06.05.2024

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Folge 06-23 vom 10. Februar 2023 / Königsberger Dom / Erinnerungen eines Dompfarrers / Persönlicher Bericht von Hermann Willigmann, der von 1924 bis 1934 am bekanntesten Wahrzeichen der Stadt gewirkt hat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-23 vom 10. Februar 2023

Königsberger Dom
Erinnerungen eines Dompfarrers
Persönlicher Bericht von Hermann Willigmann, der von 1924 bis 1934 am bekanntesten Wahrzeichen der Stadt gewirkt hat
Hermann Willigmann

Der Königsberger Dom war ein Werk der deutschen Ordensritter. Im Jahre 1333 war nach jahrzehntelangem Bauen das Gebäude fertiggestellt. Die Ordensritter hatten eine ganz bestimmte Bauweise. Ob man eine Ordenskirche in der Provinz oder den Dom sah – sie glichen alle einander. Sie waren alle als Wehrkirchen gedacht; bei feindlichen Angriffen sollten sie die letzte Zuflucht der Bedrängten sein. Deshalb lagen sie entweder auf einer Anhöhe oder an einem Fluss. Der Dom war umrahmt von den beiden Armen des Pregels. Diese bildeten dort die Dominsel.

Aus dem Dom soll ein Gang unter dem Pregel zur Höhe des alten Schlosses geführt haben. Er war als der letzte Ausweg der Belagerten gedacht. Einige beherzte Männer haben vor Jahrzehnten diesen Gang durchwandern wollen. Unter dem 14 Meter tiefen Pregel fanden sie aber erhebliche Schuttmassen, die den Weg völlig versperrten. Sie wagten es nicht, den Schutt zu beseitigen und fürchteten – und wohl nicht mit Un-

recht –, dass die Wassermassen des Pregels sie wegschwemmen könnten. Die Tür zum Gang und der Anfang des Ganges aber waren noch vorhanden.

Der unterirdische Gang

Was den Dom zur Bischofskirche machte, war das Massige des Baues. Die Mauern sollten ursprünglich in drei Metern Dicke ausgeführt werden. Über den schmalen, hochfliegenden Fenstern wollte man einen Wehrgang von anderthalb Metern Breite einbauen. Durch niedrige Öffnungen sollten auf die anrückenden Feinde Speere, Steine und glühendes Pech geschleudert werden. Durchgeführt aber wurde der Wehrgang nur auf der Rückseite. Freunde des Hochmeisters machten diesen darauf aufmerksam, dass der Bischof bei Streit mit dem Hochmeister mit seinen Mannen nur den Dom und Wehrgang aufzusuchen brauche, dann wäre er unüberwindlich. So verbot der Hochmeister den Weiterbau in drei Metern Dicke. Als der Bischof das Verbot nicht beachtete, rückte der Hochmeister mit seinen bewaffneten Scharen heran. Der Bischof musste weichen.

Domsenkung um zweieinhalb Meter

Spätere Geschlechter waren dem Hochmeister aus einem anderen Grunde für sein Vorgehen dankbar. Der Dom war ebenso wie die gesamten Häuser der Dominsel auf moorigem Grund gebaut. Wohl waren zur Zeit seines Baues Unmassen von Stein und Fels in die Tiefe geschleudert worden, auch lag der Dom auf eisernen Rosten. Trotzdem sank er. Zuerst geschah es innerhalb von vier Jahren um einen Ziegelstein. 1905 bis 1907 wurde eine Erneuerung des Untergrundes vorgenommen. Sie misslang. Der Dom senkte sich seitdem an manchen Stellen innerhalb von vier Jahren um zwei Ziegelsteine. Es bildeten sich mehrfach Risse in den Spitzbogen und im Gemäuer. 

Eben hatte ich an einem Abend den Gottesdienst beendet, die letzten Zuhörer hatten das Gotteshaus verlassen, da sauste ein schweres Steinstück von der Decke in der Nähe der Kanzel hernieder. Wären noch Menschen dagewesen, wären sicher einige erschlagen worden. Bei der Renovierung war das Sinken falsch berechnet worden. Man hatte die gegenüberstehenden Pfeiler durch festgefügtes Gebälk verbunden. Das sollte ein Auseinanderklaffen der Decke verhindern. Es war aber nicht bedacht worden, dass der eine Pfeiler schneller sinken könnte als der andere. So hatte die verschiedene Gewalt des Sinkens die Decke auseinandergerissen und ein großes Stück Stein mitgenommen. Im Laufe der Jahrhunderte hatte der Dom sich um zweieinhalb Meter gesenkt. Legte man am Ende des Seitenganges eine Kugel auf die Erde, dann rollte sie in schnellem Lauf bis zum entgegengesetzten Ende. Einst ging man über eine Treppe in den Dom hinein, jetzt musste man ein paar Stufen hinunterschreiten. 

