08.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 03-23 vom 20. Januar 2023 / Politik / Des Kanzlers Probleme sind größer als ein Ministerwechsel / Die Affäre Lambrecht offenbart nicht nur Scholz’ persönliche Schwächen, sondern auch das Problem, geeignete Kandidaten für Spitzenämter zu finden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-23 vom 20. Januar 2023

Politik
Des Kanzlers Probleme sind größer als ein Ministerwechsel
Die Affäre Lambrecht offenbart nicht nur Scholz’ persönliche Schwächen, sondern auch das Problem, geeignete Kandidaten für Spitzenämter zu finden
René Nehring

Dieser Ministerwechsel ist keine normale Kabinettsumbildung. Am Dienstag berief Bundeskanzler Olaf Scholz – nach dem am Tag zuvor erfolgten Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht – den bisherigen niedersächsischen Innenminister Boris Pisto-

rius zum neuen Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die deutschen Streitkräfte. 

Die Tage und Wochen zuvor offenbarten einmal mehr die seit seinem Amtsantritt im Dezember 2021 vielfach gezeigte Führungsschwäche des Kanzlers. In der Frage nach der Zukunft der europäisch-russischen Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 mochte sich Scholz lange Zeit weder zu einem Weiterbetrieb der Pipelines noch zu einem Abbruch der gewachsenen Energiepartnerschaft mit Russland bekennen – bis ihm US-Präsident Biden die Bürde abnahm und das Nord Stream-Aus beim Antrittsbesuch des Kanzlers in Washington verkündete. Ähnlich die Debatten um die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Auch hier wirkt der Kanzler regelmäßig zögerlich, vermeidet er klare Ansagen. Sagt er den Verbündeten Unterstützung für Kiew zu, wird diese umgehend mit allerlei bürokratischen Spielchen hintertrieben. Und auf das mit großen Worten verkündete Versprechen einer sicherheitspolitischen „Zeitenwende“ folgt in der Praxis – praktisch nichts. 

Zögern, hinhalten, abwarten

Und dann die Affäre Lambrecht. Seit ihrer Berufung zur Verteidigungsministerin vor etwas mehr als einem Jahr machte die vorherige Justiz- und Familienministerin keine gute Figur in ihrem Amt. Bei Auftritten vor Bundeswehrangehörigen wirkte sie lustlos und deplatziert, die Reform der Bundeswehr ließ sie schleifen. Die Mitnahme ihres Sohnes in einem Diensthubschrauber der Bundeswehr samt anschließender Weiterreise nach Sylt warf Fragen auf. Schließlich Lambrechts privat veröffentlichte Neujahrsansprache, in der sie – vom donnernden Berliner Silvesterfeuerwerk umgeben – die „vielen, vielen Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen“, die sie durch den Krieg in Europa in den letzten Monaten hatte, pries. Trotz allem hielt Scholz viel zu lange an ihr fest. 

Mag man im außenpolitischen Rahmen vielleicht noch Verständnis für manches Abwarten und Hinhalten des Kanzlers haben, schließlich ist dort niemand alleiniger Herr des Verfahrens, so ist sein Zögern in der Causa Lambrecht nicht nachzuvollziehen. Obwohl nach verschiedenen Medienberichten auch der nun ehemaligen Ministerin längst klar war, dass sie nicht mehr zu halten war, beließ Scholz sie zwei weitere Wochen auf ihrem Posten – ohne sich freilich mit der Autorität seines Amtes vor sie zu stellen. Selbst als am Freitagabend vergangener Woche die Medien den bevorstehenden Rücktritt Lambrechts vermeldeten, war nur ein laues „Wir kommentieren keine Medienberichte“ durch den SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil zu vernehmen. 

Die Affäre Lambrecht offenbart jedoch nicht nur die Führungsschwäche des Bundeskanzlers, sondern auch ein zunehmend größer werdendes Rekrutierungsproblem der Parteien. Offenkundig fand Scholz lange niemanden, der sowohl bereit als auch fachlich in der Lage gewesen wäre, das Amt des Verteidigungsministers auszufüllen. Arbeitsminister Hubertus Heil jedenfalls, der der Favorit des Kanzlers gewesen sein soll, gab ihm einen Korb. Prompt ätzte die Opposition, dass Pistorius nur „dritte Wahl“ sei. 

Keine Lust auf Parteien 

Auf kommunaler und Landesebene ist das Problem hinlänglich bekannt. Schon vor gut zwei Jahrzehnten klagten Gemeinden darüber, dass sie Mühe hätten, geeigneten Nachwuchs für politische Mandate und Ämter zu finden. Nun also hat der Personalmangel auch die höchsten Ebenen des Staates erreicht. 

Gründe für diese Entwicklung gibt es viele: von der zunehmenden Dominanz der Apparatschiks – die das Rampenlicht meiden und lieber in Hinterzimmern die Strippen ziehen – in allen (!) Parteien über die Unlust in bürgerlichen Kreisen, das eigene berufliche Leben auf Zufällen wie den Ausgang einer Wahl aufzubauen, bis hin zur Selbstbeschneidung der Parteien durch allerlei Quoten, die die persönliche Eignung eines Politikers zum nachrangigen Kriterium gegenüber Merkmalen wie dem Geschlecht, der Religion oder der ethnischen Herkunft degradieren. 

Als scheinbare Lösung wurde in den letzten Jahren die Schaffung von sogenannten Bürgerräten ins Spiel gebracht. Diese sollen der Idee nach Bürger motivieren, sich zu einzelnen Sachfragen einzubringen und dort frei von verkrusteten Parteistrukturen für Lösungen zu streiten. Doch was zunächst plausibel klingen mag – schließlich sind viele Bürger durchaus bereit, sich in allerlei Vereinen zu engagieren –, hat einen großen Haken. Denn auch die „Bürgerräte“ müssten irgendwie strukturell gestützt werden. Weshalb denn auch Kritiker befürchten, dass die Räte – allein der Begriff sollte angesichts der historischen Erfahrungen mit diesem Wort stutzig machen – sich schnell als Vehikel für einen weiteren Machtzuwachs der „Nichtregierungsorganisationen“ (NGOs) erweisen könnten, die ohne jede demokratische Legitimation auf ihrem jeweiligen Aktionsfeld die Entscheidungskompetenz beanspruchen. 

Die privilegierte Stellung der demokratischen Parteien durch die Verfassung hat also durchaus ihre Berechtigung. Deshalb ist es auch in erster Linie an ihnen, die Verkrustungen der politischen Landschaft aufzubrechen. Dazu gehört auch, neu gegründeten Wettbewerbern – egal, was auch immer man von ihren Auftritten halten mag – die ihnen zustehenden Rechte nicht zu verweigern. 

Sollten die Parteien allesamt auf ihrem bisherigen Wege weitergehen, braucht sich jedenfalls niemand zu wundern, wenn ein Bundeskanzler Mühe hat, geeignete Kandidaten für ein Spitzenamt in diesem Staat zu finden.