03.05.2024

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Folge 05-23 vom 03. Februar 2023 / Östlich von Oder und Neiße / Ein Leben lang für die eigene Identität marschieren / Beim Autonomiemarsch treffen sich jährlich bekennende Oberschlesier – Erinnerung an die Opfer polnischer Konzentrationslager

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-23 vom 03. Februar 2023

Östlich von Oder und Neiße
Ein Leben lang für die eigene Identität marschieren
Beim Autonomiemarsch treffen sich jährlich bekennende Oberschlesier – Erinnerung an die Opfer polnischer Konzentrationslager
Chris W. Wagner

Am 28. Januar war es wieder so weit. Mit einem Marsch zum Lagertor Zgoda im oberschlesischen Schwientochlowitz [Świętochłowice] wurde an den Weg der 1945 inhaftierten, meist deutschen Oberschlesier erinnert. Zum polnischen Lager Zgoda wurde das vorher deutsche KZ Eintrachthütte, das ab dem 26. Mai 1943 bis zum 23. Januar 1945 ein Außenlager von Auschwitz war, umfunktioniert.

2009 hatten den Marsch Mitglieder und Sympathisanten der Bewegung für die Autonomie (Ober-)Schlesiens (Ruch Autonomii Śląska) ins Leben gerufen. In diesem Jahr führte der zehn Kilometer lange Marsch vom Kattowitzer Wilhelmsplatz [Plac Wolności] mit einem Zwischenstopp in der Kattowitzer Straße [ul. Katowicka] in Schwientochlowitz zum Lagertor im Stadtteil Eintrachthütte. Dieser Zwischenstopp an der Markthalle erinnerte daran, dass die ersten Zgoda-Inhaftierten mehrere Wochen im Kellergeschoss der Markthalle verbringen mussten.

Seit 13 Jahren laufen sie Jahr für Jahr am letzten Sonnabend im Januar, um an die Oberschlesische Tragödie zu erinnern, weil „diese Wahrheit immer noch in Geschichtsbüchern verschwiegen wird“, beklagt Peter Langer vom (Ober-)Schlesischen Verein (Ślōnskŏ Ferajna). Die Oberschlesische Tragödie ist ein Sammelbegriff für die Inhaftierungen, Verschleppungen, Vertreibungen und Deportationen in die Sowjetunion und Repressalien, die nach dem Einmarsch der Roten Armee 1945 an der oberschlesischen Zivilbevölkerung verübt wurden. Es gab Zeiten, da sei man bei der Aufklärungskampagne viel weiter gewesen, sagte dieses Jahr der Initiator und Chef der Autonomiebewgung Jerzy Gorzelik. „Damals hat das Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej) bei der Aufklärungsarbeit mitgewirkt und es wurden Lehrmaterialien für die Regionalkunde erarbeitet“, so Gorzelik. Doch diese wurden nicht ins Lehrprogramm integriert. Dabei sollen allein in Zgoda von Februar bis November 1945 etwa 6000 Menschen inhaftiert worden sein. Mindestens 1700, manche Quellen sprechen gar von 3000 Menschen, haben in Zgoda ihr Leben verloren. 2015 schrieb Andrzej Sznajder vom Institut für Nationales Gedenken, dass Zgoda nur die Spitze des Eisbergs bilde, da in den Jahren 1945 bis 1956 mehr als 200 Arbeitslager für die deutsche Bevölkerung errichten worden seien.

Sebastian Reinhold Handy-Fischer geht noch weiter. Er möchte, dass man mit dem „Herumgeeiere“ um das Lager Zgoda aufhöre: „Es ist ein polnisches Konzentrationslager und kein Arbeitslager, denn diese gab es an den Gruben“, sagt der Aktivist des Schlesischen Vereins, dessen Mitglieder meist gleichzeitig auch Mitglieder der Autonomiebewegung sind. 

Der diesjährige Marsch bleibt den Mitgliedern des Vereins wohl besonders in Erinnerung, da im Januar gleich zwei Mitstreiter in Sachen (ober-)schlesischer „Nationalität“ verstorben sind. Joachim Glensk aus dem nach dem Ersten Weltkrieg noch bei Deutschland verbliebenen Teil Oberschlesiens, verstarb mit 88 Jahren. Der in Tarnau bei Oppeln aufgewachsene Professor der polnischen Philologie und Kenner der deutschen Presselandschaft im Oberschlesien der Vorkriegszeit, war, wie er in seiner Biographie „Autochton“ schrieb: „... der erste Professor schlesischer Nationalität“. Der zweite Kämpfer für die Anerkennung einer (ober-)schlesischen Nationalität, Sprache und der kulturellen Autonomie Oberschlesiens war der am 21. Januar verstorbene Senator der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska) im polnischen Parlament, Marek Plura. Der seit seiner Geburt an Muskeldystrophie leidende 53-Jährige saß im Rollstuhl. Unermüdlich setzte sich der gebürtige Ratiborer [Racibórz] für die Anerkennung einer oberschlesischen Nationalität ein und prangerte die allgemeingültige polnische Einstellung an, dass ein guter (Ober-)Schlesier nur der sein könne, der seine Identität verleugnet. „Sollte man trotzdem als guter (Ober-)Schlesier gelten, bleibt man jedoch immer ein verdächtigtes, zweifelhaftes Element.“ 

An der Richtigkeit ihres Engagements zweifeln die Aktivisten der Autonomiebewegung und des Schlesischen Vereins kaum. „Ein zehnjähriger Junge fragte während des Marsches: ,Papa wie oft müssen wir den noch mitmarschieren?‘ Die Antwort des Vaters: ,Auch wenn Du jedes Jahr neue Schuhe bekommst, werden die Dir nicht reichen‘. Wir sind der nie verglimmende Funke, aus dem irgendwann ein Feuer wird, an dem sich viele wärmen werden“, ist Peter Langer überzeugt.