03.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 05-23 vom 03. Februar 2023 / Fasching in Ostpreussen / „Fasteloawend is jekoame“ / Singen, Tanzen und Feiern statt Umzügen und Straßenkarneval prägten die närrische Zeit von Masuren bis ins Samland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-23 vom 03. Februar 2023

Fasching in Ostpreussen
„Fasteloawend is jekoame“
Singen, Tanzen und Feiern statt Umzügen und Straßenkarneval prägten die närrische Zeit von Masuren bis ins Samland
Bärbel Beutner

Am 20. Februar wird hierzulande der Rosenmontag gefeiert, der Höhepunkt des Karnevals. Zwei Jahre lang durften keine Umzüge in den Karnevalshochburgen wegen der Corona-Pandemie stattfinden. Nun hofft man in diesem Jahr besonders im Rheinland auf unbeschwertes Feiern mit allem, was dazugehört. Dabei wäre gerade in den letzten verrückten Jahren das Feiern der Fastnacht angebracht gewesen, denn seit dem Ende des 15. Jahrhunderts gehörte zu der närrischen Zeit die Verspottung der Obrigkeiten und der kirchlichen Institutionen.

Seit dem 13. Jahrhundert sind die Tage vor dem Beginn der Fastenzeit als Tage des Genusses und des Feierns überliefert. In den Klöstern fanden vor der Fastenzeit opulente Festessen und Unterhaltungen statt; das griff auf die Laienwelt über, und es entwickelten sich verschiedene volkstümliche Bräuche. Im 14. Jahrhundert gab es zur Fastnacht Ritterspiele, im 15. Jahrhundert brachten sich die Patrizierverbände und die Zünfte mit Maskenumzügen ein. Der Mummenschanz in Augsburg war berühmt. Fastnachtsspiele sind seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts nachweisbar sowie komödiantische Aufführungen, oft mit groben Witzen und Klamauk. Daraus wurde der beliebte „Schwank“, in dem politische Missstände und menschliche Schwächen aufs Korn genommen wurden. Am bekanntesten wurden die Schwänke von Hans Sachs im 16. Jahrhundert.

Die Fastnacht entwickelte sich aus ursprünglich heidnischen, germanischen und keltischen Fruchtbarkeitskulten, bei denen die Geister des Winters ausgetrieben wurden. Dazu dienten auch die Masken, welche die Wintergeister erschrecken sollten. In christlicher Zeit wurde die gewohnte Ordnung auf den Kopf gestellt. Bis heute übernehmen die Narren die Herrschaft, das Rathaus wird besetzt, der Bürgermeister muss den Schlüssel übergeben, die Stadtväter werden entmachtet. Der Donnerstag vor Rosenmontag ist „Weiberfastnacht“, dann feiern und herrschen die Frauen.

Kostümbälle und Bügeltanz

Umzüge und Straßenkarneval gab es in Ostpreußen nicht, aber Kostümbälle waren sehr beliebt. Die Eltern von Agnes Miegel (1879–1964) sollen sich auf so einem Ball kennengelernt haben, sie als Rotkäppchen, er als Jäger verkleidet. In dem Roman „Frau Sorge“ von Hermann Sudermann (1857–1928) wird ein großer Ball am Fastnachtsabend beschrieben, der „in dem Saale des Bürgervereins von den Landwirten der Umgegend“ gefeiert wird. Lichterglanz und rauschende Musik erfüllen den Saal, und es gibt eine Reihe von weiß gekleideten Mädchen, „welche die Wände schmückten“. Ein Gast, der von dem Ball heimkehrt, trägt auf der Brust „einen funkelnden Panzer von Ordenssternen, wie sie beim Kotillontanze die Damen den Herren anzuheften pflegen“.

Das war ein Ball in einer ländlichen Kleinstadt, und auf dem Dorf gab es zur Fastnacht allerhand Traditionen. Die unvergessliche Hanna Wangerin hat in dem Arbeitsheft „Vom Festefeiern in Ostpreußen“ Berichte von Landsleuten zusammengetragen. Ein beliebtes Fastnachtessen war „Schuppnis“, ein Gericht aus dick gekochten Erbsen, dazu Schweinskopf und Kartoffeln. In der Tilsiter und Insterburger Gegend ist es ver bürgt. Krapfen gehörten zur Fastnacht überall dazu. 

