02.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 04-23 vom 27. Januar 2023 / Indien / „Freunde und Kameraden, das Licht ist aus unserem Leben erloschen“ / Das Entsetzen über die Ermordung Mahatma Gandhis vor 75 Jahren ist mittlerweile in Teilen seines Heimatlands Sympathien für seinen Mörder gewichen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-23 vom 27. Januar 2023

Indien
„Freunde und Kameraden, das Licht ist aus unserem Leben erloschen“
Das Entsetzen über die Ermordung Mahatma Gandhis vor 75 Jahren ist mittlerweile in Teilen seines Heimatlands Sympathien für seinen Mörder gewichen
Wolfgang Kaufmann

Freunde und Kameraden, das Licht ist aus unserem Leben erloschen, und überall herrscht Dunkelheit, und ich weiß nicht recht, was ich Ihnen sagen oder wie ich es sagen soll. Unser geliebter Führer, Bapu, wie wir ihn nannten, der Vater der Nation, ist nicht mehr.“ Mit diesen Worten informierte der indische Ministerpräsident Jawaharlal Nehru am Abend des 30. Januar 1948 in einer Radioansprache seine Landesleute über den Tod von Mohandas Karamchand Gandhi. 

Der am 2. Oktober 1869 in Porbandar geborene „Mahatma“ (große Seele), so sein Ehrentitel, galt als die Ikone des indischen Unabhängigkeitskampfes gegen Großbritannien und Meister in der Anwendung der Strategie des passiven Widerstandes, was unter anderem zur zwölfmaligen Nominierung für den Friedensnobelpreis geführt hat. Dennoch nahm Gandhis Leben schließlich ein gewaltsames Ende.

„Gewalttätiger Pazifist“

Wenige Stunden vor Nehrus Botschaft an das Volk wollte der Nationalheld im Beisein seiner Großnichten und einiger Besucher im Garten des Hauses des Industriellen Birla in Neu-Delhi beten. Um 17.17 Uhr traf er auf den 27-jährigen Hindu-Nationalisten Nathuram Godse. Der richtete eine Beretta auf Gandhi und schoss ihm zweimal in den Bauch und einmal in die Brust. Einigen Quellen zufolge war Gandhi sofort tot, andere Zeugen behaupteten, er habe noch rund eine halbe Stunde gelebt.

Godse, der keine Anstalten machte zu fliehen, wurde noch am Tatort von dem US-amerikanischen Vizekonsul Herbert Reiner gestellt. Bei seiner späteren Gerichtsverhandlung im Roten Fort von 

Delhi gab er freimütig Auskunft über das Motiv für die Bluttat. Gandhi sei ein „gewalttätiger Pazifist“ gewesen, der Indien mit einer übermäßigen Toleranz gegenüber Muslimen und einer damit verbundenen Benachteiligung der Hindus schon seit Langem unaussprechlichen Schaden zugefügt habe: „Die gesammelten Provokationen von 32 Jahren … brachten mich schließlich zur Überzeugung, dass Gandhis Existenz so schnell wie möglich beendet werden musste.“ 

Hungerstreik für Pakistan

Tatsächlich war Gandhi zeitlebens seiner Vision von einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft in Indien gefolgt. Davon konnten den Hindu auch die Muslime nicht abbringen, die ihm das oft nur mit Dornen, Glassplittern und Fäkalien auf den Wegen dankten, die er in der für ihn typischen, demonstrativ asketischen Weise barfüßig beschritt. Allerdings konnte Gandhi damit nicht verhindern, dass aus Britisch-Indien 1947 ein muslimischer und ein hinduistischer Staat hervorgingen und es anlässlich der Teilung zu massiven Gewaltausbrüchen auf beiden Seiten mit möglicherweise bis zu zwei Millionen Opfern kam. 

Seinen Versöhnungskurs gegenüber den Moslems setzte er auch nach der Spaltung fort. So startete er am 15. Januar 1948 den letzten Hungerstreik seines Lebens, um zu erzwingen, dass die indische Regierung 550 Millionen Rupien aus der Konkursmasse der Kronkolonie an das Nachbarland überweist. Das machte ihn nicht nur in den Augen Godses zur Hassfigur. Gandhi war das durchaus bewusst. So sagte er am 28. Januar: „Sollte ich sterben durch die Kugel eines Verrückten, muss ich es mit einem Lächeln tun.“ 

Entsäkularisierung Indiens

Die Einäscherung Gandhis am Tag nach dem Attentat geriet zu einer bombastischen Zeremonie mit Millionen Teilnehmern, während Godse sowie sein Mitverschwörer und mutmaßlicher Anstifter Narayan Dattatraya Apte am 15. November 1949 unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Gefängnis von Ambala durch Hängen hingerichtet wurden.

Nehru nutzte die Ermordung des Nationalhelden, um alle hindu-nationalistischen Herausforderer zum Schweigen zu bringen und die Macht der säkular und sozialliberal ausgerichteten Kongresspartei zu zementieren. Mittlerweile ist in Indien indes eine Trendwende zu konstatieren. Erheblich beschleunigt hat sich diese, nachdem der Hindu-Nationalist Narendra Modi von der rechtskonservativen Bharatiya Janata Party (BJP) im Mai 2014 Premierminister von Indien geworden ist. Seitdem ist deutlich öfter als früher die Rede davon, dass Gandhi ein Verräter an der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit gewesen sei. 

Anlässlich seines 150. Geburtstages stahlen Unbekannte sogar aus der Gedenkstätte in Rewa im Bundesstaat Madhya Pradesh eine Urne, die Teile von Gandhis Asche enthielt, und beschmierten das Mahnmal mit Schmähparolen. Sakshi Maharaj, ein dezidierter Islamgegner und Parteifreund des damaligen und heutigen Premierministers Modi, bezeichnete den Attentäter Godse gar als „Patrioten“. Immer wieder ist auch die Forderung zu hören, Godse mit einem Denkmal zu ehren. Eine Godse-Gedenkbibliothek gibt es bereits seit Januar 2021 in der Millionenstadt Gwalior, eine der historisch und kulturell bedeutsamsten Städte Indiens.