03.05.2024

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Folge 05-23 vom 03. Februar 2023 / Archäologie / Im Schatten von Pompeji / Die Ruinenstätte Paestum in der italienischen Region Kampanien – Selbst Goethe war von deren morbidem Charme fasziniert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-23 vom 03. Februar 2023

Archäologie
Im Schatten von Pompeji
Die Ruinenstätte Paestum in der italienischen Region Kampanien – Selbst Goethe war von deren morbidem Charme fasziniert
Wolfgang Kaufmann

Inzwischen pilgern um die 3,5 Millionen Besucher pro Jahr durch die Ruinenstadt Pompeji, welche im Jahr 79 n. Chr. bei einem Ausbruch des Vulkans Vesuv zerstört wurde. Dahingegen kommen in die knapp einhundert Autobahn-Kilometer südöstlich davon gelegene UNESCO-Weltkulturerbestätte Paestum nur reichlich 440.000 Interessenten im Jahr. Dabei gibt es hier gleichfalls eindrucksvolle Zeugnisse der Antike zu sehen.

Um das Jahr 600 v. Chr. herum gründeten vermutlich Auswanderer aus der griechischen Kolonie Sybaris am Golf von Tarent mehrere Tochterkolonien. Dazu gehörte auch Poseidonia – benannt nach dem Meeresgott, der den Schiffen eine günstige Überfahrt gewährt hatte. Der Ort lag in einer fruchtbaren Ebene 35 Kilometer vom heutigen Salerno und zwei Kilometer von der Küste des Mittelmeeres entfernt im Mündungsgebiet der Flüsse Sele und Salso, wo sich auch wichtige Handelsrouten kreuzten. Hieraus resultierte ein schnelles Anwachsen des Wohlstands in Poseidonia, das zum Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. zusätzlich davon profitierte, dass Sybaris von konkurrierenden Nachbarn zerstört wurde.

In dieser Zeit entstanden nacheinander drei eindrucksvolle große Tempelbauten aus Muschelkalk und Marmor, die jeweils exemplarisch eine Epoche des dorischen Stils verkörpern: Der um 540 v. Chr. gebaute Hera-Tempel mit seinen 54 Säulen, einer der größten bis dahin errichteten griechischen Steintempel überhaupt, der Tempel der Athena aus der Zeit um 510 v. Chr. am höchsten Punkt der Siedlung und dann um 450 v. Chr. noch der monumentale Poseidon-Tempel, welcher sich mit jedem anderen noch erhaltenen Bauwerk der griechisch-römischen Antike messen kann.

Im 4. Jahrhundert v. Chr. gelang es dem in der Umgebung von Paestum lebenden italischen Volk der Lukaner, die Stadt unter seine Kontrolle zu bringen. Daraus resultierte die Umbenennung in Paistos. Die lukanische Herrschaft endete jedoch schon 273 v. Chr., als Rom begann, nach Süden zu expandieren. Nun wurde das einstige Poseidonia zur römischen Kolonie Paestum. Deren Bürger genossen den Status von Marineverbündeten, den „socii navales“, die Rom im Kriegsfalle mit Schiffen und Matrosen beizustehen hatten. Dafür besaßen sie das Münzrecht und konnten sich eines erneuten wirtschaftlichen Aufschwungs erfreuen. 

Von Piraten heimgesucht

Gleichzeitig verlor Paestum mit der Niederlassung von Veteranen der römischen Legionen sukzessive seinen griechischen Charakter. So wurde eine gewaltige, fast fünf Kilometer lange und 15 Meter hohe Stadtmauer errichtet, welche 120 Hektar Fläche umschloss, auf der zahlreiche neue Bauten in die Höhe wuchsen. 

Im weiteren Verlauf der römischen Kaiserzeit stagnierte die Entwicklung von Paestum jedoch. Während der christlichen Spätantike war der Ort Bischofssitz, und der Tempel der Athena beherbergte nun eine Kirche. 

Schließlich führten vier Faktoren zum Niedergang der einstmals prosperierenden Siedlung: Das Umland versumpfte infolge der Abholzung der Baumbestände, weshalb die Malaria zu grassieren begann, und am Ende verlagerten sich auch noch die Handelswege zwischen Rom und dem Orient in die Adria, während immer öfter Piraten und dann später auch Sarazenen Paestum heimsuchten und plünderten. Daher flüchteten die letzten Bewohner des Ortes im 9. Jahrhundert in die höher gelegenen Dörfer Capaccio, Giungano und Trentinara. 

200 Jahre später ließ der normannische Herzog von Apulien und Kalabrien, Robert Guiscard, die Ruinen plündern, um Baumaterial für die Errichtung der Kathedrale San Matteo in Salerno zu gewinnen, wobei aber die drei großen griechischen Tempel weitgehend verschont blieben. Ein weiterer glücklicher Umstand war, dass der 1740 geäußerte Vorschlag von Ferdinando Sanfelice, seines Zeichens Hofarchitekt des Königs Carlo VII. von Neapel und Sizilien, die verbliebenen Steine der antiken Stadt zu nutzen, um den Bau des Schlosses von Capodimonte in Neapel voranzutreiben, niemals zur Ausführung kam.

Bis 1752 lag Paestum in tiefem Dornröschenschlaf, dann wurde es beim Bau der Straße von Neapel nach Reggio di Calabria wiederentdeckt und erlangte sofort große Popularität bei den kunstbeflissenen Bildungsreisenden der damaligen Zeit, welche ihre Grand Tour durch Italien absolvierten. 

Ein deutscher Museumsdirektor

Verantwortlich hierfür waren nicht zuletzt die phantasievollen Kupferstiche von Giovanni Battista Piranesi. So weilte 1787 auch Johann Wolfgang von Goethe in der malerischen Ruinenstadt. Hier konnte man die antike griechische Baukunst relativ unkompliziert erleben – denn andere bedeutende Hinterlassenschaften der alten Griechen wie beispielsweise die Akropolis in Athen waren ja kaum zugänglich, da sie sich im Machtbereich der Osmanen befanden. Gleichzeitig fesselte der morbide Charme von Paestum, das im 18. Jahrhundert immer noch inmitten ausgedehnter Sümpfe lag.

Deren Trockenlegung erfolgte erst in den 1920/30er Jahren. Zeitgleich entstand ein Museum, das heute zahlreiche Fundstücke aus Paestum und der Umgebung beherbergt, darunter auch künstlerisch höchst wertvolle, bemalte Steinplatten, die einstmals als Sargdeckel oder -seitenwände gedient hatten. Direktor des Museums war von 2015 bis 2021 der deutsche Altertumswissenschaftler Gabriel Zuchtriegel, dessen Berufung im Zusammenhang mit den Bemühungen der seinerzeitigen Regierung in Rom erfolgte, das italienische Museumswesen durch ausländische Experten zu beleben (PAZ 39/19). 

Unter Zuchtriegels Leitung wurde viel getan, um Paestum auf der einen Seite weiter archäologisch zu erforschen und auf der anderen Seite auch für interessierte Laien attraktiver zu machen, woraus eine Verdopplung der Besucherzahlen seit 2005 resultierte. An Pompeji reichte Paestum trotzdem bei Weiten nicht heran, weshalb auch Zuchtriegel der Verlockung nicht widerstehen konnte: Seit 2021 ist er Direktor des Archäologischen Parks von Pompeji. Paestum bleibt dafür ein Ruhepol für Freunde der Archäologie.