03.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 04-23 vom 27. Januar 2023 / Rückblick / Die „Nischengesellschaft“ der DDR / Auch aus dem SED-Staat versuchten viele „nach innen“ zu entkommen – Datschen-Kultur, Hobbys und Ähnliches blühten auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-23 vom 27. Januar 2023

Rückblick
Die „Nischengesellschaft“ der DDR
Auch aus dem SED-Staat versuchten viele „nach innen“ zu entkommen – Datschen-Kultur, Hobbys und Ähnliches blühten auf

Wenn von Innerer Emigration und dem massenhaften Rückzug ins Private die Rede ist, dann wird neben dem vom Biedermeier geprägten Deutschen Bund in der Zeit nach 1819 und der Diktatur des Dritten Reiches immer wieder auch auf die DDR verwiesen. Und tatsächlich schuf das dortige SED-Regime in seinem Drang, dem „real existierenden Sozialismus“ zum Sieg zu verhelfen, über weite Strecken nur eine entpolitisierte Nischengesellschaft, in der die Menschen auf jede erdenkliche Weise nach dem privaten Glück strebten. 

Dies lag daran, dass der Staat zwar allen Bürgern Arbeit, ein Dach über dem Kopf sowie bezahlbare Grundnahrungsmittel garantierte und somit die materielle Existenz sicherte, zugleich aber eine Erziehungsdiktatur etablierte, der seit dem Mauerbau 1961 kaum mehr jemand physisch entkommen konnte. Also setzte eine Massenflucht nach innen ein.

Diese äußerte sich beispielsweise in dem nachgerade legendären Faible der Mitteldeutschen für ihre Kleingärten, Datschen, FKK-Strände, Camping-Urlaube, Kaninchen-, Tauben- und sonstige Zuchten sowie Hobbys der phantasievoll-bizarrsten Art. Außerdem gab es zusätzlich noch das Westfernsehen beziehungsweise -radio, das selbst denjenigen einen regelmäßigen und mühelosen Ausstieg aus dem DDR-Alltag ermöglichte, die es vorzogen, den Feierabend und die Wochenenden passiv auf der Couch zu verbringen.  

Schlupfloch fehlt heute

Allerdings hielt sich die Freiheit in solchen Nischen am Ende doch in Grenzen.So kamen die Sachsen, welche in den angeblichen „Tälern der Ahnungslosen“ wohnten, aber wissend genug waren, um ARD und ZDF schauen zu wollen, nicht umhin, sich in staatlicherseits kontrollierten Antennengemeinschaften zusammenzuschließen. 

Und wer einen weit über den Niederungen des Alltags herumkraxelnden Bergvagabunden spielen wollte, musste dennoch ganz brav in den Deutschen Verband für Wandern, Bergsteigen und Orientierungslauf der DDR (DWBO) eintreten und seinen Mitgliedsausweis in der Tasche tragen, wenn es hinaus in die Natur ging. Andernfalls durfte er in manchen Gegenden zwischen Harz und Zittauer Gebirge nicht einmal die Hand an den Fels legen – ebenso geriet die Beschaffung der nötigen Ausrüstung dann zu einem höchst anstrengenden Hürdenlauf. Ganz zu schweigen vom Besteigen der Berge im „befreundeten Ausland“ zwischen der nahegelegenen Hohen Tatra und dem fernen Pamir.

Das ist der Unterschied zwischen der DDR und der Bundesrepublik von heute. Der „erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“ schaffte es tatsächlich, fast jedweden Bereich der Gesellschaft zu durchdringen und somit auch die inneren Emigranten engmaschig zu kontrollieren, während der jetzige Staat derartig dysfunktional geworden ist, dass er inzwischen selbst bei seinen ureigensten Kernaufgaben versagt. 

Gleichzeitig bestand für den DDR-Bewohner im Notfall immer noch die ferne Aussicht, „rüberzumachen“, wenn das Verharren in der letztlich doch nicht so privaten Nische keine ausreichende Lebenszufriedenheit mehr garantierte. Dieses finale Schlupfloch fehlt heute. W.K.