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Folge 06-23 vom 10. Februar 2023 / Die Lage der Ukraine ist ernst / Die jüngst verkündeten westlichen Panzerlieferungen sind kein „Gamechanger“ im Ukrainekrieg. Immer mehr zeichnet sich ab, dass das angegriffene Land diesen Kampf nicht gewinnen kann. Weshalb es Zeit ist, über politische Lösungen nachzudenken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-23 vom 10. Februar 2023

Die Lage der Ukraine ist ernst
Die jüngst verkündeten westlichen Panzerlieferungen sind kein „Gamechanger“ im Ukrainekrieg. Immer mehr zeichnet sich ab, dass das angegriffene Land diesen Kampf nicht gewinnen kann. Weshalb es Zeit ist, über politische Lösungen nachzudenken
Richard Drexl

Fast ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs sollen die ukrainischen Streitkräfte weitere materielle Verstärkung erhalten. Ein wochen- und monatelanges Gezerre beendete Kanzler Scholz unlängst mit der Entscheidung, zunächst 14, später weitere Leopard-2-Kampfpanzer aus Bundeswehrbeständen zu liefern. Damit nicht genug haben die Niederlande, Polen, Kanada, Norwegen, Portugal, Spanien und Finnland im Gefolge der deutschen Entscheidung etwa 100 Leoparden unverbindlich zugesagt. Die Briten hatten bereits vorher 14 Challenger-Panzer angekündigt. Die USA wollen – wann auch immer - mit 31 schweren M1-Abrams-Kampfpanzern nachziehen. Nicht zu vergessen sind die 90 Stryker-Radpanzer der US-Armee sowie einige französische Aufklärungspanzer AMX-10. Die Bundesregierung akzeptiert nun zudem die Lieferung von bei der Industrie vor sich hin rottenden Leopard-1-Kampfpanzern. 

Zusammen mit den früher angekündigten deutschen Marder- und Bradley-Schützenpanzern der USA kann die Ukraine im Laufe des Frühjahrs mit zwei mit westlichen Systemen ausgerüsteten Panzerbataillonen rechnen. Falls das ukrainische Heer die geschilderte Typenvielfalt halbwegs in den Griff bekommt, sollten damit einige Löcher bei deren Kampftruppen gestopft werden können. Die von Präsident Selenskyj angestrebten Angriffsoperationen zur Befreiung der besetzten Gebiete werden mit den in Rede stehenden Verstärkungen aber weiterhin nicht möglich sein. Zwei zusätzliche Heeresverbände bei 1000 Kilometern Frontlinie sind lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein!

Wunschzettelpolitik

Unnötig zu erwähnen, dass die militärischen Möglichkeiten der Ukraine direkt auch vom militärischen Potential abhängen, das Russland auf dem Gefechtsfeld aufbietet. Die russischen Truppen nutzen seit dem Rückzug aus der Stadt Cherson die Zeit, sich einzugraben, Minenfelder anzulegen, Stellungen auszubauen sowie insbesondere in den Donbass neues Kriegsgerät und Reservekräfte heranzuführen. Bis die beiden ukrainischen Bataillone mit dem Sammelsurium westlicher Fahrzeuge halbwegs einsatzreif sind, wird es dauern. Wenn mit deren Hilfe russische Durchbrüche verhindert werden können, wäre das schon was. Kampfpanzer eignen sich schließlich auch für Verteidigungsaufgaben. 

Die Ankündigung der Panzerlieferungen war noch nicht verklungen, da wurden aus der Ukraine noch sehr viel weitergehende Wunschzettel Richtung NATO nach Kampfflugzeugen und weitreichenden Raketen verschickt. Der in vieler Augen höchst undiplomatische Andrij Melnyk, inzwischen stellvertretender Außenminister der Ukraine, verstieg sich gar zu der Forderung nach Marinesystemen, um die russische Flotte aus dem Schwarzen Meer zu vertreiben. Die deutsche Fregatte Lübeck hatte es ihm angetan (wird außer Dienst gestellt), wie auch deutsche Angriffs-U-Boote der Klasse 212 A. 

