03.05.2024

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Folge 05-23 vom 03. Februar 2023 / Zum 75. Todestag / Zwischen Genie und Wahnsinn / Der aus Greifswald stammende Schriftsteller Hans Fallada – Ein Bestsellerautor mit Schattenseiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-23 vom 03. Februar 2023

Zum 75. Todestag
Zwischen Genie und Wahnsinn
Der aus Greifswald stammende Schriftsteller Hans Fallada – Ein Bestsellerautor mit Schattenseiten
Martin Stolzenau

Der Schriftsteller Hans Fallada hieß eigentlich Rudolf Ditzen und stammte aus Greifswald in Vorpommern. Er lebte ein Leben voller Entgleisungen, Depressionen und Selbstekel, verfasste Romane, die viel Autobiographisches enthalten und erlangte als Bestsellerautor Weltruhm. 

Der eigentlich unpolitische Autor, der mit seismographischem Gespür den gesellschaftlichen Alltag erfasste und mit hohem Kunstverstand verarbeitete, schuf damit laut Kurt Tucholsky „politische Lehrbücher der Fauna Germanica“. Das rückte ihn ins Visier der Nationalsozialisten. Aus dem braunen Zugriff, der ihn ins Gefängnis von Fürstenwalde brachte, retteten ihn einflussreiche Gönner. 

Dazu umsorgte ihn seine Ehefrau „Suse“, die ihn trotz seiner Entgleisungen bis zuletzt immer wieder vergab, in seinem Refugium Carwitz bei Feldberg. Die Trennung von ihr am Ende des Krieges und der Wechsel mit neuer Gefährtin nach Berlin waren folgenschwere Fehler, die nach neuerlichem Drogenrausch und damit verbundener Herzlähmung vor 75 Jahren zum frühen Tode führten. 

Der Schriftsteller wurde am 21. Juli 1893 in Greifswald als Rudolf Ditzen geboren. Er hatte noch drei Geschwister und war der Sohn des Landrichters Wilhelm Ditzen. Als frühe Höhepunkte seiner Greifswalder Kindheit bezeichnete der Juristensohn später die Erzählungen des Vaters über seine Fälle. Die Menschenschicksale beflügelten den Jungen in seiner Fantasie. Dazu las er auch in späteren Jahren im Arbeitszimmer seines Vaters heimlich dessen Gerichtsprotokolle. 

Eher zur Qual geriet für ihn nach der Versetzung des Vaters als Kammergerichtsrat nach Berlin der Schulbesuch im Schöneberger Prinz-Heinrich-Gymnasium, wo er von den Söhnen des Offiziers- sowie Beamtenadels wegen seiner Kleidung und Haarfrisur als Außenseiter schonungslos gehänselt wurde. Dazu kamen die Launen der Lehrer, die ihm den Schulbesuch zusätzlich vergällten. Sohn Rudolf meldete sich deshalb oft krank, wurde ins Bett gesteckt und las nun heimlich alles, was ihm aus der Privatbibliothek des Vaters als interessant erschien.

Als er dann einen Freund fand, streifte er mit ihm über den Potsdamer Platz und durch das verrufene Scheunenviertel. Beide erschlossen sich mit prickelnder Neugier die für sie noch fremde Welt der Marktschreier, Bettler, Dirnen und Droschkenkutscher. Das war für Ditzen wie in den Büchern von Charles Dickens. 

Einen Mitschüler getötet

Nach der Ernennung des Vaters zum Reichsgerichtsrat übersiedelte die Familie nach Leipzig. In der Messestadt suchte der körperlich schwächliche, geistig frühreife und von seinen Mitschülern weiter gehänselte Junge Zuflucht in Romanfiguren der elterlichen Bibliothek. Er empfand unendliches Fernweh und fühlte sich wie Robinson Crusoe als Inselbewohner. 

Nach einem von Rudolf verursachten gesellschaftlichen Skandal schickte Vater Ditzen den „missratenen Sohn“ nach ärztlicher Konsultation zunächst in ein Sanatorium nach Bad Berka bei Weimar und dann zum Landurlaub nach Schnepfenthal bei Gotha, ehe er ihn 1911 als Pensionsgast beim Rudolstädter Superintendenten unterbrachte. Rudolf Ditzen besuchte jetzt das örtliche Gymnasium und sorgte bereits im Oktober 1911 für den Aufmacher vieler deutscher Zeitungen. Er hatte in einem vorgetäuschten Duell, das in einem Doppelsuizid enden sollte, einen Mitschüler getötet und sich selbst verletzt. Dem Vater gelang es per Gutachten, die Unzurechnungsfähigkeit seines Jungen glaubhaft zu machen, der dann unter Zubilligung des § 51 des StGB in die geschlossene Heilanstalt Tannenfeld bei Gera eingewiesen wurde. 