Auf dem Lande feierte man den „Fastelabend“ – „Fasteloawend“, dessen Höhepunkt der „Bügeltanz“ war. Aus langen Weidenästen wurde ein runder Kranz gebunden, mit Tannen umflochten und mit Papierblumen und bunten Bändern geschmückt. Der „Bügelmeister“ trug diesen Kranz, den „Bügel“, einem Zug von jungen Paaren voran, und so ging es mit Musik in den Dorfkrug. Dort war der Tanzsaal leer, nur Bänke und Stühle gab es und eine große Tanzfläche. Die Paare drehten sich im Tanz, und der Bügelmeister mit Metallschärpe schwenkte den großen Kranz hin und her und sprang selbst durch den Bügel wie über ein Springseil. Er war die wichtigste Person. Plötzlich hielt er den Bügel zwischen ein Paar, und das Mädchen musste durch den Kranz springen. Der Tanzpartner half dabei, packte sie oft mit beiden Händen und hob sie durch den Bügel. Je höher sie sprang, umso höher wuchs im kommenden Sommer der Flachs. 

Zur Musik gehörten mitunter die gleichen, selbstgebauten Instrumente wie beim Umzug des „Schimmelreiters“ in den „Rauhnächten“: Ziehharmonika, Teufelsgeige und Brummtopf. Beim Einzug in den Saal wurde gesungen: „Fasteloawend is jekoame,/Loop anne Linge,/ wi wille bägle goahne,/Loop anne Linge,/Zucht und Ehr wille wir/bi er Jungfer finde.“ Das „Laub an der Linde“ ist vielleicht eine Hoffnung auf baldiges Grün und Blühen. „Wir wollen betteln gehen“ – zur Fastnacht gehörte immer der „Heischegang“, bei dem Äpfel, Kuchen, Speck und Zuckerzeug eingeheimst wurden. Bemerkenswert aber ist, dass eine „Jungfer“ „Zucht und Ehr“ besitzen muss. Beim Sprung durch den Bügel durfte auch der Fuß nicht hängen bleiben; das bedeutete „Schande“. Und ein Mädchen, das „seinen Kranz verloren hatte“ (Erklärung überflüssig), wurde sogar nicht zum Bügeltanz zugelassen.

Ein Brauch wie zu „Halloween“

Die Königsberger Schriftstellerin Fanny Lewald (1811-1887) berichtet in ihrer „Lebensgeschichte“ von einer „alten Sitte“ zur Fastnacht in Königsberg. Die Fischfrauen gingen mit einem großen, bunt geschmückten Netz und in prächtigen Kleidern in die Häuser ihrer Kunden, tanzten und sangen und erhielten ein Geldgeschenk. Ihr Lied enthält dieselben Wünsche wie die des Schimmelreiters zu Neujahr: „De Fischkes de springe,/De Fischergeselle singe,/De Fischerwiwer springe./Wi winsche dem Herrn/Einen goldenen Disch,/ Up alle veer Ecke/Gebratene Fisch./ Wi winsche de Fru/ Eenen jungen Sohn“. Die Verse beginnen auch mit „Loop an de Linge“, was aber mit „Leinen“ übersetzt wird. Einen Sinn ergibt das auch, denn bei dem Bügeltanz wurde mitunter ein Streifen Leinen unten um den Bügel gewunden, weil zu Fastnacht die Zeit des Spinnens aufhörte und das Weben begann. Die verheirateten Frauen tanzten deshalb am Fastelabend auch den „Wockentanz“ mit Lichtern in den Händen, die sonst am „Spinnwocken“ steckten.