Der gesamte Fußboden war gehoben. Dadurch wirkte die an sich schöne Eingangspforte des Domes etwas gedrückt. Im Dom selbst fiel es nicht weiter auf, weil die Höhe der Bischofskirche gewaltig war. Nur hatte niemand beim Eintritt in das Gotteshaus sogleich den hohen, erhabenen Eindruck, den der Dom bot. Der Domorganist, ein eifriger Veranstalter von Orgelkonzerten, hatte für seinen großen Kirchenchor beim Gemeindekir-chenrat durchgesetzt, dass die Orgelempore ein größeres Stück in die Kirche vorgebaut wurde. Jeder Besucher musste deshalb unter der weit ausgedehnten Orgelempore vorwärts gehen. Erst dann hatte er den freien Blick über den weiten Innenraum. 

Schönste Sicht von der Holzbrücke

Der schönste Blick auf den Dom war der von der Holzbrücke über den Pregel. Da lagen vor den Augen die alte Universität, an der Kant gelehrt hatte, und der ragende Dom. Oft habe ich dort gestanden und mich an dem Anblick „meines“ Doms erfreut.

Der Dom bestand aus zwei gleich langen Teilen. Der vordere, breitere war die sogenannte Predigtkirche, der langgestreckte hintere bildete den Hohen Chor. Bei der Renovierung im Jahr 1905 stifteten Fürsten und Geschlechter der Provinz buntgemalte Fenster. Das größte schenkte der deutsche Kaiser. Es kam nun durch die an sich schon engen und hohen Fenster noch weniger Licht in den Dom. Viele haben das bedauert. Aber wenn die Sonne vergoldend durch die Fenster fiel, war es ein Anblick von solcher Schönheit, dass man sich nur schwer davon losreißen konnte.

Über dem Altar, fast unmittelbar über der Decke, befand sich ein Brustbild Martin Luthers. Der zeitgenössische Maler Lukas Cranach hatte es gemalt. Neben dem Altar hing das Bild der Tochter Melanchthons mit ihrem kleinen Sohn. Sie hatte den Rektor der Königsberger Universität, Sabinus, geheiratet. Als sie mit ihrem Söhnchen starb, wurde sie neben dem Altar im Dom begraben. Ihr Bild stammt ebenfalls von Cranach.

Königsberg barg überhaupt viele Erinnerungen an die Reformation. Auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz vor dem Altar der abgerissenen Altstädtischen Kirche war das Grab des Hänschen Luther. Er war jener Sohn des großen Reformators, dem der Vater den entzückenden Kinderbrief vom Paradies geschrieben hatte. Auf der Domkanzel hatte Brismann 1521 die erste evangelische Predigt gehalten. Von da aus nahm die Reformation ihren Lauf durch die ganze Provinz. Brismann hat später seine Grabstätte im Hohen Chor gefunden.

An den gewaltigen, tragenden Säulen des Domes waren einige Ordensrittergestalten eingeritzt. Sie hatten sich irgend-wie um den Orden verdient gemacht. Ihre Wappen und Rüstungsbildnisse sollten verewigt werden. Besondere Kunstwerke waren die Gemälde, die von Mönchen an die Wand gemalt waren. Sie stellten Geschichten aus der Heiligen Schrift und Legenden aus der kirchlichen Sage dar. Viele Besucher des Gottesdienstes waren im Mittelalter des Lesens unkundig. Sie sollten den Inhalt der Heiligen Schrift aus den Gemälden an der Wand kennen lernen.

Begräbnisstätte von Fürsten und Hochmeistern

Im Hohen Chor waren sieben Hochmeister begraben. Ihre Bilder hingen an den Wänden. Ihre Särge sind leider in dem moorigen Untergrund des Domes verloren gegangen. Man mauerte vor langen Jahren den Zugang zu ihnen zu. Dadurch gingen leider auch viele Särge von Prinzen und Prinzessinnen aus dem Hohenzollernhause verloren. Es herrschte in früheren Jahren in Königsberg überhaupt wenig Sinn für historische Dinge und Kunstwerke. Wie konnte man das Haus, in dem Kant – in der früheren Prinzessinstraße – gewohnt hatte, abreißen und einen modernen Neubau an seine Stelle setzen? Wie konnte die „Stoa Kantiana“ weggenommen werden? 