Zu Rudolf gesellte sich als Gast seine Tante Ada, die sich als Therapeutin eta­blierte, „den Kranken zu geordneter Arbeit und Erwerb von realen Lebenswerten erzog“, ihn unterrichtete und zu eigenen literarischen Arbeiten anhielt. Das führte September 1913 zur Entlassung. 

Von Tannenfeld wechselte der Skandalsohn ins nahe Posterstein als Landwirtschaftseleve. Danach arbeitete Ditzen auf verschiedenen Gütern unter anderem in Pommern und Westpreußen sowie in Gudderitz bei Altenkirchen auf Rügen. Hier allerdings gab er sich dem Alkohol- sowie Morphiumrausch hin. Er geriet in Geldnöte, machte Unterschlagungen und wurde deshalb zweimal zu Haftstrafen verurteilt. Der erste Gefängnisaufenthalt war 1923 in seiner Vaterstadt Greifswald, der zweite 1926 in Neumünster. Hier gelang ihm anschließend als Anzeigenwerber beim „Generalanzeiger“ der Aufbruch zu neuen Ufern. 

Ditzen übernahm journalistische Aufgaben, heiratete Anna Issel aus Hamburg, seine „Suse“, schriftstellerte und bekam vom Verleger Ernst Rowohlt in Berlin eine Verlagsanstellung, die ihm genug Schreibzeit beließ. Sein Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“, der Erlebtes aus der Zeit in Neumünster durchspielt, bedeutete im Jahr 1931 den Durchbruch. 

Ein Leben im Dauerrausch

Inzwischen legte sich der Erfolgsautor den Namen Fallada aus dem Märchen „Die Gänsemagd“ der Brüder Grimm zu. Er konnte sich ein Siedlungshaus in Neuenhagen bei Berlin leisten und schrieb wie im Rausch in 16 Wochen den Bestseller „Kleiner Mann – was nun?“. Damit war er mit einem Schlag in aller Munde. Der „kleine Mann“ Ditzen entzog sich dem Prominenten-Trubel und auch den Nationalsozialisten. Er kaufte ein Sechs-Morgen-Anwesen in Carwitz bei Feldberg in Mecklenburg, wo er weitere Bestseller fabrizierte und ein zurückgezogenes Leben führte. 

Zu den Romanen „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“, „Jeder stirbt für sich allein“ sowie „Der eiserne Gustav“ gesellten sich auch Kinderbücher wie „Hoppelpoppel“ sowie „Geschichten aus der Murkelei“. Sie dokumentieren, dass er sich als Vater auch in Kinderseelen einfühlen konnte. Wundervoll sind auch seine Weihnachtsgeschichten. Viele seiner Werke wurden verfilmt.

Nach seiner Scheidung im Jahr 1944 und einem Zwangsaufenthalt in der gefängnismäßigen Strelitzer Trinkerentziehungsanstalt entstand sein authentischer Roman „Der Trinker“, den er aus der Erfahrung der eigenen Abhängigkeit schrieb. Er erschien erst postum 1950. 

Nach Kriegsende und einer viermonatigen Tätigkeit als Bürgermeister von Feldberg wechselte Fallada mit der ebenfalls drogenabhängigen Witwe Ursula Losch nach Berlin, wo ihm Johannes R. Becher eine Villa und eine Anstellung bei der „Täglichen Rundschau“ vermittelte. Der nunmehrige Kulturpolitiker wollte den berühmten Autor für die Sowjetische Besatzungszone erhalten. Doch der süchtige Fallada war nun ohne seine wachsame „Suse“. Er und seine süchtige Gefährtin berauschten sich bis in den Tod. 

Fallada kam nach einem Zusammenbruch zunächst in die Nervenklinik der Berliner Charité und dann ins Pankower Krankenhaus, wo er an Herzlähmung am 5. Februar 1947 im 54. Lebensjahr verstarb. Seine Urne wurde 1982 von Berlin nach Carwitz überführt, wo ein Gedenkstein und das als Museum eingerichtete Wohnhaus an ihn erinnern. Dazu gesellen sich das 1981 in Feldberg von der „Hans-Fallada-Gesellschaft“ geschaffene Hans-Fallada-Archiv mit umfangreichen Sammlungen und zahlreichen Schriften, die sich mit dem Leben und Wirken des bedeutenden deutschen Erzählers beschäftigen.