Das Geldgeschenk für die Fischerfrauen sowie der „Heischegang“ zur Fastnacht, auch das findet sich in mehreren Kulturen. Am Fastnachts-Dienstag zogen die Kinder verkleidet von Haus zu Haus und bekamen Süßigkeiten. Heute ist dieser Brauch zu „Halloween“ von Amerika nach Europa gekommen, und in der jüdischen Tradition gehört das Umherziehen der Kinder zum Purim-Fest im Frühjahr.

Altpreußens Geschichte bei Agnes Miegel

In Agnes Miegels berühmter Novelle „Die Fahrt der sieben Ordensbrüder“ erscheinen am Ende Kinder, die in dem tief verschneiten Samland am Morgen unterwegs sind. Sie „gehn Fastnacht singen“, wie sie sagen. Es gelingt der Dichterin, in dieser Szene die Geschichte Altpreußens zusammenzufassen. Der letzte Prußenherzog ist soeben gestorben, die Prußenburg geht in Flammen auf, die Ordensritter treffen auf die Kinder, die in einem Dorf wohnen, über dessen Dächer „rot und wuchtig der schwere viereckige Kirchturm stand“. Die Herkunft der Kinder ist halb deutsch, ein Vater kommt „aus dem Bremischen“, sie haben die Nacht „bei Samels Großmutter“ verbracht und „Warmbier und Keilchen“ bekommen. Die Mädchen tanzen, und der Junge spielt den Brummtopf. Sie erhalten Münzen und einen Apfel und ein Stück Kuchen. Deutsche und Prußen sind bereits vermischt und verwandt. 

Ernst Wiechert (1887–1950) führt den Leser seiner Jugenderinnerungen „Wälder und Menschen“ in eine Fastnacht voller Märchen und Geheimnisse in seiner masurischen Heimat. Für seine Eltern, Förstersleute aus dem Kreis Sensburg, war das Maskenfest das einzige Fest ihres Jahres. „... am Fastnachtabend fuhren wir zur Tante Veronika in die kleine Stadt“, „durch lautlose Wälder“, durch Schnee und einen „Abendhimmel wie eine Feuerwand“. „So fuhren sie mich ins Märchen, denn Tante Veronika war das Märchen.“ Tante Veronika schneidert „für wohlhabende Leute“, auch Kostüme zur Fastnacht, aber vor allem kann sie erzählen und „Zaubergestalten beschwören“. Das Kind wird so davon ergriffen, von Oberon und „der Schönen mit den sieben Schleiern“, von dem „Mann in der Wand“, der vielleicht König Nebukadnezar ist, „daß meine Seele erzitterte und in Grauen und Seligkeit verging“. Dazu gibt es Pfannkuchen und Punsch, wie es sich zur Fastnacht gehört.

Pfannkuchen und Punsch in Sensburg

Hier tut sich eine vielleicht östliche Seite der Fastnacht auf. Das ist keine närrische Ausgelassenheit, sondern Tante Veronika sagt: „Ja, die Fastnacht ... Da ist so viel unterwegs ...“ Diese Nächte bekommen eine magische Bedeutung wie die Johannisnacht im Juni und wie die Rauhnächte zur Wintersonnenwende und die Tag- und Nachtgleiche zweimal im Jahr. In ihrer Jugend ging sie mit ihrer Schwester durch den Schnee, mit einer Trompete, um die Wölfe abzuschrecken, und auf dem Kostümball war sie natürlich Zigeunerin, „und alle jungen Förster ließen sich von mir wahrsagen“. Eine Losnacht war Fastnacht also auch. Für das Kind Ernst Wiechert bekam alles den „Zauberhauch verschollner Zeiten“ und wurde zu einer „Welt der Wunder“. Tante Veronika kann tatsächlich in die Zukunft sehen, so wie sie glaubhaft den verstorbenen Bürgermeister gesehen hat, der ihr sein Karnevalskostüm nicht bezahlt hat. „Ein Dichter wirst du werden“, sagt sie oft zu dem Kind, aber sie sagt es „jedesmal bekümmert“. 

Die Gabe des Dichtens ist nicht leicht zu tragen, das galt auch für Wiecherts Landsmännin Agnes Miegel.