29.04.2024

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Folge 02-23 vom 13. Januar 2023 / Kämpfende Wisente / Ein Geschenk an die Stadt Königsberg / August Gauls bekannte Skulptur wurde vor mehr als 100 Jahren vor dem Amtsgericht aufgestellt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-23 vom 13. Januar 2023

Kämpfende Wisente
Ein Geschenk an die Stadt Königsberg
August Gauls bekannte Skulptur wurde vor mehr als 100 Jahren vor dem Amtsgericht aufgestellt
Nikolaj Tscheburkin und Evgeny Dvoretski

Am 12. November 1912 wurde in Königsberg ein wertvolles und einzigartiges Geschenk des preußischen Kulturministeriums enthüllt: die Skulpturengruppe „Kämpfende Wisente“. Sie wurde Teil der Brunnenkomposition in der Hufenallee [Prospekt Mira]. Geschaffen hat sie der berühmte Berliner Bildhauer August Gaul.  

Der Künstler im Übergang vom Historismus zur Moderne wurde am 22. Oktober 1869 in Groß Auheim bei Hanau als Sohn des Steinmetzen Philipp Gaul und dessen Ehefrau Katharina geboren. Ab seinem 13. Lebensjahr absolvierte er eine Lehre als Modelleur und Ziseleur in einer Silberwarenfabrik. Ab 1884 studierte Gaul an der Königlich Preußischen Zeichenakademie in Hanau, wo er zum Steinmetz und Graveur ausgebildet wurde. Er setzte seine Ausbildung an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin fort. Ab 1895 wurde Gaul Meisterschüler im Atelier von Reinhold Begas (1831–1911), dem führenden Vertreter des Neobarocks in der Berliner Bildhauerschule. Ab 1897 absolvierte Gaul für einige Zeit ein Praktikum in Rom, durch das seine Arbeit einige Veränderungen erfuhr. Nach seiner Rückkehr aus Rom im Jahr 1898 eröffnete Gaul ein eigenes Atelier. 

Er wurde schnell berühmt und erhielt Aufträge aus ganz Europa. Gauls Skulpturen wurden regelmäßig auf internationalen Ausstellungen gezeigt, unter anderem auf der Pariser Weltausstellung 1900. Fünf Jahre später war der Bildhauer bereits Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Seine Ideen hatten einen großen Einfluss auf die Mitglieder des progressiven Kunstvereins Berliner Secession, dessen Gründungsmitglied er war. Es handelte sich um eine Vereinigung von Berliner Malern und Bildhauern, welche die vorherrschende akademische Kunst der Zeit ablehnten. 1902 stand Gaul an der Spitze der Secession. Er unterrichtete auch an der Berliner Akademie der Künste. Als man ihn bat, Senator an der Berliner Akademie der Künste zu werden, lehnte er jedoch mit der Begründung ab, er könne auch ohne den offiziellen Titel schaffen und lehren. 

Spezialist für Tierskulpturen

Gauls Werk ist interessant, weil es ihm immer gelungen ist, die Kraft des Tieres in seinen Skulpturen wiederzugeben, seine innere Stärke, die Spannung in seiner Bewegung. Ein großer Teil dieses Talents ist auf die ständige Beobachtung des Verhaltens der Tiere im Zoo zurückzuführen, in dem der Bildhauer sehr viel Zeit damit verbrachte, jedes noch so kleine Detail der Tiere zu skizzieren. Er suchte in seinen Skulpturen nicht die allegorische Darstellungsweise.  Er war ein geschickter Handwerker in der Herstellung von Tierfiguren, und schuf mehr als 150 plastische Werke. Der Bildhauer starb am 18. Oktober 1921 in Berlin.

Ein Freund Gauls war der französische Künstler Henri Matisse (1869–1954). Ihre erste Begegnung fand in der Kunsthalle von Paul Cassirer (1871–1926) in Berlin statt, in der Anfang 1905 Bilder von Matisse ausgestellt wurden. Zu dieser Zeit arbeitete Gaul an einer Skulpturengruppe mit zwei kämpfenden Wisenten. Zu seinem Bedauern und zum Leidwesen des Kunden kam die Arbeit jedoch zum Stillstand.  Matisses Scharfsinn entdeckte den Fehler und gab Gaul den Anstoß, seine Arbeit fortzusetzen. Gaul konnte das verlorene Gleichgewicht der Gruppe wiederherstellen und zwei Wisente zu einem mit acht Beinen verschmelzen. So gewann die Gruppe Stabilität. Gaul blieb Matisse, von dem er immer mit Bewunderung sprach, immer dankbar. 

