02.05.2024

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Folge 04-23 vom 27. Januar 2023 / Gesellschaft / Wenn sich die Bürger einfach von ihrem Staat verabschieden / Das Phänomen der Inneren Emigration greift in der Bundesrepublik neuerdings immer mehr um sich. Die Flucht ins Private verheißt Erholung – birgt aber auch tiefgreifende seelische Gefahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-23 vom 27. Januar 2023

Gesellschaft
Wenn sich die Bürger einfach von ihrem Staat verabschieden
Das Phänomen der Inneren Emigration greift in der Bundesrepublik neuerdings immer mehr um sich. Die Flucht ins Private verheißt Erholung – birgt aber auch tiefgreifende seelische Gefahren
Wolfgang Kaufmann

Angesichts der zunehmend unerträglicher werdenden Zustände hierzulande wandern viele Deutsche aus. Für andere indes kommt dies aus wirtschaftlichen oder familiären Gründen nicht infrage, zumal auch etliche einstmals attraktive Zielländer wie Kanada oder Neuseeland in den Augen vieler unzufriedener Bundesbürger inzwischen zu autoritären Staaten verkommen sind. Deshalb wählen manche Deutsche den Weg in die Innere Emigration: Sie ziehen sich zurück und verweigern dem Staat die Gefolgschaft, wo immer das ohne größere Probleme geht. 

Das Ganze ist faktisch das Pendant zur Inneren Kündigung im Arbeitsleben. Hier kennen die Sozialwissenschaften inzwischen auch belastbare Zahlen: Während bis zu 30 Prozent der höheren und leitenden Angestellten mit ihrem Unternehmen beziehungsweise Arbeitgeber abgeschlossen haben und nur noch das Nötigste tun, um nicht aufzufallen, erreicht die Quote unter kleinen und mittleren Angestellten sowie Arbeitern teilweise sogar 75 Prozent. Dabei sind die Gründe im Prinzip vergleichbar.

Da wäre zunächst einmal das bedrückende Gefühl der Perspektivlosigkeit: Die bestehenden Probleme erscheinen ebenso komplex wie unlösbar, was zu einer Sinnkrise führt. Vor diesem Hintergrund erodiert auch die emotionale Bindung an den Staat beziehungsweise das Unternehmen. Verantwortlich hierfür ist in aller Regel ein eklatantes Führungsversagen. Die Verantwortungsträger entscheiden selbstherrlich und haben den Bezug zur Basis verloren. Sie enthalten den Menschen wichtige Informationen vor oder verbreiten Lügen. 

Getarnt hinter „Sklavensprache“

Des Weiteren werden einzelne Gruppierungen gegeneinander ausgespielt – getreu dem Motto „Spalte und herrsche!“ Daraus erwächst eine wachsende Konkurrenz um Ressourcen, die immer öfter zu Grenzüberschreitungen führt und jegliches Wir-Gefühl atomisiert. Ebenso nachteilig wirken sich starre Strukturen aus, an denen die Führung zäh festhält. Das Gleiche gilt für das Überborden der Bürokratie und die inflationäre Vermehrung von Regeln, Vorschriften und Verboten. Auf deren Boden wuchert eine Kultur des Misstrauens, welche zusätzlich abstoßend wirkt.

Die Konsequenzen all dessen sind genauso vielgestaltig wie die Gründe für die Innere Emigration oder die Innere Kündigung, wobei Motivationsverlust definitiv an allererster Stelle steht. Der Einsatzwille tendiert nach und nach gegen Null, und am Ende wird nur noch „Dienst nach Vorschrift“ gemacht, oder die Arbeitnehmer und Bürger pfeifen gleich komplett auf die bestehenden Maßgaben. Damit einher geht der Verzicht auf eine berufliche, politische oder sonstige Karriere, welche es erfordert, irgendwie „mitzuspielen“. Vielmehr steht nun vorrangig das eigene Wohlbefinden im Fokus. 