Das war die überdeckte Wandelhalle der alten Universität, an der Mauer des Domes, in der Kant in jeder Pause zwischen den Vorlesungen sich erging. Er war ja ein Mann, der ganz pedantisch an den kleinsten Gewohnheiten unverbrüchlich festhielt.

Einigermaßen erhalten blieb im Hohen Chor der wundervoll ausgeführte Sarkophag des Kurfürsten Georg-Wilhelm, des Vaters des Großen Kurfürsten. Er weilte 1640 zu Besuch bei einem Freunde in Königsberg-Neuhausen, erkrankte am hitzigen Fieber und starb. Seine sterbliche Hülle konnte in der Unruhe des Dreißigjährigen Krieges nicht nach Berlin geschafft werden. So wurde sie im Dom beigesetzt. 

Rettung des Sarkophags

Wir retteten den Sarkophag 1931 gerade noch vor dem Verfall. Ich sehe noch die kunstvoll geschmiedeten brandenburgisch-kurfürstlichen Adler am Sarkophag. Sie waren im Deckel neben anderen schmiedeeisernen Kunstwerken angebracht. Als wir den Sarg aus der Tiefe herausgebracht hatten, wurde in Gegenwart von Zeugen das Innere geprüft. Deutlich war noch der verdickte Oberschenkel des Kurfürsten zu erkennen, von dem die Geschichte berichtete. Auch lag der Feld-marschallstab unangetastet neben dem Knochengerüst. Ein Ministerialrat, der bei der Besichtigung zugegen war, wollte den Feldherrnstab sofort in den Besitz der Regierung nehmen. Ich protestierte: „Was im Dom ist, gehört in den Dom!“ „Ich aber“, meinte der Ministerialrat, „vertrete die Regierung. Sie ist die höchste Instanz im Lande.“ Ich wandte mich an den Domküster, einem altgedienten Soldaten: „Herr Domküster, ich übergebe Ihnen hiermit den Feldmarschallstab. Sie bürgen dafür, dass er nicht aus dem Dom kommt.“ Der Küster schlug die Hacken zusammen, nahm das wertvolle Stück in die Hand und der Ministerialrat gab sich zufrieden.

Beim Betreten der Kirche glitt der Blick sofort bis zur hintersten Wand des Hohen Chores und ließ die mächtige Länge des Gotteshauses erkennen. Der Hohe Chor des Domes war ein Prunkstück besonderer Art. Da war das wundervolle, wohl 20 Meter hohe Grabdenkmal des letzten Hochmeisters und ersten weltlichen Herzogs, Albrecht von Preußen. Es zeigte eine Fülle von Figuren. Dennoch hob sich plastisch die Gestalt des Herzogs ab. Betend kniete er vor einem Altar. Zu Lebzeiten hatte er das Denkmal anfertigen lassen. Oft war er zu stiller Andacht in den Dom gekommen.

Andere Epitaphien im Hohen Chor hatten nicht solch hohen künstlerischen Rang. Die ersten Geschlechter Ostpreußens hatten ihre Toten in diesem Raum beigesetzt. Die Bilder der Hochmeister, deren Gebeine im Hohen Chor ruhten, schauten von den Wänden herab. Wunderbar geschnitzte Chorstühle und zwei ragende hohe Stühle in besonderer Aus-führung für den Hochmeister und den Bischof bei großen Konventen lenkten immer die Aufmerksamkeit auf sich.

Alljährlich einmal ging ich mit meinen Konfirmanden in den Dom. Dann schritten wir zu den Glocken mit ihren Inschriften. Auch zeigte ich ihnen den Klingelzug für die Vaterunser-Glocke. Sobald in der Kirche der Pfarrer mit dem Vaterunser begann, wurde die Schnur zur Klingel unten in der Kirche gezogen. Langsam wurde alsdann oben vom Glöckner siebenmal die kleine Domglocke angeschlagen. Die Umgegend wusste: „Jetzt betet man im Gottesdienst das Vaterunser.“