03.05.2024

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Folge 05-23 vom 03. Februar 2023 / Ein Vater der allgemeinen Wehrpflicht / Vor 175 Jahren starb der preußische Reformer, Generalfeldmarschall, Kriegsminister und Namensgeber der Ringfestung in Lötzen, Hermann von Boyen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-23 vom 03. Februar 2023

Ein Vater der allgemeinen Wehrpflicht
Vor 175 Jahren starb der preußische Reformer, Generalfeldmarschall, Kriegsminister und Namensgeber der Ringfestung in Lötzen, Hermann von Boyen
Paul Brock

Gemeinhin ist man anzunehmen geneigt, dass dem Sohn eines Regimentskommandeurs im ostpreußischen Städtchen Kreuzburg eine sorglos-glückliche Jugend beschieden sein müsste. Bei Hermann von Boyen, der am 23. Juli 1771 zur Welt kam, trifft eine solche Prognose nicht zu. Weil seine Eltern früh starben, wurde er von einer gänzlich mittellosen Tante in Königsberg in kärglich ausgestattetem Milieu erzogen. Die Frage, was aus ihm werden sollte, wurde auf die einfache Weise gelöst, die damals bei mittellosen Söhnen von Berufsoffizieren gang und gäbe war: Er trat als 13-Jähriger 1784 als Fahnenjunker in die Armee ein, blieb aber in Königsberg, und das Reglement für Fahnenjunker war hart und in gar keiner Weise bequem oder gar vergnüglich zu nennen.

Dafür war er als 17-Jähriger bereits Sekondeleutnant, und man gab ihm eine Stelle an der Kriegsschule in Königsberg, wobei es ihm freistand, auch allgemeinwissenschaftliche Vorlesungen zu besuchen.

Hörer Immanuel Kants

Da war nun etwas, das seinem Wesen die eigene Note gab: Der junge Boyen fühlte sich zu Immanuel Kant hingezogen und hörte aufmerksam und begeistert dessen Vorlesungen zu. Es war der sich bereits in vorgerücktem Alter befindliche, gereifte Kant, den der junge Offizier zu hören bekam. Wenn er auch vielleicht nicht die Weisheit des tiefgründigen Philosophen in ihrer ganzen Fülle verstand, war doch der verbliebene Eindruck im Wesen des reifenden Mannes in seinem Verhalten und allen Lebensfragen zu spüren.

Diese sechs Königsberger Jahre nach seiner Ernennung zum Leutnant erweisen sich als schön und förderlich.

Danach geschah es, dass preußische Truppen zu einer militärischen Intervention in Polen einrückten. Schon 1793 hatten sich die Russen veranlasst gesehen, der Verfassung, die man nach der ersten Teilung den Polen auferlegt hatte, militärischen Nachdruck zu geben; die Polen schlugen zurück. Es war zu befürchten, dass Russland sich bei dieser Gelegenheit ganz Polens bemächtigen würde, darum rückten preußische Truppen ein und besetzten das sogenannte Großpolen mit Thorn und Danzig. 1794 kam ein neuer Aufstand zum Ausbruch, in den auch Österreich eingriff.

Adjutant General Günthers

In diesem Feldzug war Boyen Adjutant des preußischen Generals Johann Heinrich von Günther, den er fortan als Vorbild betrachtete und verehrte. Günther war ursprünglich Student der Theologie gewesen und zu Beginn des Siebenjährigen Krieges in die preußische Armee eingetreten, hatte sich der persönlichen Anteilnahme Friedrichs des Großen erfreut, war auch vom König geadelt worden. Er starb 1803 als Militärgouverneur der an Preußen gefallenen polnischen Gebiete. Der Bevölkerung gab er sich als Freund zu erkennen, und darum verehrte sie ihn.

Nach Kant war Günther der zweite Mensch, dem sich Boyen wesensverwandt fühlte und sich darum seiner Erfahrungs- und Gedankenwelt unterstellte, bis der napoleonische Krieg ihm wieder die Sinnfälligkeit seines Berufsstandes in den Vordergrund rückte. Zuvor hatte er noch einige im Kantschen Geiste gehaltene Schriften verfasst, darunter „Die humanere Behandlung des gemeinen Soldaten“. Dadurch war Scharnhorst auf ihn aufmerksam geworden, und Boyen hatte in ihm einen Lehrer und Freund gewonnen.

Verwundung bei Auerstedt

Als Hauptmann wurde er in der Schlacht bei Auerstedt schwer verwundet. Dieser Umstand und die schwere Niederlage, die Preußen damals erlitt, ließen ihn an das Ende seiner Laufbahn glauben. Trotzdem verzweifelte er nicht. Man sagt, das Lied eines Nachtwächters vor dem Fenster der Stube, in der er untergekommen war, in Weimar im Haus seines Freundes, noch immer mit Schmerzen und seiner Verzweiflung ringend – das Lied dieses Nachwächters habe ihn wieder mit so hoher Zuversicht erfüllt, dass seine Heilung fortan viel schnellere Fortschritte machte.