Daraus resultiert ein wachsendes Desinteresse gegenüber Fehlentwicklungen sowie der Verzicht auf jegliche Form von konstruktivem Widerspruch. Wer in der Inneren Emigration angelangt ist, demonstriert nicht mehr und verkneift sich Beschwerden, Petitionen oder Ähnliches. Stattdessen wächst die Hoffnung, dass das Unternehmen beziehungsweise der Staat, dem man mental die Loyalität aufgekündigt hat, an seinen Gebrechen scheitert – und zwar je eher und dramatischer, desto besser.

Sofern die Betroffenen überhaupt noch zu etwas motiviert sind, dann zu teilweise sehr ausgefeilten Formen der Resistenz, Verweigerung oder gar aktiver und passiver Sabotage. Um dabei nicht aufzufallen, wird geschwiegen, obzwar das Schweigen doch äußerst beredt sein kann, wenn der Mensch vorher anders auftrat. Die Alternative hierzu besteht in der Verwendung einer sogenannten Sklavensprache. Diese ist geprägt durch Andeutungen beziehungsweise Mehrdeutigkeiten, versteckten Hintersinn und doppelbödige Formulierungen sowie auch Allegorien, Parabeln und gezielt angestellte historische Vergleiche. Typisch für Angehörige der schreibenden Zunft sind zudem die ausgeprägten Bemühungen, die eigene Meinung zwischen den Zeilen unterzubringen – immer vorausgesetzt natürlich, dass dem überhaupt noch ein Sinn beigemessen wird. 

Resignation kann krank machen

Aus der Kombination von innerem Widerwillen und vorgetäuschter Anpassung erwächst zwangsläufig der Wunsch, die unerfreuliche Außenwelt weitestmöglich auszusperren. Das erklärt dann wiederum den Rückzug ins Private, welcher hierzulande während der erzwungenen sozialen Isolation infolge der von oben oktroyierten Corona-Maßnahmen extrem an Fahrt aufgenommen hat, weil der Staat den Menschen ja noch ganz explizit vermittelte, sie seien in den eigenen vier Wänden am besten aufgehoben. Daraus erwuchs eine neue Häuslichkeit, welche viele Beobachter ans Biedermeier erinnerte, das 1815 in Reaktion auf den allgemeinen Überdruss infolge der Repressionen und Zensurmaßnahmen nach dem Ende der Napoleonischen Kriege entstand.

So aufreibend die ständige Angstmacherei und Bevormundung seitens eines ebenso überfürsorglichen wie autoritären Hygiene-Regimes während der Corona-Pandemie war, und so erniedrigend die Ungeimpften ihre Ausgrenzung erlebten, zeigte das Ganze doch eines: Die Innere Emigration vermag die Seele ein Stück weit zu entlasten, wenn die Berührungs- beziehungsweise Reibungspunkte zwischen dem Individuum und dem Staat sowie der Herde der obrigkeitshörigen Mitläufer auf ein Minimum beschränkt werden. Der Haken hieran ist allerdings, dass dies nur kurz oder maximal mittelfristig funktioniert. Dann überwiegen die Risiken für die Psyche.

Die mit der Inneren Emigration verbundene Resignation führt zu chronisch negativen Gefühlen, die in eine Depression oder erlernte Hilflosigkeit mit daraus erwachsendem Kompetenzverlust münden können. Und auch das dem Menschen eigentlich ureigene Streben nach Selbst- und Mitbestimmung geht verloren. Deshalb sollte auf eine Phase der Inneren Emigration, die der Erholung und der Besinnung aufs Wesentliche dient, eine Phase des offensiven Heraustretens aus der selbst gewählten Nische folgen. Auch wenn diejenigen, welche den vorherigen Rückzug zu verantworten haben, dann erschrocken aus allen Wolken fallen – so wie die DDR-Führung im Herbst 1989.