Gaul fertigte 1902 die ersten Skizzen für die Gruppe der kämpfenden Wisente an. Im Jahr 1905 wurde die Skizze der Figur vom preußischen Kultusministerium genehmigt. Die Skulptur wurde 1911 in der Bild- und Bronzegießerei von Hermann Noack in Berlin in Bronze gegossen. Ursprünglich war geplant, das Kunstwerk auf dem Gelände des Fürstbischöflichen Schlosses Münster zu errichten. Münster lehnte jedoch ab, und die Bronzefigur wurde nach Königsberg gegeben. Die Provinzhauptstadt Ostpreußens nahm das Werk des berühmten Tierbildhauers dankbar an. Am Anfang der Hufenallee wurde ein 1,5 Meter hoher Steinsockel für die Aufstellung der Skulptur verwendet. 

Die Figuren der beiden kräftigen, mit den Köpfen nach unten gestreckten männlichen Wisente sind lebensgroß. Vor dem Sockel befindet sich ein rechteckiges Becken mit einem Springbrunnen. Zwei Löcher im Sockel, die mit Muscheln bedeckt sind, lassen Wasser in das Becken einfließen.  

Hinter der Brunnengruppe der Kämpfenden Wisente wurde 1913 mit dem Bau des im neobarocken Architekturstil errichteten ostpreußischen Oberlandesgerichtsgebäudes begonnen. Die Verzierungen an der Fassade und am Portal des Haupteingangs stammen von dem Königsberger Bildhauer Hermann Thiele aus dem Jahr 1914. Das Gerichtsgebäude wurde im Jahr 1917 eröffnet. Die Gegenüberstellung der Figuren der kämpfenden Wisente wurde von den Königsbergern als Symbol für einen „Staatsanwalt und Verteidiger“ gedeutet. Die Königsberger Dichterin Charlotte Wüstendörfer schrieb einen humoristischen Vierzeiler: „Und so wird zu jeder Frist/Uns vor’s Aug’ geführt/Deutlich, dass ein Rindvieh ist/Wer da prozessiert.“

Dietrich Zlomke (1929–2014), gebürtiger Ostpreuße, Architekt, Sammler und Mitbegründer des Hermann-Brachert-Museums, erzählte einmal, dass die Jugendlichen von Königsberg ihren eigenen Brauch im Zusammenhang mit den Kämpfenden Wisenten entwickelt hatten.  Jugendliche aus dem Amateurfunkclub wetteiferten darin, sich an den waagerecht stehenden Schwänzen der Bronzefiguren hochzuziehen und ihre Kräfte zu messen nach dem Motto: „Wer schafft es am häufigsten“. 

Zweimaliger Umzug nach 1945 

Nach der Erstürmung Königsbergs durch die Rote Armee im April 1945 wurde die berühmte Skulptur von ihrem Sockel entfernt und in das Landesfinanzamt an der Alten Pillauer Landstraße transportiert, in dem eine militärische Einheit untergebracht war. Bald darauf räumte das Militär das Gebäude und die zivile Verwaltung des Königsberger Gebiets – die Gebietsverwaltung und das Gebietskomitee der Kommunistischen Partei – zogen ein. Heute dient das Gebäude der Königsberger Gebietsregierung. 

Die Kämpfenden Wisente wurden in den Königsberger Tiergarten umquartiert. 1950 wurden sie dort auf der Hauptallee platziert. Im Jahr 1967 brachte man die Bronzefigur schließlich an ihren historischen Standort zurück, der Sockel und der Brunnen wurden restauriert. Seit 1959 war im ehemaligen Landgerichtsgebäude in Ostpreußen das Technische Institut untergebracht, das 1996 in „Staatliche Technische Universität Kaliningrad“ umbenannt wurde. 

Heute ein beliebter Treffpunkt

Das Denkmal war nicht nur bei Ostpreußen beliebt – auch die Russen lieben es. Die Kämpfenden Wisente werden im Volksmund „Stiere“ genannt, und der Platz in der Nähe des Brunnens wird kurzerhand als „Bei den Stieren“ bezeichnet. In der „Ballade über die Heimat“, die 1987 im Selbstverlag veröffentlicht wurde, widmete Andrej Pregolin, ein lokaler Barde, lustige Zeilen der Skulptur und den etwas frivolen Bräuchen der heutigen Jugendlichen.

Nun, jede Nation hat ihre eigenen Bräuche, aber die Stadt und ihre Geschichte sind gemeinsam. Sie spiegelt sich auch in den Denkmälern und Kunstwerken wider und verbindet uns, die wir früher und heute an den Ufern des Pregels leben oder gelebt haben.