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Folge 06-23 vom 10. Februar 2023 / Belle-Alliance / Gefallene auf dem Dachboden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-23 vom 10. Februar 2023

Belle-Alliance
Gefallene auf dem Dachboden

Die Redewendung „sein Waterloo erleben“ ist zu Recht ein Synonym für eine totale Niederlage. In der Schlacht bei Belle-Alliance oder Waterloo verlor Frankreichs Kaiser Napoleon I. endgültig Macht und Einfluss. Viel mehr als Macht und Einfluss verloren jene unter den fast 188.000 Teilnehmern der Schlacht, die diese nicht überlebten. Ihre Zahl wird auf über 20.000 geschätzt. Angesichts dieser beachtlichen Zahl stellt sich die Frage, wo die Leichen der Toten geblieben sind. Trotz intensiver Suche finden sich in unseren Tagen kaum noch menschliche Überreste auf dem damaligen Schlachtfeld.

Der belgische Archivar im Staatsarchiv Lüttich Bernard Wilkin und der deutsche Militärhistoriker Robin Schäfer bieten für dieses Phänomen eine makabre Erklärung: Die sterblichen Überreste seien in großem Stil und systematisch industriell zu Knochenkohle verarbeitet worden, die damals für die Filter zum Entfärben von Zucker verwendet wurde. 

Nachdem Anfang Dezember Wilkin diese Theorie für das Verschwinden der sterblichen Überreste in einem Vortrag vorgestellt hatte, kam ein junger Geschichtsstudent auf ihn zu und informierte ihn, dass ein in der damaligen Kampfzone lebender älterer, gutsituierter Mann „zwei tote Preußen auf dem Dachboden“ hatte. Zur Rede gestellt, leugnete dieser Mann nicht. 1982, so der Belgier, seien die Gebeine bei Bauarbeiten in der Nähe eines Bachlaufs gefunden worden, und seitdem habe er sie auf seinem Boden – gemeinsam mit Ausrüstungsresten, die ebenso wie eine Strontiumisotopenanalyse und Untersuchungen des DNA-Materials darauf hindeuten, dass es sich bei den Toten um Preußen handelt. Am 10. Januar übergab der Mann die Knochen „in zwei Pappkartons“.

Möglicherweise aus Angst, ebenfalls des Besitzes sterblicher Überreste überführt zu werden, meldeten sich nun ein weiterer Mann sowie eine Frau, die seit Jahrzehnten einen Schädel auf ihrem Kamin stehen hatte. Die Knochen aus dem Besitz des weiteren Mannes sollen zu sechs Briten gehören. Sie sollen in der Erde entdeckt worden sein, da sich bei ihnen eine Kanonenkugel befand, die der Metalldetektor des Grabräubers anzeigte. 

Widerlegt fühlen sich die beiden Historiker Wilkin und Schäfer in ihrer Theorie der industriellen Nutzung der Gefallenen der Schlacht bei Belle-Alliance indes nicht. Ihre Erklärung ist, dass diese wenigen nun aufgetauchten Überreste damals übersehen worden seien. 

Im Gegensatz zur Frau, die ihren Schädel vom Kamin zurückhaben wollte, da er ihr mittlerweile ein Freund geworden sei, haben die beiden Männer den Besitz an den Knochen aufgegeben. Es stellt sich die Frage, was damit passieren soll. 

Schäfer ist der Ansicht, dass unter den Gefallenen viele gläubige Menschen gewesen seien, die es für ihr Seelenheil als unerlässlich angesehen hätten, eine letzte Ruhestätte zu erhalten. Und die will er ihnen gönnen. Bei den Briten sieht Schäfer kein Problem, da die ihre Gefallenen stets beerdigen würden. In Deutschland hingegen sei kaum Interesse vorhanden. Keine staatliche Einrichtung fühle sich zuständig.M.R.