02.05.2024

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Folge 04-23 vom 27. Januar 2023 / Ukrainekrieg / Deutschland hat das Recht zu zweifeln / In der Debatte um Panzerlieferungen an die Ukraine gibt es gute Gründe, vor einer Entscheidung auf die Beantwortung wichtiger Fragen zu drängen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-23 vom 27. Januar 2023

Ukrainekrieg
Deutschland hat das Recht zu zweifeln
In der Debatte um Panzerlieferungen an die Ukraine gibt es gute Gründe, vor einer Entscheidung auf die Beantwortung wichtiger Fragen zu drängen
René Nehring

Wie hältst Du es mit Panzern für Kiew? Diese, an Goethes Faust angelehnte Frage ist der große Aufreger dieser Tage. Soll Deutschland die von der Ukraine geforderten Leopard-II-Panzer liefern oder wenigstens der Lieferung älterer Modelle durch NATO-Verbündete zustimmen? Oder gibt es Gründe, die zur Vorsicht mahnen? 

Seit Bundeskanzler Olaf Scholz der Beantwortung dieser Frage bei der Tagung der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Stützpunkt in Ramstein in der vergangenen Woche auswich, hagelt es Kritik von allen Seiten – sowie neue Forderungen, endlich das erbetene Kriegsgerät gen Osten zu liefern. 

Was in der Debatte – wie so oft in den letzten Monaten – außen vor bleibt, sind grundlegende Abwägungen darüber, welchem Ziel die Lieferung von Panzern dienen soll – und welche Folgen ein solcher Schritt hätte. Auch wenn weitgehende Einigkeit darin besteht, dass Russland mit seinem Angriff auf die Ukraine nicht durchkommen darf, gibt es für diese Fragen gute Gründe. Und dies nicht nur, weil die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik (auch wenn die zuständige Ministerin das anders sehen mag) vorrangig den eigenen Bürgern verpflichtet ist, oder weil eine stärkere Verwicklung der Millionen ukrainische Flüchtlinge aufnehmenden NATO-Staaten dazu führen könnte, dass diese ihre Hilfen unter Umständen nicht aufrechterhalten können.

Zu klärende Interessenfragen

Zunächst gehört in diese Debatte ein nüchterner Blick darauf, was die bisherige Unterstützung der NATO für die Ukraine gebracht hat, welche Maßnahmen dem Ziel, den russischen Angriff abzuwehren, gedient haben – und welche nicht. Neben den deutschen Militärhilfen für die ukrainische Armee (deren Umfang auf der Webseite der Bundesregierung nachzulesen ist) gehört dazu auch die Beteiligung an mittlerweile neun EU-Sanktionspaketen. Zwar hat die militärische Unterstützung des Westens (vor allem der US-Amerikaner) wesentlich dazu beigetragen, dass Russland die Ukraine nicht überrennen konnte. Doch ist bislang nicht erkennbar, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Einrichtungen und führende Repräsentanten des Staates dazu geführt hätten, Russland ernsthaft zu schwächen. 

Ebenso in diesen Kontext gehören Überlegungen, welche Interessen die verschiedenen Akteure – von den beiden Kriegsparteien bis zu den westlichen Verbündeten – an dem Geschehen haben. Allein der Umstand, dass die USA seit Wochen ihre europäischen Partner ermuntern, Kampfpanzer gen Osten zu liefern, sie selbst ihre eigenen Abrams-Panzer jedoch für einen solchen Einsatz für ungeeignet erklären, sollte stutzig machen. 

Zu den offensichtlichen Interessenfeldern gehört vor allem der Energiesektor. Jahrelang kämpften US-Politiker beider großen Parteien gegen die deutsche Energiepolitik (Stichwort: Nord Stream), während der Sohn des heutigen US-Präsidenten Joe Biden, Hunter Biden, bereits 2014 in das dubiose ukrainische Energieunternehmen Burisma einstieg. Auch die erst im Oktober 2021 erfolgte Enthüllung der „Pandora Papers“ über Verstrickungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in ein Netzwerk von Offshore-Firmen in Belize, Zypern und den Britischen Jungferninseln wirft die Frage auf, wer hier welchen Interessen dient. 

Zu reden ist auch darüber, in wessen Hände eventuell gelieferte deutsche Kampfpanzer geraten würden. Hierbei ist unter anderem daran zu erinnern, dass die US-Amerikaner wiederholt bei neuen militärischen Engagements mit Waffen bekämpft wurden, die sie zuvor unter anderen Vorzeichen in ein Krisengebiet geliefert hatten. So wurden US-Soldaten 2002 in Afghanistan von den Taliban mit Stinger-Raketen empfangen, die Washington Jahre zuvor den Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjetunion geliefert hatte. 

Wer zahlt – und für wen?

Und wie steht es um die Korruption? Gerade erst meldeten Medien, dass vier stellvertretende ukrainische Minister sowie fünf Gebietsgouverneure wegen Korruptionsverdachts ihren Hut nehmen mussten. Und der Verteidigungsminister wurde vom Parlament dazu verpflichtet zu erläutern, warum die Armee ihre Lebensmittel zu Preisen einkauft, die dreimal so teuer sind wie in normalen Läden. Wer also stellt sicher, dass deutsche Panzer nicht in falsche Hände geraten? 

Nicht zuletzt gehört in diesen Kontext die Frage, wer das alles bezahlt. Gabor Steingart erinnerte dieser Tage im „Focus“ daran, dass die Militärhilfen der USA an die Ukraine keinesfalls geschenkt sind, sondern als eine Art Darlehen gereicht werden. Weshalb denn auch die Amerikaner die EU-Länder drängen, die finanzielle Unterstützung für die Ukraine zu beschleunigen und einen „regelmäßigen Mechanismus“ dafür einzurichten. Erst 2006, so Steingart, zahlte Großbritannien seine letzten Schulden an Washington zurück, die London dort für US-Militärhilfen im Zweiten Weltkrieg aufnehmen musste. Wer also trägt die Kosten für die geforderten Leopard-II-Lieferungen nach Kiew? 

Betrachtet man diese und weitere Punkte, erscheint die zögerliche Haltung von Bundeskanzler Scholz und manchem führenden Sozialdemokraten wie dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, durchaus plausibel. Das Problem dabei nur: Scholz und Genossen erklären nicht, worin ihre offensichtlichen Bedenken liegen. Stattdessen hüllen sie sich Tag für Tag in ein unverständliches Schweigen und beziehen verbal Prügel von allen Seiten. 

Doch auch ohne eine Erklärung für das Zögern des Bundeskanzlers gilt: Wie jeder militärische Konflikt hat auch der gegenwärtige Ukrainekrieg mehrere Erzählebenen. In einer Demokratie hat die Öffentlichkeit ein Recht auf Transparenz und auf zufriedenstellende Antworten zu etwaigen Fragen. Ansonsten ist es nicht nur legitim, sondern sogar geboten, lauthals geforderte Leistungen zurückzuhalten.