen, den er auf dafür anfällige Charaktere offenbar ausübt. Keiner weiß so recht, wie dieser Tourismuszweig eigentlich entstanden ist. Belegbare Angaben über die Anzahl der Deutschen, die diesem Hobby frönen, gibt es wohl nicht. 

Es ist zudem kein spezifisch deutsches Phänomen, sondern ein weltweites, die Auswahl an Fotobänden und Reiseführern zum Thema wird immer größer. Veranstalter, wie die Berliner Agentur „go2­know“ bieten sogar mehrtägige Fototouren zu verschiedenen verlassenen Objekten an. Dort geben die Teilnehmer sich dann kollektiv dem leichten Gruseln hin, aber immer auch mit dem Ziel, das Ganze visuell zu dokumentieren. 

Vor allem Berlin und Brandenburg bieten dem Düster-Touristen, der sich auch immer ein wenig gruseln will, dafür reichhaltige Möglichkeiten. Da wären die „Klassiker“, wie der verlassene „Spreepark-Berlin“, die verfallene Radarstation auf dem Teufelsberg oder die längst legendären Beelitz-Heilstätten bei Berlin.

Der Reiz des Verbotenen

Dabei sind die Motive für eine solche Freizeitgestaltung wohl sehr vielfältig. Und recht profan geht es dabei mitunter auch zu. Denn manch einer sucht tatsächlich nur den Kick, den Reiz des Verbotenen. Andere wiederum haben ganz andere Ansprüche, wollen möglichst atmosphärische Fotos machen, um sie den staunenden Fans im Internet zu präsentieren. 

Die Orte, die Geschichten, die sie nicht zuletzt auch erzählen, faszinieren sie, und so begeben sie sich tapfer auf die Reise in die Vergangenheit, um die einstige Atmosphäre ein wenig zu spüren. Zu stillgelegten Fabriken, alten verlassenen Villen und Gebäuden der untergegangenen Industriekultur, von der es in Berlin ebenfalls reichhaltige Zeugnisse gibt. Zu vergessenen DDR-Ruinen, Gefängnissen oder auch alten Friedhöfen. 

Möglich ist auch, dass dem Thema Parapsychologie zugeneigte Reisende nach Beweisen für eine Existenz nach dem Tod suchen oder nach Geistern Ausschau halten. Des Abends von dem Ausflug heimgekehrt, schauen sie dann Sendungen, in denen Geisterjäger in alten Gemäuern suchend herumschleichen. 

Auch das ist ein Trend, der aus den angelsächsischen Ländern herübergeschwappt ist, vor allem aus England, dem traditionellen Land der Mythen und Legenden. Dort, wo man dem Thema von jeher nicht abgeneigt ist und seinen Weihnachtsabend schon mal mit Geistergeschichten von M. R. James verbringt, die auch als „Ghost Stories for Christmas“ verfilmt wurden.

Die Gründe, sich auf die Reise nach verlassenen Orten zu begeben, sind so vielfältig wie die Menschen selber und die Orte, an die sie pilgern. Das Ganze ist auch eine Art Selbstbedienungsladen, aus dem sich jeder Interessierte genau das heraussuchen kann, was zu ihm passt, weil das Thema viele Bereiche touchiert: Fotografie, Architektur, Kunst, Kultur, Theologie, Parapsychologie, Reise und sogar Kriminalgeschichte, wenn verlassene Orte aufgesucht werden, an denen ein Verbrechen geschah. 

Ein Geist im Schloss Dammsmühle?

Mitunter kann es aber auch eine sehr persönliche Sache sein, nämlich eine gewisse Sinnsuche: die Suche nach dem Unbekannten und das Stellen von Fragen mithilfe eben dieser verlassenen Orte. Dazu gehört die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Und beinharte Skeptiker, die mit Spuk, Geistern und Mystik nichts am Hut haben, mögen vielleicht sogar selber ein wenig ins Grübeln kommen und sich fragen: „Könnte da vielleicht doch etwas dran sein? Spuken in den Beelitz-Heilstätten tatsächlich noch die Seelen der Menschen, die dort in der ehemaligen Lungenheilstätte gestorben sind, die dort gelitten haben, die vielleicht qualvoll zu Tode gekommen sind?“ 

Tatsächlich kann die geheimnisvolle Atmosphäre eines solchen Ortes Spuren im Erleben hinterlassen. Stand da oben im Schloss Dammsmühle nicht eben jemand hinter dem Fenster und schaute hinaus? Und huschte da nicht gerade eine weiße Gestalt durch die dunklen Bäume? War das etwa die legendäre weiße Frau, die im Berliner Raum im Volksglauben verwurzelt ist? 

Um die Frage, warum die ganze Angelegenheit in der letzten Zeit so besonders populär geworden ist, müssen sich aber wohl Psychologen und Soziologen kümmern. Vielleicht ist es auch einfach nur ein Trend, der wieder vergehen wird, die Suche nach dem Geheimnisvollen, die Reise in die Vergangenheit zu den Orten, an denen einst das Leben pulsierte, die Industrie boomte und die nun ein trauriges und ungewisses Dasein fristen. 

Mitunter liegen sie seit der friedlichen Revolution von 1989 brach und sind nur noch Ruinen. Aber eben mit einer geheimnisvollen Aura. Es gibt jedoch Orte, an denen der vermeintliche Zauber des Verfalls völlig versagt. 

Ebenfalls in Fürstenberg an der Havel stehen etwas außerhalb des Stadtkerns noch heute verfallene Villen, in denen hochrangiges SS-Wach-Personal des nahe gelegenen Konzentrationslagers Ravensbrück residierte, während unweit der Luxusherbergen die Menschen reihenweise starben. Und da ist nun Schluss mit lustig, der Zauber verloren und die Atmosphäre einfach nur noch grauenhaft.