Systeme dieser Art wären jedoch schlichter Unfug, ein strategischer oder wenigstens taktischer Sinn ist in einer Mini-Marine im russisch dominierten Schwarzen Meer nicht erkennbar. Der russische Raketenkreuzer „Moskwa“ konnte auch mit landgestützten Raketen versenkt werden. Schlagkräftige Seestreitkräfte mit U-Booten und Fregatten sind nicht so nebenbei – nach ein paar Wochen Ausbildung – aufzubauen. Unabhängig von der Person Melnyk sind diese Forderungen deutliche Hinweise auf den Versuch, in Anbetracht großer militärischer Not NATO-Staaten zu direkten Kriegsbeteiligten machen zu wollen. Dahin dürfte vorläufig kein Weg gehen, die politisch Verantwortlichen sind sich zumindest darin einig.

Unabhängig davon schlägt sich die ukrainische Armee nach allen zur Verfügung stehenden Informationen beachtlich gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner. Sie profitiert von Aufklärungsinformationen der Amerikaner, wie ihr auch die eingeübte Auftragstaktik eine flexible Kampfführung ermöglicht. Der russischen Armee hingegen ist der Ausweg aus ihrem zentralistischen Führungssystem versperrt, unmotivierte und in den Krieg gezwungene Soldaten harren der Befehle und warten auf den nächsten Auftrag. 

Ein Blick auf das militärische Handwerk 

Im Gegensatz dazu mangelt es den ukrainischen Kämpfern nicht an Motivation, allerdings ist Kriegsdienstverweigerung auch in deren Reihen nicht unbekannt. Dass die ukrainischen Soldaten und Wartungsmannschaften an neuen Waffen zunächst ausgebildet werden müssen, liegt auf der Hand. Wobei kriegserfahrene Panzersoldaten sich tendenziell eher leicht tun sollten, so prinzipiell unterschiedlich in der Anwendung sind die Waffensysteme nicht. Immerhin müssen die Panzer ins Führungssystem mit entsprechenden Kommunikationsmitteln eingebunden werden, die Zielsysteme und Aufklärungsmittel mit Nachtsichtgeräten und Infrarotsensoren müssen beherrscht werden, die Möglichkeiten und Grenzen der Waffen- und Wirkmittel müssen bekannt sein und beübt werden. Mit unkundigen Besatzungen können Waffen auch zur Gefahr für die eigenen Truppen werden.

Anspruchsvoller dürfte sich allerdings der Aufbau von Instandsetzungseinheiten und Versorgungsketten mit Ersatzteilen und ausreichend Munition darstellen; wenn Logistik und Instandsetzung nicht funktionieren, endet bald der Nachschub und damit der Einsatz. Dies gilt selbstverständlich für alle vom Westen bezogenen Systeme, ob für Heer oder Luftwaffe oder was auch immer sonst. Nicht zuletzt ist auch die koordinierte Führung unterschiedlich ausgestatteter Verbände eine Herausforderung.

Was inzwischen allein aus Deutschland der Ukraine alles zur Verfügung gestellt wurde, ist kaum überschaubar. Ein Blick auf die frei zugänglichen Netzseiten der Bundesregierung ist sehr zu empfehlen. Man wird sehen, ob die Vielzahl unterschiedlicher Gerätschaften die ukrainischen Truppen nicht überfordert. Wie dies in Kriegszeiten mit Aussicht auf Erfolg organisiert werden soll, bleibt das Geheimnis der daran Beteiligten. 

Im Übrigen wird der Übergang auf westliche Waffen bei Fortdauer des Krieges zu der Notwendigkeit führen, immer weitere Leos, Marder und M1 Abrams etcetera nachliefern zu müssen. Neben den Leoparden auf europäischer Seite ist der US-Kampfpanzer der einzige Typ, der in Tausender-Stückzahlen (in US-Depots) verfügbar ist. Wunderwaffen sind jedoch auch westliche Kampfpanzer nicht. Selbst der IS konnte in Syrien türkische Leopard 2 mit Hilfe moderner Kampfmittel abschießen. Diese wurden offensichtlich nicht im Verbund mit Schützenpanzern, einer funktionierenden Aufklärung und anderen Komponenten eingesetzt. Jedenfalls sind selbst Panzer im Krieg Verbrauchsmaterial, für Nachschub muss gesorgt werden.