Als Gärtnerbursche verkleidet ist er sodann – immer nach der Version des vorliegenden Berichtes – auf vielen und mühevollen Umwegen in die ostpreußische Heimat zurückgekehrt, und zwar kam er nach Bartenstein. Dort hat ihn schon sein treuer Bursche erwartet und ihm sogar das freudige Wiedersehen mit seinen drei Pferden bereitet.

Zeitweise in Russlands Diensten

Inzwischen war der Friede von Tilsit geschlossen. Unter Gerhard von Scharnhorst bildete sich eine militärische Reorganisationskommission. Boyen, inzwischen Major geworden, wurde sein eifrigster Gehilfe bei dieser einigermaßen komplizierten Aufgabe, eine ganz neue Heeresverfassung zu schaffen. Als aber der preußische König ein Bündnis mit Frankreich einging, konnte auch Scharnhorst ihn nicht mehr halten. Oberst von Boyen quittierte den Dienst und begab sich nach Österreich, um sich von dort nach Russland zu begeben, wo er Beziehungen suchte, um gegen Napoleon zu wirken. Erst 1813 kehrte er in den preußischen Dienst zurück, als Preußen sich wie ein Mann erhob, um das französische Joch abzuschütteln. Er kämpfte siegreich bei Lützen. Danach übertrug ihm der König die Aufgabe, für den Notfall Berlin zu schützen und inzwischen die Aufrüstung beschleunigen zu helfen. Während des Waffenstillstandes aber ernannte ihn der König zum Chef des Generalstabes des 3. Bülowschen Armeekorps, als der er sich glänzend in allen Schlachten bewährte. Er wurde Generalmajor.

Allgemeine Wehrpflicht

Erst danach hat die eigentliche Aufgabe seines Lebens begonnen, durch die er in die Geschichte einging: Nach dem Ersten Pariser Frieden hat ihn der König zum Kriegsminister ernannt. Als solcher führte er die vor dem Kriege begonnene Organisation einer Landwehr fort, brachte auch das berühmte Dienstpflichtgesetz vom 3. September 1814 durch, das die allgemeine Wehrpflicht in Preußen einführte. 1818 wurde er Generalleutnant.

Als er aber einen Teil seiner Arbeit, das volkstümliche Wesen der Landwehr, durch eine immer stärker aufkommende Reaktion gefährdet sah, zog er die Konsequenz und nahm seinen Abschied.

Seitdem lebte er – die Zeit seiner besten Mannesjahre – von 1819 bis 1841 ein Privatleben in stiller Muße, mit geschichtlichen Studien beschäftigt, bis ihn Friedrich Wilhelm IV. nach seiner Thronbesteigung in den aktiven Dienst zurückrief und ihm wieder das Kriegsministerium übertrug, doch hatte Boyen wenig Freude daran, weil die verworrenen politischen Umstände und ein schwacher König keine ernsthafte Initiative mehr aufkommen ließen. Er trat 1847 zurück und wurde zum Generalfeldmarschall und Gouverneur des Invalidenhauses ernannt.

Rücktritt aus Enttäuschung

Zuvor hatte der König dafür gesorgt, dass der Name von Boyen in der ostpreußischen Heimat stets in Erinnerung blieb. Als nahe bei Lötzen, zwischen Löwentin und Mauersee, ein Festungswerk angelegt wurde, verfügte Friedrich Wilhelm IV., es sollte den Namen seines derzeitigen Kriegsministers „Feste Boyen“ erhalten.

Obwohl er als Soldat an jedem Platz, an den er beordert war, Außergewöhnliches leistete, ging er doch nicht restlos in seinen militärischen Aufgaben auf. In dem, was er noch nebenher war, drückte sich die eigentliche Substanz seiner Persönlichkeit aus. In gewisser Weise geht das aus seinen hinterlassenen Schriften hervor. In den Jahren der Zurückgezogenheit hat er Verse geschrieben, von denen aber nur ein einziges Liederblatt erhalten blieb. In Berlin erschienen 1833 seine „Beiträge zur Kenntnis des Generals von Scharnhorst“, und 1834 ein zweites Buch: „Erinnerungen aus dem Leben des Generalleutnants von Günther“. Allein in den Titeln spiegelt sich seine Art: Was sein Beruf erforderte, wurde getan, darüber hinaus hat er nichts niedergelegt, kein Programm, keine strategischen Rezepte.

Das ihm allein der Nachwelt zu übermitteln für würdig erschien, war das Erlebnisbild seiner Freunde, wobei die Bescheidenheit in der Formulierung der Titel bemerkenswert ist. Zwar fanden sich eigene Erinnerungen und Notizen in seinem Nachlass, 1889/90 in drei Teilen von Friedrich Nippold unter dem Titel „Erinnerungen aus dem Leben des General-Feldmarschalls Herrmann von Boyen“ in Leipzig herausgegeben, doch betrafen sie nur seine Entwicklungsjahre. Was ihn als reifen Mann bewegte, nahm er mit hinüber ins Grab, als er am 15. Februar 1848 starb.

Dieser Beitrag erschien erstmals auf der Seite 10 in der Folge 28 vom 10. Juli 1971.