07.05.2024

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Folge 03-23 vom 20. Januar 2023 / Gradmessung in Ostpreussen / Beachtliche Erfolge in der Forschung / Friedrich-Wilhelm Bessels selbst konstruierte Messinstrumente wurden Standardgeräte in der Vermessung der Erdoberfläche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-23 vom 20. Januar 2023

Gradmessung in Ostpreussen
Beachtliche Erfolge in der Forschung
Friedrich-Wilhelm Bessels selbst konstruierte Messinstrumente wurden Standardgeräte in der Vermessung der Erdoberfläche
Wolfgang Kaufmann

Dass die Erde eine Kugel sei, lehrte der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras von Samos bereits um 540 v. Chr. Etwa 300 Jahre später errechnete das Universalgenie Eratosthenes von Kyrene den Umfang unseres Planeten, wobei er nur um gute vier Prozent daneben lag. Für die Anfertigung genauer Landkarten wie auch die Grundstücksvermessung zum Zwecke der Erstellung von amtlichen Katastern waren allerdings deutlich präzisere Angaben nötig. So musste beispielsweise die exakte Form der Erde bestimmt werden. Unabhängig voneinander hatten der niederländische Mathematiker und Physiker Christiaan Huygens 1673 und dessen britischer Fachkollege Isaac Newton 1687 die Vermutung geäußert, dass die Erde an den Polen abgeplattet und am Äquator aufgewölbt sei. Wie wir heute wissen, beträgt die Abweichung vom mittleren Erdradius von 6371 Kilometern in der Tat minus 14 Kilometer an den Polen und plus sieben Kilometer am Äquator. Das scheint nicht viel zu sein, führt aber bei Landkarten, die auf einer idealen Kugelform unseres Planeten basieren, doch zu deutlichen Abweichungen.

Anfänge der Geodäsie

Deshalb wurde die astronomisch-geodätische Methode der Gradmessung entwickelt, deren Zweck darin besteht, die Verformung der Erde so genau wie möglich festzustellen. Deren Anwendung profitierte ganz maßgeblich von dem 1615 durch den niederländischen Astronomen Willebrord van Roijen Snell entwickelten Verfahren der Triangulation. Dieses dient der optischen Abstandserfassung durch Winkelmessungen in Dreiecken. Da sich längere Strecken nur sehr kompliziert exakt bestimmen lassen, werden kurze, hochpräzise ausgemessene Linien zwischen zwei Festpunkten als Basis für die Bildung von großen Dreiecken verwendet, die wie ein Netz über der Landschaft liegen.

Mit solchen Triangulationen gelang es bis 1769, die Annahmen von Huygens und Newton zu bestätigen, allerdings waren die Erkenntnisse über den konkreten Umfang der Abplattung der Erde immer noch zu ungenau. Das änderte sich erst, als der deutsche Mathematiker Carl Friedrich Gauß neue Berechnungsverfahren zur Eliminierung von Fehlern entwickelte und im Zuge seiner eigenen Vermessung des Königreiches Hannover erprobte. Die Formeln von Gauss kamen auch bei den geodätischen Arbeiten in Preußen zum Einsatz, die 1817 begannen. Ein wichtiger Vorreiter war der Hauptmann im preußischen Generalstab, Johann Jacob Baeyer, der ab 1821 trigonometrische Vermessungen vornahm. Parallel dazu unterzog der Direktor der Sternwarte Königsberg Friedrich Wilhelm Bessel die Genauigkeit der bisherigen Landesaufnahme in Preußen einer kritischen Prüfung und stellte fest, dass diese unzureichend war.

Im Jahre 1830 bat die russische Regierung darum, die Lücke zu schließen, die zwischen der Triangulation der westlichen Teile Preußens und dem Netz von Messpunkten in den baltischen Provinzen Russlands klaffte. Daraufhin erhielt Bessel den Auftrag, eine groß angelegte exakte Gradmessung in Ostpreußen durchzuführen. Dabei erhielt er Unterstützung durch das preußische Militär, welches ihm Baeyer zur Seite stellte.

Die Ausführung des Unternehmens, in dessen Verlauf eine durchgehende Messkette zwischen Spanien und dem Nordpolarmeer entstand, dauerte von 1831 bis 1836. Dabei lag der südliche Endpunkt der Ostpreußischen Gradmessung in Trunz bei Elbing und der nördliche am Leuchtturm in Memel. Dazwischen befanden sich 17 weitere Stationen, an denen Bessel und Baeyer nicht nur geodätische, sondern auch astronomische Ortsbestimmungen vornahmen, um eine größtmögliche Genauigkeit zu erzielen. Und die war äußerst beachtlich, obwohl die Basislinie zwischen den Orten Mednicken und Trenk, auf der das gesamte trigonometrische Netz in Ostpreußen beruhte, nur eine Länge von 

1822 Metern aufwies. Die während des Projekts verwendeten und von Bessel selbst konstruierten Messinstrumente wurden zu Standardgeräten in der Geodäsie und blieben in der Preußischen Landesaufnahme noch bis zum Ersten Weltkrieg in Gebrauch.

Von Spanien bis zum Nordpolarmeer

Ausgehend von den Ergebnissen der Vermessung, die Bessel und Baeyer 1838 unter dem Titel „Gradmessung in Ostpreußen und ihre Verbindung mit Preußischen und Russischen Dreiecksketten“ veröffentlichten, sowie den Resultaten von neun weiteren derartigen Unternehmungen in anderen Teilen der Welt, konnte Bessel bis 1841 auch die Dimensionen der Erdfigur, also den Abstand der Pole vom Äquator und somit die Abplattung unseres Planeten, mit einer bisher nie dagewesenen Präzision bestimmen. Das dadurch definierte Bessel-Ellipsoid passt sich der realen Form der Erde in derart idealer Weise an, dass es in vielen Staaten bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus als Bezugssystem für die Landesvermessung und die Erstellung topographischer Karten diente. Erst die moderne Satellitengeodäsie erbrachte noch genauere Werte als jene, welche Bessel mehr als 100 Jahre zuvor ermittelt hatte.