29.04.2024

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Folge 02-23 vom 13. Januar 2023 / Zeitgeschichte / Kriege folgen ihrer eigenen Logik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-23 vom 13. Januar 2023

Zeitgeschichte
Kriege folgen ihrer eigenen Logik
Norbert Matern

Herbert Kremp (1928–2020), Chefredakteur der „Rheinischen Post“ und der „Welt“, hat die Fakten zu den Anfängen des Zweiten Weltkriegs als gegeben hingenommen. Er gibt keine Frontberichte. Ihm ging es um anderes: In einer strategischen Analyse die Beweggründe der handelnden Politiker, „bestimmt vom konsekutiven Zwang des Krieges“, aufzuzeichnen. Kremp zieht russische Quellen heran, da sich nach seiner Meinung die bisherigen Darstellungen vorwiegend auf westliche Quellen beziehen. Er geht sein Thema in drei großen Teilen an: Der Sprung ins Dunkle, Krieg und die Schichtung des Konflikts. Manches wird im Anhang noch konkreter wie bei „Putsch und Krieg“. Dort wird auch deutlich, wie die Generalität Hitler widersprach und darauf hinwies, dass Deutschland für einen Rundumkonflikt nicht gerüstet sei. Ältere Generäle wussten, dass junge Offiziere sich einem Putsch entgegenstellen würden.

Hitlers „Raumausdehnung durch Gewalt“ fiel in eine Zeit, in der auch andere Politiker Großmachtpläne schmiedeten. Wie Kremp schreibt, wollte Churchill eine Konföderation aller englischsprachigen Völker, Mussolini eine Erneuerung des Römischen Reichs, Japan eine Neuordnung Asiens und Roosevelt eine Pax Americana.

Kremp bescheinigt Hitler zwar eine intuitive strategische Begabung, mit der er aber bereits 1940 Schiffbruch erlitt. Ein „strategischer Infarkt“ beraubte ihn während des Frankreichfeldzuges der Souveränität über das weitere Kriegsgeschehen. Den zweiten Infarkt erlitt er bei dem Gedanken, England zu  erobern. 1941, so Kremp, hätte Hitler noch eine Friedenspolitik zur Neuordnung Europas einleiten können. Aber es gab „Hitlers Unsicherheit und Churchills Stehvermögen“. „Setzen Sie Europa in Flammen“ befahl der Brite dem Chef der Abteilung für politische Kriegsführung Hugh Dalton. Churchill, schreibt Kremp, zwang Hitler zur Fortführung des Krieges.

 Kremps zweiter Teil „Krieg“ müsste „Krieg im Osten“ heißen, denn darum geht es. Auch im Kreml waren Angriffspläne erarbeitet worden. Einer von ihnen, der nicht ausgeführt wurde, sah vor, schnell auf Ostpreußen und das Warschauer Gebiet vorzustoßen. Hitler führte aber keinen Präventivkrieg, sondern kam Stalin nur zuvor. Kremp führt dafür viele Zeugen an, darunter den einstigen sowjetischen Botschafter in Bonn, Valentin Falin: „Der Grundgedanke lautete, den Angriff nicht abzuwarten, sondern ihm, wenn möglich, zuvorzukommen.“ 

Herbert Kremp zieht am Schluss seines lesenswerten  und historisch oft weit ausholenden, detailreichen Buches das Fazit: „Kriege folgen der optionalen Logik. Der einzige Krieg, den Hitler frei wählen konnte, war der gegen Polen.“ Dann  war Hitler der Dialektik des Krieges unterworfen, deren Herr er nicht mehr war.

Man darf gespannt sein, ob die Fachhistoriker sich mit Kremp auseinandersetzen werden, der einerseits komplizierte Vorgänge entwirren und neu bewerten kann und zugleich journalistischer Erzähler bleibt. 

Herbert Kremp: „Morgen Grauen. Von den Anfängen des Zweiten Weltkriegs“, Olzog Edition-Lau Verlag, Reinbek 2022 , gebunden, 705 Seiten, 38 Euro