Die Frage nach der Strategie

Unabhängig von den beträchtlichen Verlusten der Gegenseite stellt sich für die Ukraine die Frage, wie lange der Kampf fortgeführt werden kann. US-Quellen zufolge sind bereits über 100.000 ukrainische Soldaten gefallen oder verwundet worden. Auch muss die zunehmende Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur unweigerlich Auswirkungen auf die Kriegsführungsfähigkeit haben. Selenskyj kommt gar nicht umhin, beständig weitere Finanz- und Waffenhilfe einzuwerben. Anders könnte er seinen Kurs in der militärischen Auseinandersetzung mit einem übermächtigen Gegner nicht lange fortführen.

Für die beteiligten NATO-Staaten wurde es zur ständigen Herausforderung, eine halbwegs einheitliche Strategie zu verfolgen. Die Bruchlinien gehen selbst quer durch das Bundeskabinett: Dem Kanzler zufolge darf Russland nicht gewinnen, starke Kräfte in der FDP und bei den ehedem pazifistischen Grünen vertreten hingegen die Auffassung, dass Russland eine militärische Niederlage erleiden muss. Die Kernfrage ist und bleibt, bis zu welchem Punkt das ukrainische Ziel unterstützt werden soll, die Armee der größten Atommacht auf diesem Globus zu schlagen und die besetzten Gebiete einschließlich der Krim zurückzuerobern. Die Zeichen an der Wand stehen nicht danach. Wenn der Westen dahinter stünde, hätte die Ukraine längst ein Mehrfaches der bisherigen Waffenhilfe erhalten.

Unstreitig ist, dass Putin mit seinem Angriff vom 24. Februar 2022 die europäische Friedensordnung zerbröselt hat. Die brutalen russischen Angriffe unter eklatanter Missachtung des Kriegsvölkerrechts bedürfen der Reaktion. Unstreitig ist allerdings auch, dass in Europa die Abschreckung seit Jahren sträflich vernachlässigt wurde und Möglichkeiten zur Deeskalation und zum friedlichen Ausgleich offenkundiger Interessenunterschiede unterblieben sind. Die Europäer müssen sich vorhalten lassen, erneut nicht in der Lage gewesen zu sein, eine eigenständige Politik zu verfolgen. Dabei liegt der Scherbenhaufen mit zerstörten Landstrichen und Millionen Flüchtlingen unmittelbar vor der Haustür der Europäischen Union. 

Das Ende bedenken 

Putins Kalkül geht dahin, dass die westlichen Bevölkerungen die mit dem Krieg einhergehenden Belastungen nicht längerfristig werden tragen wollen. Den beteiligten Regierungen wird es früher oder später an der Kraft fehlen, für immer neuen Geld- und Waffennachschub zu sorgen. Eine direkte Kriegsbeteiligung von NATO-Staaten soll weiterhin verhindert werden. Die ukrainische Armee wird zu raumgreifenden Offensivoperationen mit der in Rede stehenden westlichen Waffenhilfe nicht fähig werden, das ist kaum verhohlene Absicht der Alliierten. Der Ukraine sollte konsequenterweise nicht länger vorgemacht werden, dass die Unterstützung soweit geht, die besetzten Gebiete zurückzuholen. 

Der Frage „Wie weit wollen wir gehen?“ ist nicht mehr auszuweichen. Ein jahrelanger Abnützungskrieg zum Schaden des Kontinents und insbesondere der Ukraine darf keine Lösung sein. Mit einem vorläufigen Patt wird man leben müssen. Es ist höchste Zeit für ernsthafte Gespräche zunächst in Richtung eines Waffenstillstands. Die Schlüssel dafür liegen in Anbetracht der Schwäche der EU in Moskau und Washington. Mal sehen, wohin uns die unausgegorene und von außen aufgezwungene Strategie noch führen wird.






Richard Drexl ist Oberst a.D. der Luftwaffe, Kommunalpolitiker (Freie Wähler) und Autor. Seit 2014 ist er Präsident des Bayerischen Soldatenbundes 1874 e.V. Zuletzt erschien die komplett überarbeitete Neu-auflage seines gemeinsam mit Josef Kraus verfassten Buches „Nicht einmal bedingt abwehrbereit. Die Bundeswehr in der Krise“ (FinanzBuch Verlag 2021). www.m-vg.de