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Folge 04-23 vom 27. Januar 2023 / Norman Mailer / Ein Titan der Kriegsliteratur / Vor 100 Jahren kam der Autor von „Die Nackten und die Toten“ zur Welt – Er bewunderte einen Danziger

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-23 vom 27. Januar 2023

Norman Mailer
Ein Titan der Kriegsliteratur
Vor 100 Jahren kam der Autor von „Die Nackten und die Toten“ zur Welt – Er bewunderte einen Danziger
H. Tews

Das Titanentreffen hätte nicht denkwürdiger ausfallen können. Im Juni 2007 kamen in der New Yorker Public Library der Danziger Literaturnobelpreisgewinner Günter Grass und der zweifache Pulitzer-Preisträger Norman Mailer zusammen, um für ihre neuesten Werke zu werben. Grass stellte die englische Übersetzung seiner autobiographischen Erzählung „Beim Häuten der Zwiebel“ vor und Mailer sein letztes Werk: die Biographie „Das Schloss im Wald“ über den jungen Hitler.

Dabei kam es zu skurrilen Bekenntnissen zweier alter Männer, die noch den Zweiten Weltkrieg als Soldaten auf unterschiedlicher Seite miterlebt hatten. Angesprochen darauf, dass sein Freund Grass in „Beim Häuten der Zwiebel“ seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS erstmals publik gemacht hat, sagte der jüdische Autor Mailer: „Hätte ich in seinen Schuhen gesteckt, wäre ich wohl bei der SS gelandet.“ 

Der am 31. Januar 1923 im US-Bundesstaat New Jersey geborene Mailer weiß selbst am besten, was der Krieg aus einem Menschen machen kann. Man sei schließlich immer Kind der Zeit, der man sich vor allem in jungen Jahren schwer entziehen kann. Eindrücklich hat er diese Marter des Krieges 1948 in seinem Debütwerk „Die Nackten und die Toten“ geschildert. In dem autobiographisch geprägten Kriegsroman schildert Mailer die schleichende Enthumanisierung einer Handvoll Soldaten, die auf einer unbedeutenden fiktiven Pazifikinsel gegen dort stationierte Japaner eine Aufklärungsexpedition durchführt, die sich am Ende als sinnlos erweist. Mit diesem Werk schuf Mailer eine rühmliche Ausnahme gegenüber jenen patriotischen Rührstücken aus US-Produktion mit einem klar definierten Freund-Feind-Schema. In Mailers 1958 auch verfilmten Roman sind die GIs nicht minder brutal und „faschistoid“ als die ebenfalls nur ums Überleben kämpfenden Japaner.

Jahrzehntelang litt Mailer darunter, dass er nach „Die Nackten und die Toten“ keinen vergleichbaren literarischen Erfolg draufsatteln konnte. Ergebnis war, dass sich die im Krieg erlebten Gewaltexzesse ins Privatleben übertrugen. 1960 stach er seine zweite Ehefrau nieder, was ihm eine dreijährige Bewährungsstrafe eintrug. Und elf Jahre später verpasste er seinem Schriftstellerkollegen Gore Vidal eine Kopfnuss. Beim Treffen mit Günter Grass lobte er diesen ausdrücklich, seine SS-Vergangenheit aufgearbeitet zu haben. Mailer selbst sei nie in der Lage gewesen, seine Untaten literarisch zu verarbeiten.

Um wieder im Rampenlicht zu stehen, bewarb sich der Schriftsteller 1969 um das Bürgermeisteramt in New York – erfolglos. Mehr Erfolg hatte er im selben Jahr mit einer Reportage über den Marsch von Vietnamgegnern zum Pentagon, für die er den Pulitzer-Preis für das beste Sachbuch erhielt. Elf Jahre später erhielt er diesen Preis fürs beste fiktionale Werk: Im Roman „Gnadenlos“ schildert er das wahre Verbrechen des später hingerichteten Raubmörders Gary Gilmore.

Die Gratwanderung zwischen Fiktion und Realität wiederholte er später in den Biographien über Marilyn Monroe und Hitler, bei denen er Fakten-Leerstellen mit eigenen Spekulationen auffüllte. Im Monroe-Buch von 1973, seinem nach „Die Nackten und die Toten“ am besten verkauften Werk, unterstützt er aufgrund unklarer Autopsieberichte die These vom Mord an der Hollywood-Legende. 

Ähnlich wie Grass mit der „Blechtrommel“ hatte Mailer mit einem Erstling scheinbar sein ganzes Pulver verbraucht. Nur sein Traum, ebenso wie sein deutscher Kollege den Nobelpreis zu erhalten, erfüllte sich nicht. Fünf Monate nach dem Treffen mit Grass in New York starb dort dieser früh gereifte Titan der US-Literatur am 10. November 2007.